Die Ferienstimmung ist verdorben

Der französische Innenminister Sarkozy will in den Sommerferien minderjährige Migranten ohne Papiere abschieben. von bernhard schmid, paris

Nicht alle Nachfahren von Migranten sind so populär wie die Torschützen der französischen Mannschaft. Die Regierung ist bestrebt, möglichst schnell viele Jugendliche und Kinder ohne gültige Aufenthaltspapiere loszuwerden. Allerdings stößt sie bei ihrem Versuch, dies während der Sommerferien zu tun, auf großen gesellschaftlichen Widerstand. Und das nicht nur bei denjenigen, die sich seit Jahren der Solidarität mit den Sans Papiers (Papierlosen) und anderen Rechtlosen der Gesellschaft verpflichtet fühlen. Zu unangenehm ist für viele Französinnen und Franzosen die Vorstellung, dass die Ferien für Schüler, die dieselbe Klasse wie die eigenen Sprösslinge besuchen und die man persönlich kennt, zu einer Zeit des Versteckens und Abtauchens werden.

In Frankreich gilt das allgemeine, laizistische und kostenlose Schulsystem als ein Grundpfeiler der Republik. Allen Minderjährigen ist das Recht auf Bildung garantiert, deswegen dürfen Kriterien wie ein legaler Aufenthaltsstatus für unter 18jährige auch nicht zur Bedingung eines Schulbesuchs gemacht werden. Die Zahl der Schüler an öffentlichen Schulen, die meist zusammen mit ihren Eltern illegal in Frankreich leben, wird derzeit auf 10 000 bis 50 000 geschätzt. Ihnen gilt die Anteilnahme eines bedeutenden Teils der Öffentlichkeit. Sicherlich wäre das Mitgefühl nicht ganz so weit verbreitet, handelte es sich bei den Betroffenen nicht um Kinder.

Die teils politisch, teils eher humanitär und christlich geprägte Kampagne gegen die rigiden Ausländergesetze hält seit Monaten an. Es hat also nichts mit der kurzfristigen Begeisterung für La France black-blanc-beur (das Frankreich der Schwarzen, Weißen und Arabischstämmigen) wegen der Erfolge der Fußballmannschaft zu tun, wenn Lehrer, Eltern, Mitschüler und unterschiedliche Organisationen gegen die drohende Abschiebung von Kindern und Jugendlichen protestieren. Viele Aktivisten, darunter etliche Prominente, unterschrieben Petitionen, mit denen sie sich dazu verpflichten, im Notfall Kinder zu verstecken, einige Minderjährige sind bereits bei Helfern untergetaucht.

Das Netzwerk Bildung ohne Grenzen, das es seit ungefähr zwei Jahren gibt, hat von Anfang an dabei geholfen, Kinder und Jugendliche, die von der Abschiebung bedroht sind, zu verstecken. Oftmals kamen sie bei ihren eigenen Lehrern zu Hause unter, die von den Mitgliedern des Netzwerkes Rechtsberatung und Unterstützung erhielten.

Innenminister Nicolas Sarkozy hatte im Oktober infolge der öffentlichkeitswirksamen Proteste der Illegalisierten einen Aufschub gewährt: Eingeschulte Kinder und Jugendliche sollten noch bis Ende des Schuljahres 2005/06 dem Unterricht beiwohnen dürfen und erst dann abgeschoben werden. Durch den Aufschub konnte er kurzfristig den öffentlichen Druck in der Frage der drohenden Abschiebungen mindern. Zudem hatte er wohl gehofft, dass während der Sommerferien mit erheblich geringerem Widerstand zu rechnen sei und er sein Ziel, die Ausreise der aufgespürten Familien ohne Papiere zu erzwingen, ohne großes Aufsehen erreichen würde.

Doch die Proteste gegen die Abschiebungen von Minderjährigen hielten an. In der ersten Juniwoche machte Sarkozy, der der potenzielle Präsidentschaftskandidat der französischen Konservativen ist, dann ein neues, äußerst begrenztes Zugeständnis: Nicht abgeschoben werden sollen Kinder und Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die in Frankreich geboren sind (mit 18 automatisch französische Staatsbürger werden würden) und keine andere Sprache als Französisch beherrschen. Wie das überprüft werden soll, ist unklar. Sarkozy behauptete, nach seinen Informationen betreffe der gewährte Abschiebeschutz 720 Familien.

Gesicherte französische Sprachkenntnisse gelten als Garantie für die Integration, gleichzeitig entspricht diese Vorgehensweise der Logik des Untersuchungsberichts über »Kriminalitätsri­siken«, den der Abgeordnete Jacques-Alain Benisti im November 2004 Sarkozy vorlegte. Demnach steigt das Risiko von »abweichendem Verhalten« und Straffälligkeit, wenn die Jugendlichen im Elternhaus neben Französisch noch eine weitere Sprache sprechen – könnten sie doch dann auf dem Schulhof in einer Geheimsprache kommunizieren, nämlich ihrer Muttersprache, und so ungestraft Schandtaten gegen ihre Lehrer oder Mitschüler verabreden.

Am 13. Juni gab Sarkozy schließlich eine Dienstanweisung an die Ausländer- und Polizeibehörden heraus, die die Kriterien zur Abschiebung etwas großzügiger formuliert. Statt ausschließlich für Kinder, die in Frankreich geboren sind, soll der Abschiebeschutz jetzt auch zusätzlich für Minderjährige gelten, die vor dem 13. Lebensjahr eingereist sind. Voraussetzung dafür soll aber sein, dass ihre Eltern seit mindestens zwei Jahren in Frankreich leben, dass die Kinder seit mindestens einem Jahr eingeschult sind und die französische Sprache beherrschen.

Hinzu kommt das etwas uneindeutig formulierte Kriterium vom »Willen der Familie zur Integration« und von der »starken Verbundenheit« mit Frankreich. Über die Einhaltung dieses Kriteriums soll der Rechtsanwalt Arno Klarsfeld, der Sohn von Beate und Serge Klarsfeld, als von Sarkozy eingesetzter Vermittler wachen.

Deutliche Worte fand Klarsfeld, der sich dazu bekannte, bei der nächsten Wahl für Sarkozy stimmen zu wollen, als er eine Äußerung der Schriftstellerin Marie Desplechin zurückwies, in der sie indirekt einen Vergleich zwischen den geplanten Abschiebungen von Minderjährigen aus Frankreich und der Deportation jüdischer Kinder gezogen hatte. Die Satirezeitung Charlie Hebdo schrieb dazu, die Solidaritätsbewegung brauche »keine zweifelhaften Vergleiche, um festzustellen, dass sich Arno Klarsfeld, der sich hoch moralisch gibt, die Logik der Institutionalisierung einer willkürlichen Auswahl« zwischen Menschen zu eigen mache.

Weniger deutlich äußerte sich Klarsfeld, als es darum ging, die Kriterien zum Schutz vor einer Abschiebung auszulegen. »Es wird Abschiebungen geben«, stellte er aber vorsorglich klar.