»Verrichtungsboxen wurden nirgends aufgestellt«

Stephanie Klee

Die Fußballweltmeisterschaft werde zu einem Boom des Sexgewerbes führen, hieß es vor der WM, vor allem Kirchen und Frauenorganisationen warnten davor, dass tausende Zwangsprostituierte zum Anschaffen nach Deutschland gebracht werden würden. Doch was davon hat sich bewahrheit?

Stephanie Klee ist seit über 30 Jahren als Prostituierte tätig und ist Vorsitzende des Bundesverbandes für sexuelle Dienstleistungen, der sich für die Rechte von Prostituierten und die gesellschaftliche Anerkennung der Sexarbeit einsetzt. Sie engagiert sich in der Aktion »freiersein« des Vereins context-cps, der in den WM-Städten Kondome und Informationsmaterial verteilt. Mit ihr sprach Theodora Becker.

Hat die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zur Fußball-WM zugenommen?

Da ich selbst anschaffen gehe und Kontakt mit vielen Kolleginnen habe, aber auch, weil ich durch die Kampagne »Freiersein« mit vielen Organisationen in direktem Austausch stehe, kann ich sagen, dass sich die Erwartungen, die auch unsere Branche an die WM hatte, nicht erfüllt haben. Die Geschäfte wurden zwar ein wenig belebt, aber keineswegs in der Weise, wie wir es erhofft hatten. Die Fußballfans sind nicht unbedingt darauf aus, ihr Geld für sexuelle Dienstleistungen auszugeben.

Vor der WM wurde über »Verrichtungsboxen« diskutiert, die es in zwei Städten schon länger gibt, und die zur WM in großer Zahl aufgestellt werden sollten.

Alles, was in den Medien über die 40 000 Zwangsprostituierten geschrieben wurde, die zur WM nach Deutschland kommen sollten, und über die Verrichtungsboxen, die rund um die WM-Austragungsorte aufgestellt werden sollten, war falsch. In keiner Stadt wurden Verrichtungsboxen für die WM aufgestellt.

Welche Auswirkungen hat die öffentliche Debatte über die Prostitution für die gesellschaftliche Akzeptanz der Branche?

Die langfristigen Folgen werden wir erst nach der WM sehen. Dennoch hat die ausschließlich abwertende Mediendebatte schon jetzt negative Auswirkungen. Es ging nie um eine seriöse Berichterstattung oder um die Realität der Prostitution. Deshalb assoziieren die Menschen Prostitution sofort mit Gewalt und Kriminalität und haben kein ehrliches Verhältnis zu uns. Das sind wir gründlich leid. Wir zweifeln sehr daran, ob es überhaupt Sinn hat, mit Medien, Politikern oder Wissenschaftlern zu reden, weil sich alle auf unsere Kosten profilieren wollen und nie etwas für uns tun.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zum Beispiel sage ich schon seit zehn Jahren, dass für die Unterstützung von Huren, insbesondere von migrantischen Huren, eine rechtliche Einbindung in unser Wirtschaftssystem unumgänglich ist. Die Einführung einer Greencard oder einer befristeten Arbeitserlaubnis wären dafür sehr wichtig. Das würde gegen Ausbeutung von Prostituierten und das so genannte Schleppertum etwas bewirken. Migrantinnen können heute nicht – wie ich das tun kann – ein Bordell, in dem ihnen die Arbeitsbedingungen nicht gefallen, einfach verlassen und gegebenenfalls Anzeige erstatten, weil sie keinen sicheren Rechtsstatus haben.

Ein anderes Beispiel für die negativen Auswirkungen der Kampagnen ist, dass in der Folge vor einigen Wochen in Hessen, Baden Württemberg und Bayern Razzien in allen Bordellen durchgeführt wurden. Dabei wurde keine einzige Zwangsprostituierte gefunden. Aber mit dem riesigen Polizei-Aufgebot wurde der Eindruck vermittelt, dass hier ein kriminelles Milieu bestehe. Das ist eine Kriminalisierung unserer Branche, ohne dass es einen nachweisbaren Verdacht oder Resultate gäbe.

Wie hoch schätzen Sie den Anteil von Zwangsprostituierten in Deutschland?

Der ist gering. Das Bundeskriminalamt sprach für das Jahr 2004 von 370 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel und 972 »Opfern« von Menschenhandel. Dabei ist aber zu bedenken, dass die Rechtslage zu Verzerrungen führt. Wenn eine Frau ohne Aufenthaltsgenehmigung, die völlig freiwillig arbeitet, bei einer Razzia aufgegriffen wird, hat sie ein Interesse, der Polizei zu sagen, sie sei zur Prostitution gezwungen worden. Denn dann wird sie freigelassen mit der Auflage, das Land bald zu verlassen. Sie kann aber mit demselben Pass wieder einreisen. Wenn sie hingegen zugibt, dass sie über die Verhältnisse Bescheid wusste, vielleicht im Herkunftsland schon als Prostituierte gearbeitet hat, wird sie sofort abgeschoben.

Wurde die Kontrollen von Prostituierten zur WM ausgeweitet?

Davon bin ich überzeugt. Sowohl in Berlin als auch anderswo wird mehr kontrolliert.

Sind zur WM mehr Frauen als Prostituierte tätig als sonst?

Soweit ich weiß, sind die Verhältnisse ähnlich wie beim Oktoberfest in München oder der Cebit in Hannover. Das heißt, Frauen, die sonst nur am Wochenende arbeiten, arbeiten jetzt die ganze Woche. Frauen, die am Rand von Berlin leben, bleiben für die Zeit durchgehend in Berlin. Frauen aus Osteuropa, Spanien oder den Niederlanden, die ohnehin manchmal hier arbeiten, sind ebenfalls da. Das sind Frauen, die dieses Geschäft und das Land schon kennen.

Befördert die WM Zwangsverhältnisse in der Prostitution?

Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Kein Bordellbesitzer hat das nötig. Die Geschäfte laufen seit Jahren so schlecht, dass jede Frau, die freiwillig arbeitet, zur WM erst recht freiwillig arbeitet und gerne ein paar Gäste mehr bedient. Welcher Bordellbetreiber nimmt denn nicht lieber Frauen, die freiwillig arbeiten?

Im Rahmen Ihrer Aktion »freiersein« verteilen Sie in den WM-Städten Kondome und Postkarten mit zehn goldenen Empfehlungen für Freier. Was ist das Ziel dieser Kampagne?

An der Aktion sind jeweils unterschiedliche lokale Gruppen beteiligt wie Huren- und Migrantenorganisationen, Drogenberatungsstellen, schwul-lesbische Gruppen, Pro Familia, Aidshilfen und Gesundheitsämter. Ein Ziel ist die Prävention von AIDS und STD, also sexuell übertragbarer Krankheiten. Es ist sinnlos, immer nur die Prostituierten zu informieren, es müssen auch die Freier angesprochen werden und dazu motiviert werden, Kondome zu benutzen.

Außerdem wollen wir das negative Bild, das von Freiern in der Öffentlichkeit gezeichnet wird – dass sie minderbemittelt, alt und hässlich seien – geraderücken. Es geht uns um Respekt für Prostituierte und für Freier.

Reagieren die Männer aus verschiedenen Ländern unterschiedlich?

Man kann Unterschiede feststellen. In Schweden zum Beispiel ist das Kaufen von Sexualität verboten, und die Regierung betreibt große Kampagnen gegen Freier. Die Reaktionen der Schweden hier sind unterschiedlich. Es gibt welche, die froh sind, mal mit jemandem offen darüber reden zu können, der sie nicht gleich verteufelt und mit ihnen einen Austausch wünscht. Andere sind noch nicht einmal dazu in der Lage, uns mit unseren doch sehr witzigen Kondom-Kostümen anzuschauen, geschweige denn ein Kondom zu nehmen.

Es geht in der Kampagne auch darum, Männer für mögliche Gewaltverhältnisse zu sensibilisieren.

Ja. Wir raten Männern allerdings, sich nicht an die Polizei zu wenden, weil das bei Migrantinnen dazu führen kann, dass die Frau in Abschiebehaft kommt. Das wollen wir auf jeden Fall verhindern. Die Beratungsstellen gehen gegebenenfalls mit einer Dolmetscherin in das Bordell, um mit der Frau offen sprechen zu können.

Die Freier können viele Signale aber auch nicht richtig deuten. Dass eine Frau nicht perfekt Deutsch sprich, heißt ja nicht dass sie zur Prostitution gezwungen wird. Die Kampagnen gegen Zwangsprostitution führen die Freier oftmals auf eine falsche Fährte.