Del Pontes zweiter Versuch

Nach einem chaotischen ersten Prozesstag wird in Den Haag der Srebrenica-Prozess gegen serbische Militärführer fortgesetzt. von boris kanzleiter, belgrad

Es begann mit einem Eklat. Der erste Prozess­tag war bereits nach wenigen Minuten wieder zu Ende. Erst am kommenden Montag wird UN-Chefanklägerin Carla del Ponte nun ihr Eröffnungsplädoyer halten. Alles deutet darauf hin, dass es eine Brandrede wird.

Als bei der Eröffnung des lange erwarteten Srebrenica-Prozesses am 13. Juli in Den Haag del Ponte das Wort ergriff, wurde sie bereits nach einer Minute von der Verteidigung der angeklagten sieben serbischen Offiziere schroff unterbrochen. Es sei nicht an der Tagesordnung, »emotionale Reden« zu halten, warfen sie del Ponte vor, die begonnen hatte, über eine Gedenkfeier für die Opfer des Massakers in der bosnischen Kleinstadt zu reden. Zum kaum verhohlenen Ärger der Chefanklägerin gaben die Richter der Verteidigung Recht. Del Ponte musste sich wieder setzen.

Für del Ponte ist der Srebrenica-Prozess der Mittel­punkt ihrer jahrelangen Bemühungen, den serbischen Militärs einen geplanten »Völkermord« nachzuweisen. Die Anklageschrift wirft ihnen vor, sie hätten »einen Teil des bosnischen muslimischen Volkes als eine nationale, ethnische oder religiöse Gruppe zerstören« wollen. Die an­geklagten Offiziere der bosnisch-serbischen Armee sollen eine »Übereinkunft« mit ihrem Oberkommandierenden Ratko Mladic getroffen haben, um etwa 8 000 in Srebrenica gefangen gehaltene männliche Kriegs­gefangene in Massen­exekutionen zu ermor­den und alle muslimischen Frauen, Alten und Kinder aus diesem von serbischen Truppen belagerten Ort zu deportieren.

Für alle Betroffenen geht es in diesem Prozess um mehr als die Feststellung in­dividueller Schuld oder Unschuld. Nach Einschätzung der Anklage werden mit Sre­brenica das schwerste Kriegsverbrechen des Kriegs in Jugoslawien und der erste Völkermord in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg verhandelt. Die serbische Seite hält die Anklage dagegen für übertrieben und falsch. Ihr Hauptargument lautet, daß es sich bei der Erschießung der bosnisch-muslimischen Kriegsgefan­genen keinesfalls um einen geplanten Völkermord gehandelt habe. Die Kriegsverbrechen seien vielmehr das Resultat militärischer Operationen, die als Reaktion auf offensive Bewegungen der bosnischen Muslime erfolgt seien.

Der Srebrenica-Prozess ist nicht nur wegen der Schwere der Anklage mit besonderen Emotionen verbunden. Die Öffentlichkeit in Bosnien-Herzego­wina und Serbien wird den Blick auch deshalb aufmerksam nach Den Haag richten, weil hier nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über die Zukunft verhandelt wird. Eine Verurteilung wegen Völkermordes würden vor allem bosnisch-muslimische Politiker wie Sulejman Tihic, ein Mitglied des Staatspräsidiums, bejubeln. Sie fordern seit eini­gen Monaten die Auflösung der in den Friedensverträgen von Dayton Ende 1995 als Bestandteil von Bosnien eingerichteten Republika Srpska. Sie behaup­ten, dieser von Serben besiedelte Staat im Staat sei auf einem »Genozid« gegründet und müsse daher »verschwinden«.

Die Forderungen aus Sarajevo rufen in der Republika Srpska wachsenden Zorn hervor. Premierminister Milorad Dodik hat mehrmals ein »Referendum über die Unabhängigkeit« an­gekündigt, falls die bosnischen Muslime ihre Ansprüche nicht zurückzögen.

Auch in den Niederlanden selbst wird der Sre­brenica-Prozess für erhöhte Aufmerksamkeit sorgen. Denn es waren im Juli 1995 etwa 400 nie­derländische UN-Soldaten, die das Töten in Sre­brenica nicht verhinderten. Nachdem dies gegen­über der Öffentlichkeit lange Zeit verschleiert worden war, gestand die Regierung sieben Jahre später ihre Mitverantwortung ein. Kurz darauf reichte sie ihren Rücktritt ein. Im Juli verkünde­ten fast 8 000 Überlebende des Kriegsverbrechens, die Niederlande auf Schadenersatz verklagen zu wollen. In dem Land gelten die Vorgänge in Srebrenica immer noch als »nationales Trauma«.