Operation echter Krieg

Auf die Anschlagsserie in Afghanistan will die Bundesregierung mit der Entsendung von weiteren Soldaten reagieren. von frank brendle

Die ruhigen Zeiten sind vorbei. Zwei Selbstmordattentäter und eine mit Panzerfäusten bewaffnete Gruppe hatten es in der vorigen Woche auf Bundeswehrsoldaten in Afghanistan abgesehen. Diese kamen mit einem zerschossenen Fahrzeug und zwei Verletzten glimpflich davon. Als der Bundestag vor einem Dreivierteljahr die Verlängerung des Mandats für die deutschen Kontingente der International Security Assistance Force (ISAF) beschloss, hieß es noch: »Die Situation in Afghanistan hat sich in vielerlei Hinsicht verbessert.«

Aber seit die Bundeswehr Anfang Juni das Oberkommando über Nordafghanistan übernommen hat, wurde sie schon fünf Mal unter Beschuss genommen. Fünf Soldaten wurden dabei verletzt. Diese Entwicklung bereite ihm »größte Sorge«, gestand Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) in der Bild am Sonntag.

Ganz unerwartet kam der Wandel nicht. Jung hat bereits Ende Mai festgestellt, die Situation sei auch im Norden Afghanistans »nicht ungefährlich und nicht ohne Risiken«. Der Brigadegeneral Markus Kneip, der deutsche Kommandeur in Afghanistan, beschrieb die Lage als »nicht ruhig und nicht stabil«. Nachdem sich diese Einschätzungen bewahrheitet hatten, gab Jung die Anweisung, nur noch in gepanzerten Fahrzeugen durch die Gegend zu fahren. Diese scheinen trotz der vorangegangenen Warnungen knapp zu sein. Der Haushaltsausschuss hat in der vorigen Woche die Anschaffung von 102 Transportfahrzeugen des Typs »Dingo« bewilligt. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), fordert noch mehr. Der Verteidigungsetat macht jedoch die Finanzierung unmöglich.

Die wachsende Gewalt in Afghanistan provoziert und legitimiert ein schärferes Vorgehen der Bundeswehr. Vor drei Jahren war noch ein Erkundungsteam kreuz und quer durch das Land gereist, um ein möglichst ruhiges Plätzchen im Norden des Landes auszukundschaften. Die Soldaten sollten als Regionale Wiederaufbauteams (PRT) ein »sicheres Umfeld« schaffen, jedoch »nicht an Kampfhandlungen« mitwirken und »keine Präsenz zeigen, die an eine militärische Besatzung erinnern würde«. So formulierte es damals eine Studie der der Regierung nahe stehenden Stiftung Wissenschaft und Politik.

Damit ist es jetzt wohl vorbei. Politiker der Regierung reden seit Wochen darüber, dass zur Kontrolle Afghanistans »ein robusteres Mandat und mehr Soldaten« erforderlich seien. Die Grenzen zwischen dem angeblich stabilisierenden ISAF-Einsatz und dem Kampfeinsatz US-amerikanischer Truppen in der Operation Enduring Freedom (OEF) verwischen immer mehr. So führen die USA im Süden des Landes gegenwärtig eine Großoffensive mit über 11 000 Soldaten an, der in zwei Wochen 200 Menschen zum Opfer fielen. Die Offensive soll den Süden so weit befrieden, dass die ISAF-Truppen, die auf 18 000 Mann verdoppelt werden, die dann abziehenden US-Soldaten ersetzen können. Die letztgenannten werden im Irak gebraucht.

Der Charakter der von der Nato geführten ISAF wird sich mit der Ausdehnung auf den Süden verändern. Die schmutzige Arbeit bleibt nicht mehr nur den US-Truppen von Enduring Freedom überlassen. Der damalige Kommandeur Mauro del Vecchio hatte im vergangenen Jahr gefordert, die ISAF müsse »robuster« werden und »sehr starke Synergien mit den Koalitionskräften« der OEF entwickeln. Die Bundeswehr will sich zwar auch künftig auf den Norden konzentrieren. Das Bundestagsmandat erlaubt ihr aber, für »zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen« auch in andere Landesteile auszuschwärmen. Da unterscheiden wohl auch die Taliban nicht mehr so genau zwischen den Mandaten. Das Motto »Schwarz-Rot-Gold ist eine Schutzweste« habe ausgedient, zitierte der Spiegel vorige Woche einen Bundeswehroffizier. Und das passt ins Konzept: Das neue Weißbuch der Bundeswehr legt den Charakter der Truppe als »Armee im Einsatz« fest, und die soll nicht nur »stabilisieren«, sondern auch »richtig« kämpfen.

Die Verschärfung des Einsatzes macht das Scheitern der bisherigen Bemühungen deutlich. Auch knapp fünf Jahre nach dem Einmarsch gibt es keinen funktionierenden afghanischen Staat. Die Taliban sind wieder in der Offensive, in den vergangenen Monaten ist es im ganzen Land unsicherer geworden. Die Erfolglosigkeit der afghanischen Regierung, das zum Teil arrogante Auftreten der Besatzungsmächte und die zum Teil unverhältnismäßige Kriegsführung der USA haben die anfangs noch bestehenden Sympathien für die ausländischen Soldaten arg reduziert.

Das kriegen auch zivile Entwicklungshelfer zu spüren, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in einem symbiotischen Verhältnis zum Militär stehen. Winfried Nachtwei von den Grünen klagt: »Wir wollten die Herzen und Köpfe gewinnen. Zurzeit verlieren wir die Herzen.« Eher zufrieden bilanziert dagegen der Vorsitzende der Linksfraktion, Oskar Lafontaine: »Der Einsatz hat alle Ziele verfehlt.« Es sei Zeit abzurücken. »Die Fortsetzung des Einsatzes macht die deutschen Soldaten zum Ziel von Racheakten«, warnte er.

Die Militärpolitiker reagieren auf die Misserfolge so, wie sie es überall tun: mit Aufrüstung, mit einer Verstärkung der Truppen und Durchhalteparolen. »Wenn die Führung der Bundeswehr die Entsendung spezieller Truppenteile nach Afghanistan fordert, werden wir uns dem nicht verschließen«, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold. Gegenwärtig sind rund 2 700 Soldaten in Afghanistan stationiert. Hans-Peter Bartels von der SPD fordert, man müsse »das jetzt durchhalten« und »zähen Optimismus« demonstrieren.

Jung indes verkündet, es werde keinen Rückzug geben: »Wir lassen uns nicht beirren und führen den Auftrag konsequent durch.« Dass die Fortsetzung des Einsatzes noch mindestens fünf Jahre dauern kann, gibt er ebenfalls zu verstehen. Dass auch deutsche Truppen verstärkt Antiterroreinsätze durchführen, will er nicht ausschließen. Das war bisher lediglich dem Elitekommando KSK vorbehalten.

Von daher scheint es den Verantwortlichen allmählich an der Zeit zu sein, ein Mahnmal für die gefallenen Bundeswehrsoldaten zu errichten. Auch das hat Jung in der vergangenen Woche wieder ins Gespräch gebracht. Die Nation solle einen Ort haben, an dem sie wie andere »normale« Nationen auch ihrer Gefallenen gedenkt. Er favorisiert dafür einen öffentlich zugänglichen Platz auf dem Gelände des Berliner Bendlerblocks, also wahrscheinlich direkt neben dem Denkmal, das an das Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 erinnert. Würde ein Mahnmal errichtet, wäre an dieser Stelle 63 Soldaten zu gedenken, die in den vergangenen zehn Jahren im Einsatz ums Leben kamen. Davon waren allerdings nur 23 »echte« Gefallene. Der Rest starb bei Unfällen.

Der Deutsche Bundeswehrverband indes reagiert ablehnend auf die Ausweitung des Einsatzes in Afghanistan. Der Vorsitzende des Verbands, Oberst Bernhard Gertz, schimpft: »Unser Einsatz basiert nicht auf einem wirklich schlüssigen Konzept.« Er fordert statt einer Erhöhung der Truppenstärke mehr Entwicklungshilfe. Aber nach der Lage der Dinge muss er sich wohl doch mit dem Gedanken an ein Gefallenenmahnmal im Bendlerblock abfinden.