Fans, die niemand will

In dem iranischen Spielfilm »Offside« geht es um Gechlechterverhältnisse und Fußball. von silke kettelhake

Still sitzt eine junge Teheranerin in einer der hinteren Ecken des Minibusses voller begeisterter Fußballfans. »Lang lebe der Iran!«, »Nieder mit Bahrain!« rufen sie, die Stimmung kocht, die Fahnen fliegen aus den Fenstern, Autohupen veranstalten einen infernalischen Lärm, als sei die WM-Qualifizierung schon längst gelungen. Das Mädchen, das, jedenfalls für die Dauer eines Fußballspiels, kein Mädchen sein will, rutscht noch etwas tiefer in die Sitzbank, als wäre sie am liebsten unsichtbar. Auf den Wangen trägt sie die iranischen Farben, genau wie die lauten Jungs hier im Bus. Die Angst vor der Entdeckung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Es ist ihr erster Versuch, ins Stadion zu gelangen, das oberhalb der Siebenmillionen-Stadt thront wie ein gestrandetes Ufo.

Der iranische Regisseur Jafar Panahi beschreibt in seinem Film »Offside« etwas Banales, das in einem islamischen Land wie dem Iran zu etwas Außergewöhnlichem wird: Ein Mädchen will in ein Fußballstadion, um ein Fußballspiel zu sehen. Mehr nicht. Doch für eine Männergesellschaft ist das bereits zu viel.

Das Mädchen und ein kleiner Haufen Mitverschworener ist allein unter 100 000 Männern, allein in der Masse der Machos, kein schützender Tschador, hinter dem sie sich verkriechen könnte. Vor den omnipräsenten Polizisten in der grölenden Meute gibt es kein Versteck. Sie schubst nicht, sie drängelt nicht, sie verfügt nicht über die testosterongesteuerte Gestik der Männer. Der Kauf des überteuerten Schwarzmarkttickets kommt einer Verzweiflungstat gleich. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Dann folgt die Leibesvisitation: Kreischend vor Scham entflieht sie den Kontrolleuren, schlägt wie ein Hase auf der Flucht panisch Haken. Sie wird gefasst und abgeführt, die lange Treppe hinauf und hinter die überfüllten Treppenränge gebracht. Was werden nur die Eltern sagen! Das Mädchen ist nicht die einzige, die sich diese Sorgen macht. Da stehen auch schon die anderen Mäd­chen in einer Abzäunung, mit Ärger und Wut im Gesicht, bewacht von Soldaten, die kaum ein paar Jahre älter sind als sie. Derweil toben im Stadion die Fangesänge.

Zwischen den Gefangenen und den Wachhabenden entsteht bald ein verbales Kräftemessen: Da ist der vor seinem Chef kuschende Soldat vom Dorf, der sich zurücksehnt in die Heimat, wo Frauen und Männer im Kino nicht nebeneinander sitzen dürfen, da ist die gebildete Teheranerin mit Zigarette in der Hand, die erstmal ihr Studium beenden will, bevor sie ans Heiraten denkt. Welten prallen aufeinander, doch nie geht der Respekt für Fairplay verloren zwischen den hilflos-trotteligen Uniformierten und den aufsässigen Girls.

Fairplay scheint sich Jafar Panahi, ehemaliger Regieassistent von Irans Regie-Ikone Abbas Kiarostamis, auch auf die Fahnen geschrieben zu haben. Nie verliert der semidokumentarisch und mit viel Handkameraeinsatz gedrehte Film den Respekt für seine Figuren. Niemals gleiten die Dialoge ins Theatralische ab, immer ist der feine Sinn für Ironie zu spüren. Die Mädchen sind keine von einer übermächtigen Männerwelt drangsalierten Opfer, doch zur Heldin oder gar zur Identifikationsfigur taugt keine von ihnen. Denn hier geht es um etwas, das größer und stärker ist als jede gesellschaftliche oder gesetzliche Vorgabe: Nach dem Sieg Irans wollen alle auf den Straßen tanzen. Soll der Ayatollah doch neidisch werden hinter seiner verstaubten Gardine.

Bisher durften die Filme von Jafar Panahi nur in Sondervorführungen im Iran gezeigt werden, einen Kinostart hatte weder der mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnete Film »Der Kreis« (2000) noch das düstere Gesellschaftsporträt »Crimson Gold«, eine Art iranische »Taxi-Driver«-Variante um einen Pizzalieferanten. Die Anklagen des Regisseurs gegen den Polizeistaat werden im Iran verstanden: Panahi wurde bei einem Ausreiseversuch in die USA elf Stunden lang angekettet in einer Zelle festgehalten.

Der iranische Fußball, das sei noch gesagt, steht nach dem vorzeitigen WM-Aus vor einem Scherbenhaufen: Trainer Branko Ivankovic kann sich als oberster Sündenbock einen neuen Job suchen, Verbandspräsident Mohammad Dadkan wurde eine Stunde nach dem 1:1 zum Vorrundenabschluss gegen Angola in Leipzig per Regierungsdekret entmachtet. Knapp zwei Monate vor der nächsten Partie im Asiencup gegen Syrien am 16. August ist zudem das Verhältnis zwischen Rekordnationalspieler Ali Daei und dem Bayern-Profi Ali Karimi zerrüttet. Das iranische Sportministerium entschuldigte sich im Namen des Fußballverbandes beim Volk für den »verletzten Stolz«. Die weiblichen Fußballfans im Iran werden sich überlegen, ob sie die Entschuldigung annehmen.

Jafar Panahi: Offside. Iran, 2005. Bundesweiter Start: 29. Juni. In Berlin bereits angelaufen.