»Eigentlich wollen wir ja alle das Gleiche«

Dr. Motte

Er ist der »Vater der Love Parade«: Dr.­ Motte. Doch an der Neuauflage der Love Parade am vergangenen Wochenende in Berlin nahm er nicht teil. Stattdessen will er auf der Fuck Parade auftreten, die einst als unkommerzielles Gegenstück zur Love Parade ins Leben gerufen wurde.

Motte heißt mit bürgerlichem Namen Matthias Roeingh. Seite Mitte der achtziger Jahre arbeitet er als DJ, seit 1987 als House-DJ. Er ist Miteigentümer der Love Parade Berlin GmbH. Mit ihm sprach Markus Ströhlein.

Wo waren Sie am Tag der Love Parade?

Ich war ganz offiziell nicht in musikalischen Dingen unterwegs. Wo ich mich aufgehalten habe, ist meine Privatangelegenheit. Ich habe mich zurückgezogen, um dem Trubel zu entgehen. Ich bin aber froh, dass es eine friedliche Parade gewesen ist.

Die Geschäftsleitung der Love Parade GmbH hat gesagt: »Die Love Parade bleibt auch ohne Dr. Motte die Love Parade.« Was fehlt ohne Dr. Motte?

Es fehlt die musikalische Kompetenz. Rainer Schaller, der neue Geschäftsführer, hat mich einmal gefragt: »Was macht eigentlich ein Label?« Er sagt, ich stünde für ein altes Konzept. Aber wofür steht er denn? Er steht für eine straffe Organisation, das ist nicht schlecht. Aber er steht vor allem für ein neues Team, in dem Leute mit der nötigen musikalischen Erfahrung fehlen. Die Veranstaltung schöpft das Potenzial nicht aus. Man hätte sie zum Spiegel und zur Plattform der Gesamtheit der gegenwärtigen elektronischen Tanzmusik machen können. Dieses Ziel hat sie verfehlt. Ich hatte vorgeschlagen, einen Beirat zu gründen. In ihm sollten szenekundige und integre Leute aus der elektronischen Tanzmusik sitzen. Dieser Beirat hätte dann Clubträger eingeladen, sich auf den Trucks und Wagen der Parade zu präsentieren.

Man hat aber die Teilnehmer nicht kom­petent ausgewählt. Sie wurden durch eine Onlinewahl bestimmt. Es fehlten wichtige Clubs aus Norddeutschland, z. B. der Tunnelclub aus Hamburg, der über Jahre hinweg immer teilgenommen hat. DJ-Freunde aus Norddeutschland sagen: »Das ist nur noch eine Fakeparade, die mit dem ursprünglichen Spirit nichts mehr zu tun hat.« Nach zwei Jahren ohne Love Parade hätte man einen guten Neuanfang machen können. Man hätte die Veranstaltung inhaltlich vertiefen können. Für viele Leute aus dem Underground ist die Love Parade gestorben. Der Spirit, das Herz und die Musik werden nicht widergespiegelt. Ich und der Beirat hätten ein hochkarätiges, inhaltlich wichtiges Line-up zusammengestellt. Man muss die bekanntesten, erfolgreichsten und für die Szene wichtigsten DJs, Musiker, Labels, Vertriebe und Clubs usw. einladen. Nur so kann die Love Parade so etwas wie die Oscarverleihung der elektronischen Tanzmusik sein. Eine Beteiligung an der Parade war in der Szene so etwas wie der Ritter­schlag.

Sie sagen, es gehe nur noch um das ­Marketing. War das früher denn anders?

Nein, anders war es nicht. Wir haben diese Tendenz ja auch erkannt. 2004, also in einem Jahr, in dem es keine Love Parade gab, haben wir uns bereits überlegt, das Sponsoring entscheidend zu verringern. Ich habe dann viele Gespräche in Berlin geführt, mit Innungen, Verbänden und Unternehmen, um sie für die Parade zu gewinnen. Die Parade ist ja ein Berliner Kind. Es wäre wunderbar, wenn man sie von Berliner Unternehmen in einem erträglichen Rahmen finanzieren lassen könnte. Wir hätten einen Sponsorenpool gebildet. Aus ihm heraus hätten wir die Wagen bezahlt. Ihre kreative Gestaltung hätte weiterhin in der Hand der Clubs gelegen. Jetzt können die Teilnehmer gerade mal ein kleines Banner von sich aufhängen und das war es. Darauf habe ich keine Lust.

DJ Westbam hat die Hymne für die diesjährige Parade komponiert. Und Paul van Dyk hat es freudig begrüßt, dass die Parade dieses Jahr wieder stattfand. Fühlen Sie sich mit Ihrem Konzept im Stich gelassen?

Von manchen werde ich als der große Nörg­ler abgestempelt. Sie freuen sich, dass ich weg bin, und wollen die Love Parade dazu benutzen, möglichst groß abzusahnen. Der Kommerz gewinnt. Das ist doch alles lächerlich.

Aus Protest wird Ihre Rede nun auf der Fuck Parade zu hören sein.

Ich habe aus der Zeitung erfahren, dass ich keine Rede auf der Love Parade halten sollte. Das wäre letztlich auch paradox gewesen: Nicht mitmachen, aber eine Rede halten.

Ihre Beteiligung an der Fuck Parade ist doch sehr überraschend.

Der Kontakt besteht schon länger. Die Macher der Fuck Parade sind schon vor fünf Jahren auf mich zugekommen. Wir haben damals überlegt, wo unsere Gemeinsamkeiten sind. Wir haben gemerkt, dass wir auf der gleichen Wellenlänge liegen. Nur in der Form der Darstellung waren wir uneinig. Ich unterstütze ja wie die Macher der Fuck Parade freie Technopartys. Manche dieser Feiern wurden in den vergangenen Jahren z. B. in Frankreich und Tschechien von der Polizei gestürmt. Das ist ein Unding. Ich ha­be dann mit den Leuten von der Fuck Parade an einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor teilgenommen. Für mich ist es wichtig, den Zusammenhalt zu zeigen. Das Potenzial der elektronischen Musik liegt in ihrer Vielfalt. Eigentlich wollen wir ja alle das Gleiche.

Was können wir von Ihrer Rede erwarten?

Es wird auf keinen Fall eine Brandrede werden. Ich möchte aufzeigen, wo wir herkommen, wo wir sind und welche Aussichten wir haben. Es ergibt keinen Sinn, sich aufzuregen, gegen etwas anzurennen oder für etwas zu demonstrieren. 1989 gab es so viele Demonstrationen gegen bestimmte Dinge. Deshalb wollte ich für etwas auf die Straße gehen. Daraus ist die erste Love Parade unter dem Motto »Friede, Freude, Eierkuchen« entstanden. Inzwischen braucht man weder gegen noch für etwas zu demonstrieren. Wir sollten besser unsere Ideale zeigen und die gute Seite aufbauen. Es geht darum, Träume und Ideale zu verwirklichen.

Sie haben bereits Pläne für eine alternative Veranstaltung zur Love Parade.

Ja, ich muss aber noch ein professionelles Konzept schreiben. Das werde ich zur passenden Zeit vorstellen, um geeignete Partner zu finden. Es besteht ein großes Interesse. Es gibt mit der Love Parade ja eine große Lücke, die geschlossen werden kann. Es könnte etwas Großes werden. Vielleicht wird es wieder in Berlin stattfinden. Im Berliner Senat sitzen zum Glück Leute, mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Das Potenzial ist da.

Die elektronische Musikszene ist mitt­lerweile unterteilt in unzählige Nischen und Kategorien. Braucht die Welt überhaupt noch eine große, einigende Pa­rade der elektronischen Tanzmusik?

Die Love Parade ist die Mutter aller Technoparaden. Am Tag der Parade fallen Ostern und Weihnachten zusammen. Es ging uns immer um Frieden, Respekt und Einigkeit. Unser Motto war: Einheit durch Vielfalt. Das ist ein Gegenstück zum Konzept der EU. Die EU möchte Einheit durch Einfalt. Das ist Gleichmacherei. Hat der Schwarzwälder Schinken zu viel Nitrat, verstößt er gegen eine EU-Norm. Das vernichtet die regionale Identität.