Böse Journalisten!

Nach einer von Rechtsextremisten inszenierten Bücherverbrennung möchte das Dorf Pretzien in Sachsen-Anhalt seinen Ruf retten. von matthias gärtner

Zu einem Tanz zur Sommersonnenwende mit Kulturprogramm und einem hübschen Feuer hatte der Verein »Heimat-Bund Ostelbien« in das sachsen-anhaltinische Dorf Pretzien geladen. Gut 80 der 900 Seelen folgten der freundlichen Einladung, die per Flugblatt oder Plakat ausgesprochen worden war. Der Verein, der für das Schreiben der Dorfchronik zuständig ist, organisiert regelmäßig Volksfeste und richtete auch die Faschingsparty aus. Bürgermeister Friedrich Harwig von der Linkspartei selbst zählt zu seinen Mit­gliedern.

Für den Abend des 21. Juni hatten sich die zumeist jungen, männlichen Mitglieder des Heimatbundes etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Gäste auf die Wiese hinter dem Gemeindehaus gebeten. Sechs Jugendliche mit dunkler Kleidung, von denen einer ein Shirt mit der Aufschrift »Wehrmacht Pretzien« trug, hielten Fackeln in den Händen und verteilten sich auf dem Gelände. Martia­lische Reden zur Sonnenwende wurden gehalten, in denen die Worte »Irak-Krieg« und »USA« gefallen sein sollen. Einige der Anwesenden applaudierten, als eine amerikanische Flagge verbrannt wurde.

Dann forderte ein Jugendlicher dazu auf, ins Feuer zu werfen, was man für verbrennungswürdig halte. Mit den Worten »Hiermit übergebe ich Anne Frank dem Feuer« warf ein junger Mann ein Buch in die Flammen. Es handelte sich um das Tagebuch der 15jährigen Jüdin, in dem sie die Verfolgung ihrer Familie bis zum Abtransport ins Konzentrationslager beschrieb. Nach der Aussage von Zeugen habe die anwesende Dorfbevölkerung erst in diesem Moment verstanden, welcher Art von Spektakel sie beiwohnte. Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes Schönebeck, die auch Mitglied im Heimatbund ist, griff ein und setzte dem Treiben ein Ende.

Eine gute Woche später berichtete eine regionale Zeitung von der »Sonnenwendfeier« in Pretzien und rief mit dem Artikel große Empörung hervor. Bürgermeister Harwig nannte die Aktion der Neonazis eine »riesengroße, dumme Blödheit«. Dennoch wollte er zuerst mit dem im Urlaub weilenden Vorsitzenden des Heimatbundes reden, ehe er weitere Konsequenzen ziehe. Dieser wiederum heißt Chris­tian Seidel und ist seit Jahren in der Neonazi­szene der Region eine bekannte Größe. Sein Verein fand bereits im Jahr 2000 bei den Sicherheitsbehörden des Landes Erwähnung. Im Verfassungsschutzbericht jenes Jahres wird eine Skinheadkameradschaft »Ostelbien-Pretzien« genannt, die auch unter der Bezeichnung »Heimat-Bund Ostelbien« firmiere.

»Wie schon im Vorjahr waren die Angehörigen der Kameradschaft Teilnehmer und Ausrichter von Sonnenwendfeiern«, heißt es dort. Ab dem Jahr 2001 wurde der Verein in den entsprechenden Berichten nicht mehr erwähnt. Ob das damit zu tun haben könnte, dass der frühere Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) in Pretzien wohnt und gern mal mit den Jungs vom Heimatbund für Fotos posiert?

Harwigs Vorhaben ist es schon seit län­gerem, rechte Jugendliche nicht etwa aus­zugrenzen, sondern, wie er es formulierte, »durch sanfte Unterwanderung auf den Pfad der Tugend zurückzuführen«. Obwohl genau das Gegenteil eingetreten ist, verteidigt er weiterhin seine Vorgehensweise. Darüber hinaus verbittet sich der als beratungsresistent geltende Bürger­meister die Einmischung Ortsfremder. Eine Journalistin der Süddeutschen Zeitung etwa bekam am Telefon zu hören: »Ich esse gerade zu Mittag. Befassen Sie sich mit Ihren eigenen Dingen, recherchieren Sie in Ihrem eigenen Gebiet.« Im Dorf ist er beliebt, weil er viel für den Ort getan habe. Ein Gemeindehaus, ein Kindergarten und ein Sportlerheim wurden auf seine Initiative hin neu gebaut.

Auf einer kurzfristig einberufenen Bür­gerversammlung am 5. Juli, an der über 150 Personen teilnahmen, entlud sich die Wut gegen die Pressevertreter, deren Berichte dem Ruf des Dorfes geschadet hätten. Auch die Gattin des ehemaligen Innenministers soll unter jenen gewesen sein, die ein Kamerateam traktierten. Ein Beobachter nannte die Versammlung im Gespräch mit der Jungle World ironisch »eine Sternstunde der Demokratie«. Es sei keinerlei Bereitschaft zu erkennen gewesen, sich kritisch mit dem Geschehen auseinanderzusetzen.

In einer Erklärung entschuldigten sich drei der an der Bücherverbrennung beteiligten Neonazis bei der Gemeinde, beim Bür­germeister und beim ehemaligen Minister dafür, den Ort in ein schlechtes Licht gerückt zu haben. An die eingeladenen Vertreter der Anne-Frank-Stiftung richtete niemand ein Wort der Entschuldigung.

Stattdessen sagte eine junge Frau, dass sie die Presse als das Hauptübel betrachte: »Noch entsetzter als über die Tat bin ich über die Zeitung.« Auch einen älteren Herrn hatte die Art und Weise der Berichterstattung mehr erregt als der Vorfall selbst, wie er sagte. Ähnlich sieht das offenbar der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer (CDU), der in einem Interview mit der Netzeitung sagte: »Wir müssen damit rechnen, dass sich scharenweise Journalisten auf uns stürzen, um uns in ein schlechtes Licht zu stellen. Wir werden versuchen, da deutlich gegenzusteuern.« Große Zustimmung gab es während der Versammlung für die Forderung, sich geschlossen hinter den Bürgermeister zu stellen.

In der Linkspartei gehen die Meinungen über den Umgang mit den Geschehnissen in Pretzien auseinander. Der Parteivorsitzende und der Fraktionsvorsitzende des Landes, Matthias Höhn und Wulf Gallert, forderten, gleich nachdem die Bücherverbrennung bekannt geworden war, den Rücktritt Harwigs vom Bürgermeisteramt und seinen Austritt aus der Partei. Tatsächlich hat er inzwischen die Partei verlassen. Auch der »Heimat-Bund Ostelbien« hat sich aufgelöst. Nur was die rechten Jugendlichen angeht, ist man ratlos. Sabine Dirlich, eine Landtagsabgeordnete der Linkspartei, sagte: »›Nazis raus!‹ ist ja eine schöne Forderung. Aber wo sollen sie denn hin?«

Die Ratlosigkeit soll bald ein Ende haben: Matthias Höhn will in Kürze ein Papier vorlegen, das Handlungsanleitungen für Kommunalpolitiker im Umgang mit Rechtsextremismus bietet.