Alles strahlt

Die Spex-Mitbegründerin, Performance-Musikerin und bildende Künstlerin Jutta Koether zeigt ihre Bilder in der Kölnischen Kunstgalerie. von wolfgang frömberg

Auf der Bühne des Theatersaals im Köl­nischen Kunstverein gibt es seit dem 26. Mai und noch bis zum 13. August einen kleinen Irrgarten zu sehen. Stro­boskoplicht flackert, die Maschine knattert, auf Monitoren ist ein Auftritt der Künstlerin Jutta Koether zu sehen. Sie sitzt an einem Synthesizer, versunken in den Sound. Ein Bassist bringt die Saiten seines Instruments zum Schwingen, später wird ein Text rezitiert. Über der Tür des Saals, in dem sich die Bühne befindet, hängt eine schwarze Lederfahne, und an die Saalwand schmiegt sich eine rie­sige Leinwand, die das Weltall zu vermessen scheint.

Dagegen wirkt das schwarze, aus Papier ­geschnittene T-Shirt im Irrgarten nichtig und klein, der Slogan darauf scheint aber doch bedeutsam: »Was bleibt von der Kunst, wir als Veränderte bleiben.« In der von Peter Glaser herausgegebenen und für ihre Epoche typischen Anthologie »Rawums. Texte zum Thema« (1984) formuliert Jutta Koether eine vorläufige Programmatik: »An diesem Nachmittag hast du mich verführt, Goethe (…) Ein Moment der Unachtsamkeit, und schon hatte ich sie aufgeschlagen, Deine irrige, veraltete Farbenlehre! Die schwarzen Buchstaben verwandelten sich in ein Flammenmeer, das mich blendete und sich in eine einzige Farbe auflöste, die die Buch­seiten überschwemmte: PURPUR.« Aber Jutta Koethers Vorlieben wechseln. Am Schluss verkündet sie entschlossen: »Die Zeit des violetten Briefpapiers ist endgültig vorbei. Nie wieder werde ich solche Briefe schreiben, Goethe. Ich lebe unstet, von Farbe zu Farbe.« Die Künstlerin beginnt, umherzuschweifen. Jede Farbe, jeder Ton lädt ein zum Verweilen, jedes Verweilen macht auf Dauer unruhig.

Mit ihrem Text in Glasers »Rawums« reiht sich Jutta Koether neben Rainald Goetz, Jo­achim Lottmann, Diedrich Diederichsen, Clara Drechsler und anderen in die Perlenkette der neuen Popliteratur ein. Als Spex-Mitherausgeberin ist sie in den Achtzigern eine wichtige Stimme des damals selbstverwalteten Kölner Haufens. In der regelmäßigen Kolumne »Mrs. Benway« versucht die Liebhaberin von Patti Smith und Arthur Rimbaud, die Beziehung von Popkultur und Bildender Kunst anhand ihres Lebens darzulegen. Nichts wird vorschnell aus ihrem wachsenden System ausgeschlossen, weder Lyrik noch Theorie, weder Theater noch Rock.

1990 stellt sie sich in eine andere, eine kunsthistorische Reihe: »Cezanne, Courbet, Manet, van Gogh, ich«. Das Bild samt Schriftzug hängt neben den Frühwerken der Werkschau »Fantasia Colonia« im »Raum mit roten Bildern«. Cover-Versionen, etwa von Gustave Courbets Gemälde »Der Ursprung der Welt«, veranschau­lichen dort Aneignungs- und Selbstfindungstechniken, wie man sie auch aus dem Proberaum kennt. Frauenbrüste strahlen auf (»Ohne Titel (Frau)«) wie Scheinwerfer in den Raum und blenden geile Spanner. Das kleinformatige Bild ist von 1984 – dem Jahr, in dem auch der Beitrag zu Glasers Materialsammlung entstand.

Die Begeisterung für Strahlen und für den Weg, den sie sich suchen, bleibt Koether fortan erhalten, die Farbe Rot aber verliert ihre Anziehungskraft. Auf »Einschiebung« (1990) erscheint eine Kelle, die das Rot aus dem Bild schöpft, wie man Wasser aus einem Boot schaufelt. An­fang der neunziger Jahre zieht Jutta Koether von Köln nach New York, wo sie bis heute lebt und Teil des Kollektivs Bernadette Corporation ist. Am Ende eines langwierigen gemeinsamen Schreibprozesses steht das Buch »Reena Spaulings«, die fiktive Autobiografie einer reinen Kunstfigur.

In der Halle des Kunstvereins findet sich ein Querformat mit autobiografisch anmutendem Titel: »Es gibt eine Frau darunter« (1993). Silberne Kringel auf buntem Ölteppich, dazwischen Körper, Teile, zerrissene Sequenzen. Oben rechts befinden sich klar lesbare Buchstaben, die Signatur: »Koether«. 1990 hatte Jutta Koether noch auf die Nennung des Namens verzichtet. Das nackte »Ich« wurde als nassforsches Symbol in eine Reihe mit den Großen Meistern Cezanne, Courbet, Manet und van Gogh gestellt. Inzwischen muss sie auf Ausstellungen und in Büchern, gemeinsamen Performances mit New Yorker Avantgarde-Typen wie Kim Gordon, Thurston Moore und Tom Verlaine auf eine Geschichte als Künstlerin mit eigenem Namen verweisen. Das erinnert ein wenig an Blumfelds Weg von der »Ich-Maschine« bis zum »Apfelmann«. Ein recht neues Bild heißt »Die Apfelsinenfrau«.

»Rising« steht in hauchdünnen Lettern auf einer schwarzen, großformatigen Leinwand. Von weitem wirkt es so, als sei das Wort eingekratzt worden, vielleicht mit den Fingernägeln, es ist jedoch mit Silberstift aufgetragen. Ein erhabener Balanceakt zwischen Euphorie und Verzweiflung, Glamour und Gewalt, Eleganz und Ekstase.

Auf anderen Leinwänden lassen sich jeweils mehrere, nicht hierarchisch geordnete Räume finden. Darin sind Frauenkörper auszumachen, die sich winden; Vierecke, die Münder versperren; und Bögen, denen Brücken fehlen, die Verbindungen zwischen den Ebenen ermöglicht hätten. Die Zeichen in den von Koether aufgemachten Räumen wiederholen und mehren sich wie beharr­liche Floskeln, überfrachten manchen Space.

Wie ein roter Faden zieht sich die Serie »The Structural Necessity of multiple inconsistent Fantasies« durch die Halle, das Treppenhaus und den Theatersaal. Ketten, Glitzersticker, Zeitungsschnipsel und anderer Kram aus den Zimmern guter und böser Mädchen sind in Kunstharz gegossen, jedes einzelne Exponat ist mit einem Sinnspruch versehen worden. Einer davon lautet: »Des Lebens Leben ist Geist.«

Die Ausstellung ist als Installation angelegt. In der Halle mit den großen Fenstern hängen die Bilder an blitzförmig angeordneten Glaswänden. Unter dem Dach wird man mit Koethers deutlichstem Versuch konfrontiert, explizit politische Kunst herzustellen. Nach dem deutschen Wie­dervereinigungstaumel entstand die Werkgruppe »massen«. Sie zeigt Wimmelbilder voller Hohlköpfe, die die Lücken und Risse, Tunnel und Schächte, aus denen es in vielen anderen Bildern Jutta Koethers strahlt, verstopfen (während draußen wieder deutsche Flaggen »unverkrampft« im Aufwind des Fußballweltmeisterschaftsfrühlings wehen. Manche Dinge ändern sich nie, und wenn doch, dann nicht zum Besseren.)

Im Kinosaal, in dem sonst der Filmclub 813 sein Programm für die Hand voll Cineasten der Stadt abspult, läuft die DVD »Fresh Aufhebung«. Zu sehen sind jene schwarzweiß bemalten 170 Leinwände, die im selben Raum an den Wänden im Dunkeln bleiben. In dieses Dunkel strahlt das Licht des Beamers umso eindringlicher. So wird eine besondere Errungenschaft des installativen Parcours »Fantasia Colonia« hervorgehoben. Je komplexer die Zusammenhänge, desto einfacher Jutta Koethers Darstellung. Strahlender Dilettantismus statt absorbierende Selbstinszenierung, freilich ohne das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen. Da muss man durch.

Jutta Koether: Fantasia Colonia. Kölnischer Kunstverein. Bis zum 13. August 2006