In der Blutsuppe

Pfaffen und Imame sollten sich in Acht nehmen. Slayer sind zurück und haben ganz schlechte Laune. von markus ströhlein

Immer wieder lässt sich in der härteren Rockmusik das folgende Geschehen be­obachten: Gibt es eine Band länger als zehn oder 15 Jahre und zeigen sich in den Haaren der Mitglieder graue Strähnen, dann kommen die Musiker auf seltsame Gedanken. Sie schreiben nicht mehr nur Songs, sie komponieren »Werke«. Sie wissen plötzlich, woher das Unrecht auf der Welt kommt, oder entdecken ihre Spiritualität. Sie sind nicht mehr ein­fach nur Musiker. Sie werden Künstler. Gitarre, Bass und Schlagzeug genügen nicht mehr, um ihre »Visionen« zu vertonen. Irgendetwas Gro­ßes muss dann her, am besten ein Orchester. So war es bei etlichen Bands, bei The Who, Led Zeppelin, Deep Purple oder Metallica. Und am Ende kam stets eine unhörbare Grütze heraus, deren Ekelhaftigkeit man mit der Beschreibung »Rock meets Classic« nur unzureichend gerecht wird.

Slayer gibt es seit 1982. Der Gitarrist Kerry King trägt eine Glatze. Die langen Haare des Bassisten und Sängers Tom Araya sind hier und da weiß, der Bart ist überwiegend grau. An den Hüften Jeff Hannemans, des anderen Gitar­risten, wölbt sich der Altersspeck. Und der Schlagzeuger Dave Lombardo sieht fahl und eingefallen aus. Es lässt sich nicht leugnen: Slayer sind alt geworden.

Dennoch kann man ohne ein flaues Gefühl im Magen und ohne Unbehagen »Christ Illu­sion« kaufen. Denn auf der neuen Platte der Band gibt es keine Streichersätze. Auch die berüchtigte »Rock­ballade« bleibt uns erspart. Die Gitarren kreischen und surren fies und dissonant. Tom Araya keift. Und Dave Lombardo spielt schneller als jemals zuvor. 1990 war er zuletzt auf einer Platte von Slayer zu hören. Danach beteiligte er sich bei einer Band namens Grip Inc., die niemanden so recht interessierte. Bei Fantomas musste er auf Mike Pattons Kommando absurde Dinge an seinem Instrument vollbringen. Das hat seinen Fähigkeiten sicher nicht geschadet. Aber nur bei Slayer darf Lombardo das tun, was er wirklich kann: Doublebass spielen, rauf und runter auf den Trommeln herumschlagen und die Becken scheppern lassen. Unablässig, 38 Minuten lang.

Das Album ist kurz. Es lässt die epische Breite, die alternde Rockisten brauchen, erst gar nicht zu. Zugegebenermaßen waren Slayer noch nie eine schlichte Rockband. Sie waren auch nie­mals einfach nur eine Metalband. Sie sind die Könige des Metal. Keine andere Band hat die sti­listischen Möglichkeiten des Genres so verdich­tet. Wer wissen möchte, was den Metal ausmacht, der höre die Platte »Reign in Blood«. Alle Metalbands müssen sich an ihr messen lassen.

Welchen Ruf die Kalifornier innehaben, lässt sich anhand eines recht eigenartigen Verhaltens feststellen, das man auf Metalfestivals beobachten kann. Wer sich auf eine derartige Zusammenkunft wagt, wird unweigerlich das laute Rufen vernehmen: »Slayer!« An allen Ecken plärren Leute den Namen der Band. Sturzbetrunkene verfallen in absurde Frage- und Antwort­spiele: »Slayer?« – »Slayer!« Und das geschieht selbst auf Festivals, auf denen die Band gar nicht auftritt.

Die Wirkung von Slayer reicht aber weit über diese bizarre Nische hinaus. Ihre Songs wurden für die Soundtracks verschiedener Filme verwendet, z.B. für »River’s Edge« mit Keanu Reeves, für die Comicverfilmung »Spawn« oder das debile Gruselpuppenfilmchen »Grem­lins 2«. Die Spex, in der die Wahr­heiten der Popkultur ausgehandelt werden, führt »Reign in Blood« in der Liste der 100 besten Platten des 20.Jahrhunderts auf dem zwölften Platz, vor Madonna, den Beatles, Miles Davis, John Coltrane und David Bowie.

Freilich ist »Reign in Blood« bereits 20 Jahre alt. Slayer haben auf dieser Platte ihren urtypischen Klang gefunden. Das war vor allem dem Produzen­ten Rick Rubin zu verdanken, der grö­ßere Berühmtheit durch seine Produk­tionen für den alten Johnny Cash erlangte. Er hat an jedem Album von Slayer mitgearbeitet.

Larry Carroll hat das Cover der neuen Platte gemalt. Schon für »Reign in Blood«, »South of Heaven« und »Seasons in the Abyss« hat er mit sicherem Geschmack Totenschädel, Satan, umgedrehte Kreuze, Blut und Gedärm als Artwork arrangiert. Auf »Christ Illusion« sieht man nun einen abgehalfterten und verstümmelten Jesus Christus, der über einer morbiden Landschaft schwebt. Wer ganz genau hinsieht, kann erkennen, dass eine Gestalt, die Mutter Teresa arg ähnlich sieht, in der gemalten Blutsuppe ersäuft.

Ist also alles beim Alten bei Slayer? Eif­rige Fans haben sich die Mühe gemacht und die Häufigkeit bestimmter Schlüsselbegriffe in den Texten der alten Platten ermittelt. Ganz vorne liegen »Blut«, »Hölle« und »töten«. So funktioniert die Masche mit der Provokation nun mal. Gut ist, was Mutti zur Weißglut bringt. Schlimm ist das alles nicht. Ernst nehmen muss man das auch nicht unbedingt.

Doch nun scheint es, als meine es wenigstens die Band ernst. Man muss deshalb nicht alarmiert sein. King, Hanneman, Araya und Lombardo predigen keinesfalls den besseren Weg. Sie bedienen sich auf ihre eigene, recht schlichte Weise einfach des Mittels der Nega­tion. Bereits auf der vorherigen Platte »God hates us all« war die Aussage klar: Gott gibt es nicht! Bleibt uns bloß gestohlen mit eurer Religion!

Auf dem neuen Album wird der atheistische Rundumschlag noch vehementer ausgeführt. Schon das Cover hat in Kalifor­nien für Proteste aus christlich-konservativen Kreisen gesorgt. Etliche Platten­händler haben sich geweigert, die CD zu verkaufen.

»Das heilige Gesetz ist Unterdrückung. Seine Propaganda verspricht nur Verzweiflung. Religion ist Hass. Religion ist Angst. Religion ist Krieg. Es gibt keinen Jesus Christus. Da hängt niemand am Kreuz.« Das schreit Araya im Song »Cult«. »Jihad« beschreibt die Anschläge des 11.September 2001 in recht drastischer Art aus der Sicht eines Selbtmordattentäters. Es gibt bereits die ersten Vorwürfe, die Ich-Perspektive wirke zu distanzlos. Bereits für den Song »Angel of Death«, der die Taten Josef Mengeles in der ersten Person schil­dert, hat sich die Band solche Vor­haltungen eingehandelt. Der Gitarrist Jeff Hanneman sagte damals: »Wem man noch erklären muss, dass Josef Mengele der Bad Guy ist, dem ist ohne­hin nicht zu helfen.« Das dürfte auch für den Jihadisten gelten.

Große Dichtkunst ist das freilich nicht, profunde Religionskritik auch nicht unbedingt. Ganz neue Ideen enthalten die Zeilen keinesfalls. Aber in Zeiten, in denen sich christliche Heranwachsende zu Hunderttausenden auf Kir­chentagen zusammenrotten oder fanatische Moslems wegen zweitklassiger Ka­rikaturen den heiligen Krieg ausrufen, sind die schlicht formulierten Einsichten Slayers bereits geistige Glanzleistungen, die man ernst nehmen kann oder auch nicht. Auf jeden Fall gilt: Bitte weiterbrüllen, Herr Araya!

Slayer: Christ Illusion (Warner)