Es geht auch ohne Uniform

Viele Israelis wollten kein Gründungsmitglied von Gush Shalom als Verteidigungsminister sehen. Amir Peretz jedoch hat die meisten Zweifler überzeugt. von michael borgstede, tel aviv

Dass er mal einen Krieg führen würde, hätte Amir Peretz sich noch vor wenigen Monaten nicht träumen lassen. Eher unwillig hatte er nach den Wahlen im März das Amt des Verteidigungsministers übernommen, der langjährige Gewerkschaftsführer wäre lieber Finanzminister geworden. Wohl mit dem Hintergedanken, sich für die nächsten Wahlen militärpolitisch profilieren zu können, hat der Zivilist Peretz schließlich nachgegeben.

Der Spott folgte auf dem Fuße. Nichts schien ihn für das Amt zu qualifizieren. In einem Land, in dem politische Karrieren nicht selten in der Armee beginnen, sollte ausgerechnet ein Gründungsmitglied der Friedensorganisation Gush Shalom (Frieden jetzt), ein ausgewiesener Sozialist, für die Armee verantwortlich sein?

Amir Peretz wurde 1952 in Marokko geboren. Im Alter von vier Jahren emigrierte er mit seiner Familie nach Israel und wurde in einem Durchgangslager im Negev untergebracht, aus dem sich die Stadt Sderot entwickelte. Er war in den sechziger Jahren einer der wenigen linken Rebellen in dem konservativen Städtchen. Im Alter von 14 Jahren verfaßte er mit einigen Freunden sein erstes Flugblatt, schon damals ging es um mehr soziale Gerechtigkeit.

Vier Jahre später wurde er zur Armee eingezogen und 1974 auf dem Sinai bei einem Unfall schwer verletzt. Ein ganzes Jahr war er ans Bett gefesselt, dann konnte er sich zumindest im Rollstuhl fortbewegen. Ein Angebot der Armee, eine Tankstelle zu führen, lehnte er ab. Er wollte nicht als Chef Untergebene kommandieren. Stattdessen kaufte er einen kleinen Bauernhof und lernte, gegen die Voraus­sagen seiner Ärzte, wieder laufen.

1983 ließ er sich bei der Bürgermeisterwahl für die Arbeitspartei in der Likud-Hochburg Sderot aufstellen – und gewann. Seit 1988 sitzt er in der Knesset, 1995 wurde er zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Histadrut gewählt. Überraschend gewann er im vergangenen Jahr die Wahl zum Vorsitz der Arbeitspartei gegen den Favoriten Shimon Peres. Die Parlamentswahl wollte er dann nicht mit sicherheitspolitischen, sondern sozialen Themen gewinnen. Das gelang nicht, dennoch war der Wahlsieger Ehud Olmert auf die Arbeitspartei für die Regierungsbildung angewiesen.

Nach über einer Woche der kriegerischen Ausein­andersetzung an der libanesischen Grenze hat der neue Verteidigungsminister nun viele Zweifler überzeugt. Seine plötzliche Entschlossenheit und Selbstsicherheit im Amt hat die Zufriedenheit mit seiner Person in der Bevölkerung von 30 auf 70 Pro­zent steigen lassen.

Tatsächlich scheint es, als habe der immer auf eine Verhandlungslösung mit den Palästinensern bedachte Peretz eine radikale Wandlung durchgemacht. Er war es, der darauf drängte, die libanesische Regierung für die Raketenabschüsse der Hizbollah zur Verantwortung zu ziehen. Er habe die Denkmuster innerhalb des Armeeapparates verändert, berichtete Peretz der Zeitung Ha’aretz: »Ich habe gesagt, es gibt keine Unbeteiligten mehr, es gibt nur solche, die Unterschlupf gewähren.« Jeder, der Terroristen helfe und ihnen gestatte, in seinem Haus Waffen, Munition oder Raketen zu lagern, mache sich dadurch zum Ziel. »Wir werden nicht danach fragen, auf wessen Namen das Gebäude registriert ist, wir werden es bombardieren.«

Die Bevölkerung steht hinter ihm, Israel erlebt einen Moment seltener Einheit. Mangelnde Entschlossenheit können ihm auch rechte Kritiker kaum vorwerfen, und in der Linken herrscht überwiegend die Meinung, die wohl auch Peretz zu seiner politischen Wende veranlasste: Nachdem Israel sich aus dem Libanon und dem Gaza-Streifen zurückgezogen hat, kann von einem Kampf gegen die Besatzung nicht mehr die Rede sein. Jetzt geht es für den jüdischen Staat ums Überleben.