Vielleicht doch kein Satan

In Großbritannien bemühen sich einige kleine linke Gruppen, gegen Antisemitismus und Antizionismus in der linken Bewegung vorzugehen. von peter ullrich, glasgow

Die jüngste Entwicklung im Nahen Osten sorgt in der traditionell propalästinensischen britischen Linken für Wut und Entrüstung. Die trotzkistische Zeitung Socialist Worker machte in der vergangenen Woche mit der Schlagzeile auf: »Israels barbarischer Krieg«, daneben war ein Kind im Fadenkreuz zu sehen. George Galloway, der Parlamentsabgeordnete der linken Partei Respect, forderte vor zwei Wochen in London während der Konferenz Marxism 2006 »Victory to the Intifada«. Dafür bekam er mehrere Minuten Applaus. Kaum ein anderes Thema konnte die Anwesenden dort so sehr begeistern. Mit der gleichen Euphorie wurde auch Azzam Tamimi gefeiert – für sein stolzes Bekenntnis, dass er der Hamas nahe stehe und seit Jahren Mitglied der Muslimbruderschaft sei.

Allgemein betrachtet, gewinnt das Thema Naher Osten wieder an Bedeutung in der britischen Linken. Das nächste große Ereignis, das ihr ins Haus steht, ist die Demonstration gegen die Jahrestagung der Labour Party am 23. September in Manchester. Die Hauptforderungen hierfür lauten zwar, die Truppen aus dem Irak zurückzuziehen, einen Angriff auf den Iran zu verhindern und die Aufrüstung der britischen Trident-­U-Boo­te zu stoppen. Doch auf den zahlreich stattfindenden politischen Veranstaltungen ist immer auch der Konflikt im Nahen Osten ein Thema.

Ob dies allerdings bedeutet, dass erneut antiisraelische Aktionen bestimmend in der linken Bewegung werden, wie im vergangenen Jahr, als britische Hoch­schullehrer einen Boykott israelischer Universitäten beschlossen, ist fraglich. Die Terroranschläge in der Londoner U-Bahn am 7. Juli des vergangenen Jahres und die Schuldzuweisung an Israel im Konflikt mit den Antisemiten der arabischen Länder entfachten neue Debatten unter den Linken, die dem antizionistischen Mainstream kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. So fordert etwa die Gruppe Engage, Antisemitismus und islamistischen Terror schonungs­los zu kritisieren – auch innerhalb der Linken.

Diese Gruppe, die vor allem aus Akademikerinnen und Akademikern besteht, fand sich zusammen, als die britische Universitätsgewerkschaft AUT im vergangenen Jahr beschloss, israelische Universi­täten zu boykottieren. Die AUT und demzufolge auch ihre Beschlüsse gibt es nicht mehr, da sie sich Anfang Juni mit der ehemals konkurrierenden Gewerkschaft Natfhe zur University and College Union (UCU) vereinigte. Doch auch die Natfhe empfahl ihren Mitgliedern auf ihrer letzten Konferenz vor dem Zusammenschluss einen Boykott der israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich nicht von der israelischen Politik distanzierten.

Aus der Empörung über die Beschlüsse der Gewerkschaft entstand inzwischen eine Gruppe, die kontinuierlich daran arbeitet, Antisemitismus in der Linken zu bekämpfen. Zweimal bereits erschien in diesem Jahr das Journal Engage, das sich mit Antisemitismus und Antizionimus auseinandersetzt. Gleichzeitig bietet die Homepage reichlich Informationen und ein Diskussionsforum. Angesichts der Boykottaufrufe ist man sich einig, dass der Antizionismus die gegenwärtige Ausprägung des Antisemitismus darstelle. David Hirsh, einer der Gründer der Initiative, fordert die Linke daher in einer Stellungnahme auf, deutlicher zwischen den berechtigten Interessen der Palästinenserinnen und Palästinenser und dem antisemitischen Krieg der Hamas und der Hizbollah gegen Israel zu unterscheiden.

Eine andere Initiative, die sich nach ihrem Treffpunkt im Londoner Stadtteil Eus­ton benannt hat, fand sogar Aufmerksamkeit auf internationaler Ebene. Im »Euston Manifesto« ( Jungle World, 20/06), das auch in britischen Boulevardmedien intensiv besprochen wurde, geht es nicht nur um Israel. Vielmehr wird gefordert, grundlegende Prinzipien einer progressiven und antitotalitären Politik zu benennen. Die Initiatoren sprechen sich in dem Manifest klar gegen Kulturrelativismus, Antiamerikanismus und Antizionismus und gegen Rücksicht auf totalitäre Bewegungen aus.

Diese Kritik richtete sich insbesondere gegen die Verbrüderung einiger Linker mit dem Islam, dessen Anhänger man im Kampf gegen die USA zu gewinnen trach­tete. Die Partei Respect, die aus der Socia­list Workers Party (SWP) und der Muslim Association of Britain hervorging, zeigte schließlich, dass linke Grundsätze wie das Recht auf Abtreibung, Säkularismus und der Kampf gegen Homophobie allzu rasch fallen gelassen werden, wenn sich Politiker Stimmen religiöser Wählerinnen und Wähler erhoffen. Für Kat, eine der Initiatorinnen des Manifests, steht das Kürzel SWP deshalb für »Stoning Women Permitted«.

Trotz einiger Ähnlichkeiten mit der deutschen Diskussion über antideutsche Thesen und Themen, wie etwa die Kritik am Antisemitismus und am Islamismus, die Solidarität mit Israel und der positive Bezug auf »westliche Werte«, gibt es gravierende Unterschiede. Vor allem sind die­se Diskussionen in der radikalen Linken Großbritanniens vergleichsweise marginal. Proisraelische Ansichten finden sich noch eher im Umfeld von New Labour, etwa bei den Labour Friends of Israel, als in Kreisen, die sich als linksradikal definieren. Bis zum vergangenen Jahr gab es eine einzige kleine trotzkistische Gruppe mit vielleicht 100 bis 200 Mitgliedern, die Alliance for Workers Liberty (AWL), die sich offensiv für Israels Sicherheit einsetzte.

Dafür, und wegen ihrer Zurückhaltung in der Frage eines sofortigen Truppenabzugs aus dem Irak, bekommen sie oftmals den Vorwurf zu hören, sie seien Zionisten und Freunde von Imperialisten. Dabei fordert die Partei auch, die Angriffe auf Gaza und den Libanon zu beenden, und veranstaltet deswegen sogar Mahnwachen vor der israelischen Botschaft. Im Gegensatz zu den meisten Linken geschehe dies aber, wie Martin Thomas, der Sprecher der AWL, betont, aus einem Gefühl der Verbundenheit mit Israel und ohne die For­derung, das Land solle seine Selbstverteidigung aufgeben.

Linke Demonstrationen, auf denen Solidarität mit Israel bekundet wird, sind in den nächsten Tagen allerdings wohl nicht zu erwarten. Es fanden aber am vergangenen Wochenende in zwölf britischen Städten so genannte emergency demonstrations der Stop the War Coalition statt. Das Motto lautete: »End Israel’s barbarism now – Don’t attack Syria or Iran«.