Ein schuper Typ

Rudi Carrell ist tot. Keiner hat den telegenen Witz mit vorhersehbarer Pointe so kultiviert wie der Niederländer mit dem seltsamen Akzent. von martin schwarz

Es gibt im heutigen Fernsehgeschäft nur wenige Persönlichkeiten. Shows werden für gewöhnlich mit austauschbaren Moderatoren entwickelt, und das Personal wird dann tatsächlich auch oft genug ausgetauscht. Meist wird irgendeine Pappnase vor eine Kulisse gesetzt, und wenn die Pappnase sich emanzipiert oder mal aufmüpfig wird, ist sie so schnell wieder runter von der Mattscheibe, wie sie dort aufgetaucht ist. Ob die ewige Blondine Sonja Kraus nun das Billigformat »Talk Talk Talk« auf Pro Sieben moderiert oder Sabine Christiansen zu ihrer Talkrunde bittet, ändert wenig am Charakter derartiger Instantformate.

Es gibt nur wenige Ausnahmen im Unterhaltungsraumschiff Fernsehen. Günter Jauch etwa mit seinem »stern TV«; Thomas Gottschalk mit »Wetten, dass …«  und Stefan Raab mit »tv total«. Und natürlich Harald Schmidt mit seiner Show.

Früher, in der Zeit der großen Samstagabend-Shows, war das anders. Sie lebten vom Moderator, und austauschbar waren die Fernsehgesichter der siebziger und achtziger Jahre keineswegs. Hans-Joachim Kulenkampff war der Gentleman. Er prägte mit seiner jovial-näselnden Art das große Wochenend-Quiz »Einer wird gewinnen«. Und natürlich Hans Rosen­thal, der mit seinem Sprung bei gleichzeitigem Ausruf der legendären Worte »Sie sind der Meinung, das war spitze« einfach unvergesslich wurde.

Und dann gab es da noch einen, der zum telemedialen Pflichttermin für die ganze Familie wurde: Rudi Carrell. Er war es, der zwischen 1974 und 1979 mit der für heutige Verhältnisse viel zu langen und viel zu inhaltsleeren Doof-Show »Am laufenden Band« einen unterhaltungstechnischen Generationenvertrag in den Fami­lien besiegelte. Wenn »Am laufenden Band« lief, hockten von der Oma bis zum Säugling alle vor dem einzigen Fernseh­gerät der Familie.

Dabei war der Plot der Show von gewaltiger Ödnis. Die Kandidaten mussten sich in diversen Spielchen bewähren. Am Ende wurde der Gewinner in einen riesigen Korb­stuhl vor ein Förderband gesetzt und musste sich Konsumartikel – zumeist Kaffeemaschinen, Plattenspieler und Kleinmöbel – merken, die an ihm vorbeifuhren. Jedes Ding, das er sich hinterher gemerkt hatte und das er aufzählen konnte, durfte er mit nach Hause nehmen.

Ein bisschen bewegtes Memory eben. Wäre da nicht der Showmaster gewesen: ein spindeldürrer Mann mit damals schon ins Weißliche spielender Mähne, der mit seinem unglaublichen Akzent auffiel. Seine Sketche und Gags waren stets seicht, seine Pointen vorhersehbar, sein Humor ironisch, ohne zu verletzen. Wo heute die geifernde Bösartigkeit regiert, wurde damals noch auf Höflichkeit geachtet.

Der einzige wirklich legendäre Gag von Rudi Carrell führte gar zu diplomatischen Verstimmungen, denn von einem Sketch in »Rudis Tagesshow« fühlten sich die iranischen Mullahs zutiefst beleidigt. Carrell hatte den iranischen Sittenwächter Ayatollah Khomeini als Fetischisten dargestellt, der auf Damenunterwäsche steht. Die iranische Regierung forderte eine Entschuldigung, und fast hätte den harmlosen Holländer Carrell das gleiche Schicksal wie den Jahre später mit einer Fatwa belegten Schriftsteller Salman Rushdie ereilt. Sogar Polizeischutz musste er anfordern. Aber derartige Wirkungen hat er sicherlich nicht beabsichtigt. Ironie ja, kompromisslose Provokation nein, lautete seine Devise. Denn Carrell, der bereits mit 17 Jahren die Schule abbrach und zuerst in den Niederlanden als Confèrencier auf Dorffesten und kleineren Veranstaltungen arbeitete, hatte einfach Spaß an der Show. Und Spaß am Spiel mit Pointen, ohne die Verstörung der Zuschauer oder Kandidaten als Ziel der Unterhaltung zu begreifen, wie es heute der Fall ist.

Das belegt auch die Erfindung der wohl ersten Dating-Show im deutschen Fernsehen, der »Herzblatt-Show« im Jahre 1987. Nichts überließ der Pointen-Autokrat Carrell dem Zufall – nicht einmal die Antworten der liebeshungrigen Kandidaten. Deren Wortbeiträge waren so bemüht witzig, dass jedem Zuschauer schon in der ersten Folge klar war, dass Gag-Autoren am Werke waren. Und wenn die unvergleichliche Susi aus dem Off reichlich gedankenflüchtig die Antworten der Delinquenten zusammen­fasste, war auch immer schon klar, wen der Hahn oder die Henne im Korb da wohl wählen würde, um mit dem »Herzblatt-Hubschrauber« für einen Tag in den siebten Himmel zu entschweben. Immerhin sechs Jahre lang moderierte Carrell die Show, und auch das ist schon eine Meisterleistung, denn die klebrige Materie ist dazu prädestiniert, Moderatoren der Sendung schnell zu verschleißen. Nicht einmal Rainhard Fendrich, sein Nachfolger, hielt es lange durch, sich in das enge Korsett der Carrellschen Dramaturgie zu fügen.

Auch in seiner letzten großen Show »Sieben Tage – sieben Köpfe« wurde nichts dem Zufall überlassen. Zwar wurden Showstars und »Komiker« um einen runden Tisch versammelt, sie mussten aber vorbereitete Gags von Autoren nachsprechen. Die meisten Gags waren schlecht und die Pointen vorhersehbar, aber das Ballett der Worte und Widerworte war doch gewaltig und Ehrfurcht gebietend. Andererseits wieder nahm Carrell mit seinem solcherart zur Schau getragenen Perfektionismus seinen Marionetten viel vom Charakter, und hätte unter den Komikern mal eine einfach nur Schöne wie Michelle Hunziker oder ein einfach nur Langweiliger wie Ulrich Wickert gesessen – das Ergebnis wäre das Gleiche gewesen.

Nichts könnte besser Carrells Auffassung von Humor verdeutlichen als sein letzter Gag in seiner letzten Sendung von »Sieben Tage – sieben Köpfe« Ende des vorigen Jahres. Da goss er einfach ein Glas Wasser auf Harald Schmidts Hose. Der special effect war dabei: Das Glas war an einer Schnur befestigt, an der Carrell zog. Ein pubertärer Schmäh, zweifellos. Aber harmlos und einfach nett. Ein »schuper Gag« eben, wie Carrell in seinem niederländischen Akzent zu sagen pflegte.

Schuper war auch jener Schlager, der selbst jüngere Generationen zum Mitsingen animiert: Rudi Carrells unvergesslicher Gassenhauer »Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?« Ein harmloses Liedchen und das musikalische Komplementärprogramm zu »Ein Bett im Kornfeld«.

Selbst als schon absehbar war, dass der Krebs ihn besiegen würde, blieb er humorvoll und ohne Bitterkeit. Bei der Verleihung der »Goldenen Kamera« im Februar dankte der nach einer Chemotherapie ausgemergelte Carrell der Pharmaindustrie, die es ihm ermöglicht habe, bei der Gala anwesend zu sein.

Nach seinem Tod gibt es nur noch ganz wenige nicht austauschbare Fernsehgesichter. Die Pappnasen, die in die Kulissen gestellt werden, haben endgültig die Oberhand gewonnen. Und die austauschbaren Sendeformate im Instantdesign ebenso. Angesichts der Langlebigkeit von Rudi Carrells Formaten und seines Einflusses auf den deutschen Fernsehhumor bleibt nichts anderes übrig, als zu bekennen: Wir waren Rudi Carrell.