Schöner streiten

Happy Family XI

Im jungen Glück denkt man selten an die Spätfolgen. Glitschig und verschwitzt poppt man durch die Nächte. Nur der Spaß zählt. Da regieren ausschließlich die tierischen Triebe.

Monate später ist er da, der kleine Matz, Fratz oder Spatz. Und plötzlich stellt man fest, dass die guten Freunde, Mitbewohner und Genossen Kinder ziemlich doof finden, denn so kann man nicht ordentlich kiffen und trinken, arbeiten und kämpfen. Nachts um eins Hardcore, Techno oder Death Metal zu hören, geht auch nicht mehr, denn der Kleine soll ja schlafen.

Also lebt man sich auseinander, zieht aus der WG aus und mit dem Partner zusammen, und dann passiert es: Die eigene Familie wird wieder wichtig, denn zumindest die Großeltern sind begeistert und akzeptieren nun auf einmal auch ohne mit der Wimper zu zucken den stets schwarz gekleideten »Schwiegersohn« oder die »Schwiegertochter« mit dem Nasenring, auch wenn sie oder er so seltsame Ansichten haben. Immerhin ist das ersehnte Enkelkind nun da und damit ist in der Regel alles gut.

Das nicht mehr ganz so junge Glück profitiert ja auch davon, denn die Oma nimmt das Enkelkind ganz gerne mal zu sich. Sogar am Wochenende! Diese Zeit kann man nutzen, um auf ein Konzert oder ins Kino zu gehen. Und plötzlich tauchen auch die Geschwister wieder auf und senden lustige Einladungskarten zu Geburtstagen, Rosenhochzeiten und Konfirmationen. Jetzt weiß man, dass man dazugehört. Aber man ist sich nicht sicher, ob es wirklich ein Grund zur Freude ist.

Die alten Freunde, Mitbewohner und Genossen waren ja auch so etwas wie eine Familie, aber eine, die man sich eben selbst ausgesucht hat. Man hat sich auch gestritten, aber über andere Dinge, und über vieles war man sich doch einig: Nicht nur Nazis sind scheiße, sondern auch Grüne und Sozis können Mist bauen, und die Schwarzen sind nicht um so vieles schlimmer als die Roten, nur ehrlicher. Auf diesen Familienfeiern muss dagegen jede Selbstverständlichkeit ausdiskutiert werden.

Dennoch fällt man auf solche Einladungen herein, streitet sich, verträgt sich und beschließt, bestimmte Dinge einfach nicht mehr anzusprechen. Die Liste der Tabuthemen wird immer länger, sie fängt bei der Politik und der Arbeit an und umfasst bald auch die Kultur und die Unterhaltung, den Sport und die Drogen, das Essen und die Kindererziehung etc.

Leider ist es jedoch üblich in Deutschland, dass Familienfeiern meist mit kollektivem Alkoholkonsum verbunden sind, und dieser lockert die Zunge und schon ist er da, der Familienkrach. Dann schwört man sich, beim nächsten Mal weniger zu trinken und bestimmte Themen auszulassen oder am besten ganz zu schweigen. Aber das klappt ja nicht, das ist ja utopisch. Wann man denn endlich erwachsen werden wolle, muss man sich da fragen lassen, und dass das nun mal nicht anders gehe, das mit den Sozialkürzungen, muss man sich sagen lassen, und dass die Regierung doch das Beste daraus mache.

Und dann beginnt man sich zurückzusehnen nach der eigentlichen Familie: den Freunden, Mitbewohnern und Genossen. Endlich mal über richtige Dinge zu streiten und nicht immer das Gefühl zu haben, gegen eine SPD-Plakatwand anzureden, das wäre doch mal wieder was.

axel klingenberg