Die Ökonomie der Frauen

Penelope Cruz, die sonst wie ein tiefgefrorenes Reh wirkt, taut auf. Männer hingegen kommen ins Tiefkühlfach. esther buss über den neuen Film von Pedro Almodóvar.

Auch hier taucht er wieder auf, der etwas beschränkte machistische Typ. Man kennt ihn schon aus vielen Filmen von Pedro Almodóvar, wo er in oftmals parodistischer Manier als Produkt der faschistischen Gesellschaft vorgeführt wird, ein Restposten der Ära Franco. Jetzt aber kommt seine letzte, etwas klägliche Vorstellung. Denn in »Volver« kann man erleben, wie das Almodóvar-Universum auch von den letzten Spuren dieser Spezies befreit wird.

Die einzige männliche Figur in diesem Film ist ein dumpfer Versager, der biersaufend vor dem Fernseher sitzt, der Teenager-Tochter zwischen die Beine glotzt und bei seinen sexu­el­len Annäherungen schon nach wenigen Filmminuten von ihr niedergestochen wird. In einer alten Tiefkühltruhe ruht er nun, eingepackt und verschnürt, im rumpeligen Hinterzimmer eines leer stehenden Restaurants.

Dieser Mann spielt im Verlauf des Films nur insofern eine Rolle, als sein Leichnam irgendwie entsorgt werden muss. Ansonsten ist Raimunda, die von Penelope Cruz gespielte Ehefrau des Toten, mit noch ganz anderen Dingen beschäftigt: mit ihrer Tochter Paula, ihrer Schwes­ter Sole, einer bald sterbenden Tante, der krebs­kranken ehemaligen Nachbarstochter Agustina und nicht zuletzt mit der familiären Vergangen­heit, die alle Figuren dieser drei Generationen zusammenhält und plötzlich in Form der toten Mutter wieder lebendig wird.

»Volver« heißt »zurückkehren«. Almodóvar scheint sich richtig darüber zu freuen, vom Zu­rückkehren zu erzählen. Ein bisschen wehrt er sich damit auch gegen das Ende und den Abschied, mit seinen vielen Rückkehrern. Diese sind: die Mutter, sie muss eine zu Lebzeiten ver­säumte Aufgabe nachholen (nachdem sie bei einem Brand ums Leben gekommen ist), die Gemeinschaft der Frauen (nach dem vorangehenden Männerklosterfilm »La Mala Educatión«), das ländliche La Mancha, der Ort, an dem Don Quijote wahnsinnig wurde, und auch der Ort von Almodóvars Kindheit, die Komödie und die Schauspielerin Carmen Maura, Hauptdarstellerin zahlreicher früher Filme, sie spielt die Mutter.

Almodóvar und die Geister, das hat nichts mit der Rückkehr der lebenden Toten oder Hokuspokus zu tun. Der Film widerspricht der klassischen Kon­struktion des Unheimlichen auf allen Ebenen, nie wurde eine Geistergeschichte so lapidar erzählt, so irdisch und realistisch, dass man sie gar nicht als solche erkennt. Anfangs erinnern zwar noch die langen, schlohweißen Haare der Mutter an den Gespenster-Look, aber eigentlich sieht sie eher aus wie eine shopping bag lady.

Ihre Tochter Sole erschrickt auch ein bisschen, als Klopfzeichen aus dem Kof­ferraum ihres Autos zu hören sind und kurz darauf die vertraute Erschei­nung im geblümten Kittelkleid und mit gepackten Koffern vor ihr steht. Aber schon kurz darauf scheint es das Aller­normalste auf der Welt zu sein. »Wie lange bleibst du?« fragt die Toch­ter. »Sag mir Bescheid, wenn ich dir auf den Geist gehe«, sagt die Mutter. Später liegt dann der Geist in seinem Versteck unter dem Bett und furzt ab und zu.

Der Film macht keine Unterscheidung zwischen Realität und Vorstellung, den Lebenden und den Toten. Auch wenn sich das Auftauchen der Mutter später mithilfe einer rationalen Begründung auflösen wird (angeblich ist sie gar nicht gestorben), ändert das nichts an der filmischen Wirklichkeit. Denn die Mutter wird weiter das Leben eines Geists führen, hier und da mal auftauchen und die Dorfbewohner La Manchas in ihrem Aberglauben bestärken. Almodóvar versucht mit »Volver«, dem Tod etwas unglaublich Alltägliches und fast Profanes zu geben. Wenn er den Film auf einem Friedhof beginnen lässt, wo unzählige Frauen die Grabsteine schrubben und blankpolieren, dann sieht das nicht anders aus wie Küchen­arbeit. Und man erfährt, dass sich die Frauen im Dorf schon zu Lebzeiten ihre zukünftigen Grabstätten kaufen und sich darum küm­mern wie um eine Ferienwohnung.

Die (melo)dramatischen Elemente sind auch in »Volver« ziemlich dick aufgetragen. Nach dem steilen Anfang gibt es noch eine weitere inzestuöse Verstrickung, denn Raimundas Tochter ist eben auch die Tochter des Vaters ihrer Mutter und damit auch Raimundas Schwester. Das Schrille, Trash­ige, Campe der frühen Komödien ist nicht zurückgekehrt, die Welt ist immer noch sehr bunt, sehr rot, sehr blumig, aber sie dreht sich irgendwie langsamer, der Klang ist versöhnlicher.

»Volver« fährt dennoch immer wieder zu enormer Geschwindigkeit auf, wird zum Slapstick, wenn aus einer unvorhergesehenen Situation heraus schnell improvisiert werden muss. Manchmal ist das sehr albern, aber es bereitet großen Spaß. Etwa dann, wenn die Mutter vor den Kundinnen Soles, die in ihrer kleinen Madrider Wohnung einen illegalen Friseursalon betreibt, als Russin getarnt wird und der Film kurz ins Fach der Verwechslungskomödie wechselt, oder wenn Raimunda mit blutverschmiertem Hals auf die Frage des Nachbarn, ob sie sich verletzt habe, schlagfertig, aber gespielt nachlässig antwortet: »Eine Frauen­sache«.

Penelope Cruz, die in Hollywood­filmen meistens wie ein tiefgefrorenes Reh aussieht und alles andere als bezaubernd wirkt, spielt sensationell gut. Sie ist in jeder Szene anwesend und auf eine unglaublich beiläufige und souveräne Art sehr sexy. Mit tiefem Dekolleté, gepolstertem Hintern, Strickjacke, engem Rock, zerzauster Hochsteckfrisur und überstrapaziertem Temperament ist ihre Figur an die frühe Sophia Loren angelehnt, die vor ihrer mondänen und eleganten Phase oft neapolitanische Arbeiterinnen gespielt hat. Man genießt Al­mo­dó­vars Verknalltheit in Penelope Cruz, sein offensichtlicher Voyeurismus ist selbst dann, wenn er ihr beim Geschirrspülen direkt von oben in den Ausschnitt filmt, nie unangenehm, er nimmt ihr nichts, im Gegenteil.

In einer Szene läuft der Fernseher und man sieht in einem kurzen Filmausschnitt das absolute Gegenbild zu Sophia Loren, nämlich Anna Magnani. Penelope Cruz zeigt auch von ihr etwas, dann, wenn sie weint, und das tut sie sehr oft. Dabei zeigt sie ein gan­zes Repertoire an verschiedenen Tränen. Aber ob das Wasser in Strömen fließt oder auf merkwürdige Art in den Augen stehenbleibt, es sieht nie jammervoll aus.

Almodóvar ist ein Fan seiner Filmfrauen. Er feiert sie als stabile, funk­tionierende Community, weitab von programmatischer Sisterhood oder schnep­figer Aufgeregtheit. »Volver« zeigt auf völlig unsentimentale Art eine eher großfamiliäre Nachbarschaft und Solidarität unter Frauen. In dieser Form hat man das selten im Kino gesehen und auch nicht woanders. Der Nachbarin wird einfach ein Schwein oder werden ein paar Schachteln Kekse abgekauft, wenn man kurzfristig ein ganzes Filmteam bewirten muss, und die Prostituierte aus der Nachbarschaft hilft zum Nachttarif auch schon mal beim Vergraben einer Leiche. Die Frauen betreiben eine ganz eigene, zwanglose Form der Ökonomie, es wird gehandelt, Ware und Arbeit gegen Geld und Arbeit gegen Schuld. Diese Form der Frauengemeinschaft basiert nicht auf Hingabe und Aufop­ferung, sondern auf Tausch.

Volver. Regie: Pedro ­Almodóvar. Kinostart: 3. August 2006