Prügeln für den Frieden

Im Präsidentschaftswahlkampf will sich Mexiko als Demokratie präsentieren. Doch gegen die ­sozialen Bewegungen wird die Polizei in Marsch gesetzt. von marco pulquo, mexiko-stadt

Geh wählen oder halte die Klappe« – so plakatiert das staatliche Wahlinstitut Mexikos (IFE) derzeit landesweit. Es scheint in diesem Wahljahr wichtiger denn je, die Bevölkerung daran zu erinnern, dass sie pflichtbewusst ihr Kreuzchen machen soll. Tatsächlich könnte die Fußballweltmeisterschaft das Wahlfinale am 2. Juli zu einem Begleitprogramm deklassieren. Obwohl die grün-weiß-rote Auswahl ihre Fans erst im Spiel gegen Argenitinien begeistern konnte, waren die Spiele immer noch spannender als eine Debatte, die sich größtenteils aus gegenseitigen Korruptionsvorwürfen und Aufrufen speist, die Nation zu retten. Ansonsten bleibt es bei dem Versprechen auf ein Mi­grationsabkommen mit den USA, wirtschaftlichem Aufschwung und mehr Sicherheit.

Sicherheit, das bedeute in Mexiko vor allem, die Polizeiapparate »als Mittel sozialer Repression einzusetzen, anstatt sie präventiv und zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu gebrauchen«. Zu diesem Schluss kommt Moisés Moreno Hernández, Vorsitzender der mexikanischen Akademie für Kriminologie. Für die Niederschlagung sozialer Proteste gab es in den vergangenen Monaten genug Beispiele: die gewaltsame Auflösung eines Stahlarbeiterstreiks im Bundesstaat Michoacan im April, den polizeilichen Großeinsatz in der Gemeinde Atenco im Mai und kürzlich die missglückte Räumung eines Protestcamps streikender Lehrerinnen und Lehrer im südmexikanischen Oaxaca.

Angesichts solcher Akte polizeilicher Brutalität könne man nicht von einem Rechtsstaat sprechen, meint Moreno Hernández. Doch während weite Teile der linken Presse polemisch von einem »faschistischen Regime« oder mit Blick auf die siebziger Jahre von einer Rückkehr des »schmutzigen Krieges« und einer »Renaissance des autoritären Staates« sprechen, beschreibt Moreno Hernández einen Prozess, bei dem es um mehr geht als um Aufstandsbekämpfung. »Das Problem der Repression zeigt sich nirgends deutlicher als im Handeln der Abgeordneten. Diese schaffen nach und nach Gesetze, mit denen Richtlinien einer Kriminalisierung aufgestellt werden.«

Ähnlich wird auch im Wahlkampf Politik gemacht. Während Protestierende das volle Ausmaß einer staatlichen Politik der Angst zu spüren bekommen, die sich in brutalen Polizeieinsätzen, Folter und Vergewaltigung ausdrückt, versuchen die politisch Verantwortlichen ihr Handeln als »Wiederherstellung des sozialen Friedens« zu rechtfertigen. Der Streik in den Eisenhütten von Michoacan habe eben blutig enden müssen, weil die Gewerkschafter nicht einsehen wollten, dass ihre Arbeitsniederlegung »illegal« gewesen sei. Die Aufständischen in Atenco wurden als eine Handvoll radikaler »macheteros« dargestellt oder verschwörungstheoretisch als »militärische Chefstrategen« der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) aufgebaut.

Die EZLN wird im Moment gern als Drahtzieher hinter jedem noch so kleinen Aufruhr vermutet. Dabei werben die Zapatisten und ein breites Bündnis sozialer Organisationen in den letzten Monaten im Rahmen der »Anderen Kampagne« lediglich für ein politisches Engagement jenseits der Wahlen. Inzwischen ist die Initiative jedoch zu einer willkommene Drohkulisse geworden, »einer Wiege der Guerillas«, die ständig neue »bewaffnete Gruppierungen« hervorbringe. Auch wenn direkte Angriffe auf Veranstaltungen der »Anderen Kampagne« selten blieben, sind von den Polizeieinsätzen auch viele Unterstützer des zapatistischen Bündnisses betroffen.

Keiner der drei bedeutenden Präsidentschaftskandidaten hat die Übergriffe kritisiert. Im Gegenteil, der Kandidat der regierenden Partei der Nationalen Aktion (Pan), Felipe Calderón, hätte gern »noch härter durchgegriffen«. Roberto Madrazo von der Partei der institutionalisierten Revolution (Pri) versprach, dass seine Regierung weder Aufstände wie in Atenco noch Organisationen wie die EZLN dulden werde. Der Kandidat der linken Zentrumspartei PRD Andrés Manuel Lopéz Obrador rang sich zu einer generellen Verurteilung der »Gewalt auf beiden Seiten« durch. Als Präsident werde er auf den Dialog setzen. Blickt man jedoch zurück auf sein Schaffen als Bürgermeister von Mexiko-Stadt, dann zeigt sich, dass auch ein vermeintlich Linker die Vertreibung der Straßenhändler aus dem historischen Zentrum durchzusetzen wusste. Dort patrouillieren inzwischen mehr Ordnungshüter als irgendwo sonst im Land.

Wie wichtig soviel Sicherheit sein kann, vermitteln auch die mexikanischen Medien, allen voran das Fernsehen. Berichte über die blutige Niederschlagung des Stahlarbeiterstreiks wurden mit Bildern unterlegt, die minutenlang marschierende und exerzierende Polizisten aus der Froschperspektive zeigten. In Oaxaca wurde die Bevölkerung in Fernsehspots vor den »rebellischen Lehrern« gewarnt und aufgefordert, die Türen gut zu verschließen. Die Märsche der streikenden Pädagogen, an denen über 300 000 Menschen teilnahmen, konterte der Gouverneur des Bundesstaates, Ulises Ruíz, vorige Woche mit einer minuziös geplanten Gegendemonstration. Tausende Indigenas und Bauern wurden mit Bussen in die Provinzhauptstadt gekarrt. Aber vor allem staatliche Bedienstete und Polizisten in Zivil – denen bei Nichterscheinen mit Lohnkürzungen gedroht worden war – zogen durch die Straßen. Ruíz dirigierte diesen spontanen Ausdruck des Bürgerwillens vom Hubschrauber aus und spendierte interessierten Journalisten einen Freiflug.

Bei Presseterminen betonen die Kandidaten der Präsidentschafts- und Gouverneurswahlen gern den irrationalen Charakter der sozialen Proteste. Obwohl es Augenzeugenberichten zufolge bei den Übergriffen in Oaxaca mehrere Tote gegeben haben soll, werden diese Anschuldigungen mit dem zynischen Verweis auf die »fehlenden Leichen« als Lügen bezeichnet. Ähnlich wurde den in Atenco vergewaltigten Frauen von Gouverneur Enrique Peña Nieto unterstellt, mit ihren Anzeigen politische Motive zu verfolgen.

Ein konstantes Leugnen gewalttätiger und sexueller Übergriffe ist auch für das internationale Ansehen Mexikos wichtig. Niemand soll daran zweifeln, dass in diesem demokratischen Rechtsstaat bald faire und freie Wahlen stattfinden werden. Deshalb betont der noch amtierende Präsident Vicente Fox stets, wie wichtig seiner Regierung die Einhaltung der Menschenrechte sei. Statt sich außenpolitisch als autoritäres Regime abstempeln zu lassen, sucht man nach Praxen politischer Legitimität, die international anschlussfähig sind. »Sicherheit« und die »Herstellung des sozialen Friedens« scheinen dabei von tragender Bedeutung zu sein.

Aller Kriminalisierung und dem grassierenden Fußballfieber zum Trotz organisieren sich soziale Bewegungen und die EZLN weiterhin gemeinsam für ein »anderes Mexiko«, fordern die Freilassung der politischen Gefangenen und eine strafrechtliche Verfolgung der polizeilichen Gewalt. Anders als ursprünglich geplant, ruft die »Andere Kampagne« jetzt doch zu Protestaktionen am Wahltag auf. Das ist kein ungefährliches Unterfangen, denn um einen sicheren Verlauf der Wahl zu gewährleisten, könnte der demokratische Zweck erneut alle repressiven Mittel heiligen.