Man muss mal

Nach der WM darf auch der Altmeister Arno Breker wieder mitspielen. von stefan ripplinger

Nach der Weltmeisterschaft im Fußball ist dieses ein anderes Land. Fried­­richshainer Punks stehen stramm, wenn die Nationalhymne angestimmt wird, frühere Verächter der Nation flaggen Schwarzrotgold und Günter Grass, der Sprecher des linksliberalen juste milieu, begrüßt eine Ausstellung des Nazibildhauers Arno Breker in Schwerin: »Breker hatte durch­aus Talent, das lässt sich aus seinen Anfängen heraus beweisen. Er hat sich aber von den Nationalsozialisten korrumpieren lassen.« Noch erkennbar in Partylaune zeigt sich Jörg Magenau in der taz. Darf man Breker ausstellen? »Ja, man darf. Mehr noch: Man muss.«

Mann muss. Und warum? Weil Breker »Teil der deutschen Geschichte und der Kunstgeschichte« ist, »die eben nicht nur das Schöne und das Gute und das Wahre enthält«, sondern auch das Erhabene und Brutale, das den Hitler­jungen Schauer über den Rücken jagt. Deutsche Geschichte, deutsche Kunstgeschichte – wer sich zum Hüter dieser Kloake macht, der darf auch die Körperpanzer von SS-Männern zeigen, mehr noch: Er muss.

Wenn die Macht des Sports nicht überschätzt werden soll, lässt sich, was zunächst wie eine patriotische Übersprungshandlung anmutet, nur damit erklären, dass der Protest des Punks, der Antinationalismus des Linksradikalen und Grassens Kritik von jeher substanzlos waren. Wenn einer seine Waffen sinken lässt, sobald durchs Olympiastadion geballert wird, hätte er sie im Ernstfall ohnehin nicht zu benutzen gewusst, und vermutlich waren die Florette nur Regenschirme. Im Olympiastadion aber wachen die Statuen von Josef Thorak und Arno Breker noch immer über den Kampf der He­roen.

Die Frage, ob Breker gezeigt werden darf oder nicht, stellt sich also gar nicht. Er wird bereits gezeigt, nicht nur im Olympiastadion. Die deutschen Städte sind ein großes Museum nazistischer Architektur, Deutschland ist das größte Holocaust-Museum der Welt. Kaum ein Haus in Berlin, aus dem nicht Menschen gezerrt wurden, um sie in Viehwaggons zu wer­fen. Kaum ein Familienalbum, kaum eine Talk­show und kein Martinwalser­roman, aus denen nicht der Geist von gestern wallte. Gibt es noch einen Bedarf an faschistischer Ästhetik, der nicht gedeckt werden könnte? Dass er, nicht nur in einschlägigen Kreisen, wächst, hat der Fall schon jetzt gezeigt.

Wenn heute die Linken und Linksliberalen argumentieren wie früher die Rechten, sind es doch immer noch dieselben Argumente. Freilich muss es auf dem Meinungsmarkt zu einem bedenklichen Wettbewerb kommen. Das links­patriotische »Man muss« kann die Rechte nur noch mit dem Zungenschlag der Dreißiger über­schreien: »Der augenblickliche Eiertanz um Arno Breker ist jedenfalls vollkommen unproduktiv, schlimmer noch: Er droht zu entarten zum Tanz ums goldene Kalb«, ereifert sich Tilman Krause in der Welt und meint mit den Entarteten die »üblichen Verdächtigen, mit der erstaunlichen Ausnahme des Günter Grass«. Aber es fallen ihm als Beispiele auch nur Klaus Staeck und ein einzelner Kunsthistoriker ein, der sich in der SZ – die ansonsten wie alle andern für die Ausstellung warb – einige Einwände gestattet hat.

Weil es keinen Gegenwind, keine ernst zu nehmenden Gegner gab, mach­ten es sich die Propagandisten der Schau diesesmal besonders leicht. Die in vielen Zeitungen kolportierte Behauptung, Brekers Schau in Schwerin sei seine erste Retrospektive nach dem Krieg, ist eine glatte Lüge. Bereits 1981 wurden seine Werke in West­berlin präsentiert. Obwohl, wie Jean Tinguely bemerkte, Breker »immer ein mieser Künstler« war, ist er doch anders als Hunderttausende mieser Künstler niemals in Vergessenheit geraten. Das Blut, das an seinen Skulpturen klebt, verleiht ihnen noch immer unwiderstehlichen Haut-Goût.

Die Behauptung des Kurators und Grassens, Breker habe klein und fein mit Rodin angefangen und sich dann leider vorübergehend korrumpieren lassen, erscheint mit Blick auf die Skulptur »Junges Europa« von 1980 nachgerade brekerfeindlich. Der Mann hat im Reich zu seinem Stil gefunden, und an diesem Stil hielt er wacker fest. Wolfgang Fritz Haug hat die Skulptur in seinem Buch »Die Faschisierung des bürgerlichen Subjekts« (1986) trefflich beschrieben: »Das Objekt, der junge Mann, stellt seinen Körper aus wie ein Dressman ein Kleidungsmodell. Er steht breitbeinig da. Die Hände bilden eine auf­fällige Geste um sein Glied; die Geste konzentriert die Aufmerksamkeit dorthin und deutet riesiges phallisches Format an. Und doch ist es nicht die Haltung des selbstbewusst Protzenden, denn der Kopf ist zur Seite gedreht, folgsam, als ob der Voyeur nicht durch den Gegenblick des Betrachters gestört werden sollte. Dann ist dieser weggedrehte Kopf noch als Vogelkopf gebildet, und zwar als Adlerkopf, dadurch einerseits wie durch eine Maske entpersönlicht, andererseits identifiziert mit dem Emblem, das die Markenbutter mit der Geldmünze und der staatlichen Führungssphäre, aus der einflussreiche Kunden Brekers kommen, gemeinsam überformt. Der Witz dieser Statue besteht darin, dass sie einen Grenzfall darstellt. Fast ebensogut wie zur Aufgeilung führender Herren kann sie zur öffentlichen, allgemeinen und lachenden Erkenntnis ihres Triebknotens dienen. Sie ist zugleich ein Sinnbild der grausig-komischen Widersprüche eines ge­wissen Männlichkeitskults.«

Brekers Pimmelpomp erinnert daran, wie wichtig verdrängte homosexuelle Anteile im Triebhaushalt des Nazis waren. Im freieren Frankreich genoss man dagegen ganz ungeniert. Und so gehörte Jean Cocteau zu Brekers Anhängern unter den französischen Schwulen, die den straffen, todbringenden SS-Körper bewunderten. Marcel Jouhandeau verliebte sich in den Sonderfüh­rer Gerhard Heller, Jean Genet seufzte noch in den Sechzigern in der Erinnerung an Saft und Kraft des Herrenmenschen, Pierre Drieu La Rochelle und Robert Brasillach trommelten für die Nazis und ihre Kunst. Breker selbst freute sich, dass die französischen Schöngeister den einmarschie­renden deutschen Soldaten als »Partner von morgen« umschmeichelten. Während Paris kuschelte, forderte die Provinz den Blutzoll, und das nicht zu knapp.

Als in den achtziger Jahren der Pop-Sammler Peter Ludwig, nach eigenem Bekennen »national bis in die Knochen« und ein ganz entschiedener Pro­pagandist Brekers, sich darauf berief, dieser sei in »Frankreich weithin geschätzt«, bestätigte er also nur die von Haug ana­lysierte Verschiebung. Die Unterdrückung alles Weiblichen und Weichen – gewissermaßen des Schönen und Wahren –, wurde paradoxerweise von schwu­ler Notdurft gesteuert. Seit Klaus Theweleits »Männerphantasien« keine taufrische Erkenntnis mehr, die aber noch immer nicht in ihrer ganzen Abgründigkeit ausgelotet ist. Die Franzosen plauderten aus, worüber in Deutschland der »hochgestellte homosexuelle Voyeur« (Haug) errötete. Das ist das Interessante an Breker, und nicht, wie in Schwerin gezeigt, dass er sich auch als Ersatz-Rodin an nicht ganz so monumentalen Formaten versuchte.

Doch diese Auseinandersetzung soll gerade nicht gewagt werden. Von interessierter Seite wird der Eindruck vermittelt, den Deutschen werde ein wertvoller Teil ihrer Vergangenheit vorenthalten. »Wir sind doch als Volk nicht zu entmündigen«, empörte sich schon Peter Ludwig. Aber das ist es gerade: Wenn »wir« ein »Volk« sind, sind wir bereits entmündigt.