Panzer zu Einzelteilen!

Im thüringischen Rockensußra befindet sich der einzige Schrottplatz für Kriegsgerät in Deutschland. von sebastian krüger

Das Dorf Rockensußra im nordthüringischen Hügelland ist über 700 Jahre alt. Weniger als 300 Menschen wohnen dort. Bis zum Jahr 1991 spielte es keine Rolle in der Weltgeschichte. Seitdem allerdings wird es scharf beo­bachtet – aus dem Weltall. 25 Militärsatelliten haben ihre Kameras auf den Rand des Ortes gerichtet. Denn hier demilitarisiert die Battle Tank Dismantling GmbH (BTD) gepanzertes Kriegsgerät. Es wird kampfunfähig gemacht, zerlegt und anschließend bis auf die letzte Niete verschrottet.

Von seinem Büro aus hat der Geschäftsführer der BTD, Peter Koch, den großen »Rasterparkplatz« fest im Blick. Hier stehen sie in Reih und Glied: ausgemusterte Panzer der Bundeswehr, die Nummernschilder abmontiert und mit offenen Einstiegsluken. Der 50jährige ehemalige Bergbauingenieur mit blasser Haut, dünnem Haar und flinken Äuglein hat sich inzwischen an die Beobachtung aus dem All gewöhnt. »Jede einzelne Panzerbewegung muss gemeldet werden«, erläutert er und spricht dabei so zackig, dass man nur jedes zweite Wort versteht. »Passiert das nicht, wimmelt es hier in einer Viertelstunde von Feldjägern!« Auf seinem Schreibtisch umzingeln Spielzeugpanzer aller Art einen grotesk geformten Briefbeschwerer. Der ist aus Panzerstahl und wurde von einem friedliebenden Kunstschmied extra für ihn angefertigt. »Ich mag das Ding, denn Panzer vernichte ich gern!« Seine Arbeit definiert Koch als seinen ganz persönlichen Beitrag zum Weltfrieden.

Im November 1990 einigten sich die Staaten der Nato und des Warschauer Paktes darauf, ihre Waffenarsenale zu verkleinern. Ziel des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) war und ist es, »ein stabiles Gleichgewicht auf niedrigem Niveau« zu erhalten und »Überraschungsangriffe und Offensivhandlungen« unmöglich zu machen. Den Zuschlag für die Abrüstung der überzähligen Panzerwaffen bekam der Schrottplatz Rockensußra, der so zur einzigen von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zugelassenen Demilitarisierungsstätte in Deutschland wurde. Auch die Deutsche Bahn hat den Schrottplatz bereits zum Abwracken unreparierbarer Reichsbahnwaggons genutzt.

Heute arbeiten hier 13 Demonteure, die früher im nahen Kalibergbau beschäftigt waren. Als dieser nach der Wende eingestellt wurde, begannen sie ihre Karriere als Panzerverschrotter.

Die Panzer der Nationalen Volksarmee der DDR sind inzwischen vollständig verschrottet. »Bis auch die Bundeswehrbestände, die unter den KSE-Vertrag fallen, verschrottet sind, gehen noch sieben oder acht Jahre ins Land«, schätzt Koch. Auch die Schweizer Armee hat ihm schon 650 Panzer zum Zerkleinern anvertraut, mit weiteren Ländern ist er im Gespräch. Obwohl das Gelände nach wie vor über einen Gleisanschluss verfügt und ein Güterzug auf einen Schlag dutzendfachen Nachschub anliefern könnte, werden die Panzer einzeln auf Tiefladern nach Rockensußra gebracht. »Die Preise der Bahn für den Panzertransport sind einfach exorbitant«, schimpft der Geschäftsführer. »Ich muss ja auch sehen, wo ich bleibe. Wir kaufen die Panzer der Bundeswehr ab und verkaufen den Schrott an deutsche Stahlwerke. Das ist ein Geschäft wie jedes andere auch.«

Heutzutage haben es die Demonteure meist mit schweren Kampfpanzern zu tun. »Die werden nach und nach alle ausrangiert. Die Bundeswehr braucht sowas nicht mehr. Heute ist leichtes Gerät gefragt, das schnell von A nach B verlegt werden kann«, sagt Koch und beißt sich auf die Lippen, als habe er zu viel verraten. Über Herkunft und Menge, Kosten und Preise der Panzer schweigt er: »Stückzahl X – mehr sag’ ich nicht.« Auch die abgeschiedene Lage im hintersten Winkel Thüringens ist Kalkül: »Hier agieren wir abseits der Öffentlichkeit. Schließlich steht auf unserem Hof einsatzfähiges Kriegsgerät, auch ohne Munition ist das kreuzgefährlich.« Rolle ein Panzer erst mal unbefugt los, lasse er sich nur mit »ultimativen Mitteln« stoppen, sagt Koch.

Auf dem Hof vibriert der Boden, und Abgaswolken verdunkeln die Sicht. Unter ohrenbetäubendem Lärm wird ein »Leopard« vom Parkplatz in die Demontagehalle gezerrt – von einem staubigen Panzer, der zu einem Schleppfahrzeug umgebaut wurde. Lässig winkt Ronald Kirschner das Fahrzeug herein. Die Arbeit, deren Sinn im Auseinandernehmen und Kaputtmachen besteht, gefällt ihm. »Da kehrt Frieden in die Waffe ein, das ist doch schön.« Der rundliche Mittfünfziger saß zur Zeit der DDR als Abgeordneter der FDJ in der Volkskammer. Heute trägt er statt eines Blauhemds einen ölverschmierten Blaumann, der über seinem Bauch mächtig spannt. »Leos sind Fischbüchsen«, erklärt er gemütlich, »dagegen waren unsere alten Russenpanzer echt schwer zu knacken. Deren Panzerung bestand aus einer Molybdän-Legierung. Die hat unter dem Schneidbrenner zwar geglüht, man konnte sogar durchgucken, bloß kaputt ging sie nicht.«

Um einen Panzer des Typs »Leopard« in wiederverwertbare Schrottpartikel zu zerlegen, brauchen die Demonteure vier bis fünf Tage. Zuerst müssen alle Flüssigkeiten heraus, allein aus dem monströsen 830-PS-Motor sickern über 100 Liter Öl. Dann findet der »heilige Schnitt« statt: Das Panzerrohr wird abgetrennt und anschließend zerkleinert. Als nächstes rücken die Demonteure dem Kampfraum zu Leibe. Verkleidungen, Batterien und kleine Behälter, alles wird zerschnitten, herausgerissen, kaputtgemacht. Sie schweißen Löcher in armdicke Metallplatten, lösen fingergroße Schrauben mit zischender Pressluft. Was klemmt, erhält einen Stiefeltritt, was sich sträubt, einen Hammerschlag. Die Destruktion folgt einem strengen Regelwerk, damit auch ja nichts wieder zusammengesetzt werden kann. Denn außer dem Rohr gelten auch die Zündvorrichtung, der Panzerturm und Trieb- und Fahrwerk als eigenständige Waffen und müssen separat vernichtet werden. Entsorgt wird alles, auch die Hinterlassenschaften der letzten Panzerbesatzung: vergammelte Essensreste und Liebesbriefe – weg damit!

Am Ende bleiben je nach Panzer zwischen zehn und 50 Tonnen grob vorsortierter Metallschrott übrig. Hier eine Kiste mit Kabeln, da ein Stoß Bleche, dort ein Berg Stahl. Dazwischen Gerümpel und ein Haufen Hausschrott, der ebenfalls hier abgegeben werden darf. »Manches Teil ließe sich gut verkaufen«, sagt Peter Koch. »Die Motoren zum Beispiel würden die Chinesen liebend gern in ihre Schiffe einbauen. Wir müssen aber alles zerstören, nur den Schrott dürfen wir verkaufen.« Bevor es jedoch soweit ist, muss noch ein Gutachter vorbeikommen, der jede abgerüstete Kriegsmaschine einzeln aus dem Kriegswaffenbuch austrägt. Erst dann hat ein Panzer offiziell aufgehört zu existieren.