Lass uns über Meiler reden!

Die gegenwärtige Diskussion über Atomkraft ist eine Scheindebatte. Längst ist klar, dass die Meiler nicht nur gefährlich, sondern auch viel zu teuer sind. von cord riechelmann

Nach dem Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark beeilte sich Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), mitteilen zu lassen, dass so etwas in einem deutschen Atomkraftwerk nicht hätte passieren können. Er ermahnte die Betreiber dennoch, weitere Sicherheitsprüfungen vorzunehmen. Weiterhin sagte er, der Vorfall in Forsmark habe abermals grund­sätz­liche Probleme der Atomtechnik offen gelegt und die Risiken ihrer Nutzung bestätigt. Es sei daher richtig, über Alternativen für die Stromversorgung zu sprechen.

Das bedeutet das Gegenteil einer Renaissance der Atomkraft, von der viele seit Jahren reden. So hätten Tony Blair und George W. Bush auf dem G 8 -Gipfel in St. Petersburg ein »kraftvolles Bekenntnis« zur Atomkraft abgelegt, war zu lesen. Mit Ausnahme von Angela Merkel, die wegen der Koalitionsvereinbarungen nicht so kann, wie sie vielleicht will, sprachen sich alle anderen Staatsoberhäupter ebenfalls für die Atomkraft aus. Aber das war’s auch schon. Der Präsident der USA weiß nämlich genau, dass das letzte Atomkraftwerk, welches in den USA in Betrieb genommen wurde, aus dem Jahr 1973 stammt.

Gern werden hierzulande Aussagen Bushs zitiert, dass Atomkraftwerke eine saubere Angelegenheit seien und es nur mit ihnen möglich sein werde, die Klimaschutzziele zu erreichen. Außerdem könne die Atomenergie helfen, vom immer teurer werdenden Öl unabhängig zu werden. Für viele Journalisten ist klar: Es wird zu viel Öl verbraucht, und das ist teuer, schadet der Umwelt und fördert den Klimawandel. Ein Mitbegründer der taz sagte vor nicht allzu langer Zeit, die Zukunft von Luft, Markt und Menschheit sei nur noch mit der Atomenergie zu gewährleisten, und die größten Verhinderer einer sauberen Welt mit einem freien Markt seien die Atomkraftgegner. Der neoliberal gewordene Journalist konnte sich kaum zügeln; Widerspruch war in diesem Fall zwecklos. Wie bei den meisten Renegaten waren seine primären Hirnfunktionen von Affekten lahm gelegt.

Tatsächlich besteht kein Zusammenhang zwischen dem hohen Ölverbrauch und einer angeblich zu geringen Menge des aus Atomkraftwerken gewonnenen Stroms. Der Journalist Manfred Kriener, selbst aktiv in der Anti-Atomkraft-Bewegung, hat es in der taz mit Bezug auf die USA so formuliert: Bush wisse auch, »dass Autos nicht mit Atomkraft fahren und Atommeiler nur einen kleinen Teil des horrenden Ölverbrauchs ersetzen könnten«. In einem Interview mit dem Handelsblatt kündigte der Präsident an, als Ausgleich für den steigenden Ölpreis die Preise für Wasserstoff, Brenn­stoffzellen und Biosprit zu senken. Das ist zwar auch nicht sonderlich klug, da eine klimafreundlichere und sicherere Energieversorgung vor allem darin bestünde, die vorhandenen Rohstoffe effizienter zu nutzen und generell den Energieverbrauch zu reduzieren. Es ist aber definitiv kein Plädoyer für die Atomkraft.

Am Beispiel USA wird deutlich, warum die Regierenden es vorziehen, keine konkreteren Aussagen zur Atomenergie zu machen. Sie spielt in den Planungen des Landes überhaupt keine Rolle, und das aus guten Gründen. Es hat in den vergangenen Jahren riesige Kraftwerkskapazitäten aufgebaut. »Allein zwischen 1999 und 2002 gingen 14 4000 Megawatt neu ans Netz. Das entspricht mehr als 100 großen Atommeilern«, schreibt Kriener. Ein Atomkraftwerk ist unter den neuen Energieerzeugern nicht zu finden.

Nicht allein Stromkonzerne in den USA weisen darauf hin, dass sie neue Meiler nur mit staatlicher Hilfe bauen könnten. Das konterkariert geradezu die neoliberalen Argumente von Wirtschaftslobbyisten wie Hans-Olaf Henkel. Atomstrom hat sich noch nie gerechnet. Alles, was mit der Atom­energie zusammenhängt – von der Grundlagenforschung in den zwanziger Jahren über die Atombombe bis zu den heutigen Kraftwerken –, ist das Produkt der gigantischsten staatlichen Subventionspolitik seit der Entstehung des Kapitalismus. Und die Kosten der Subventionspolitik wollen Staaten wie die USA, England, Frankreich und Deutschland nicht mehr tragen.

Atomkraftwerke sind zuerst Geldvernichtungsmaschinen. Zeitverzögerungen beim Bau wegen Pannen, Materialbrüchen und Planungsungenauigkeiten waren stets die Regel. Exemplarisch kann man das in Finnland am Bau von Olkiluoto III studieren. Das Kraftwerk soll als europäischer Druckwasserreaktor EPR der Atommeiler der Zukunft werden. Noch bevor im vorigen Jahr mit dem Bau begonnen werden konnte, wurde all das fällig, was immer fällig wird, wenn ein Atomkraftwerk gebaut werden soll. Staatliche Subventionen, steuerliche Vergünstigungen und Stromabnahmegarantien staatlicher Verbraucher wurden entgegen den Regeln des so genannten freien Marktes gegeben. Und kaum hatte der Bau begonnen, folgte, was immer folgt. Eine Panne jagte die andere, der Bau wird länger dauern als geplant und natürlich viel teurer. Nach einer neuen Generation von Meilern, die demnächst schön sauberen Strom nach Berlin schickt, sieht das nicht aus.

Daher ist es kein Wunder, dass sich selbst konservative Politiker wie Bush und Merkel mit konkreten Aussagen zum Neubau von Atomkraftwerken zurückhalten. Sie bringen nicht nur nichts ein, sie sind auch politisch riskant. In Deutschland spricht sich seit Jahren die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Bau neuer Werke aus. Und die Überzeugungskraft von Wissenschaftsjournalisten, die die Atomenergie befürworten – so etwa Gero von Randow (Die Zeit) oder ein ehemaliger Autor der taz, Wolfgang Miersch, der in Talkshows die Zahl der Toten von Tschernobyl nach unten redete –, ist zum Glück begrenzt.

Die Industrie beschränkt sich in der Regel darauf, längere Laufzeiten für die bestehenden Meiler zu fordern, wie zuletzt der Stromkonzern RWE für den hessischen Meiler Biblis A, welcher noch in der laufenden Legislaturperiode stillgelegt werden soll. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHK), Ludwig Georg Braun, richtete vor wenigen Tagen, gleich nach dem Störfall in Schweden, einen Brief an Angela Merkel. Er nannte darin den Ausstieg Deutschlands aus der Atom­energie ein »Risiko für die Position Europas im globalen Standortwettbewerb«. Gabriels Staatssekretär widersprach umgehend.

Selbst der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der bisher als einziger Politiker der CDU von Rang ausdrücklich für den Neubau von Atomkraftwerken plädierte, würde sich wun­dern, wie wenig kooperativ Landräte sein können, wenn ihnen ein Atom­kraft­werk vor die Nase gesetzt werden soll. Die gesamte Technologie einschließlich der nach wie vor mit viel Geld geförder­ten staatlichen Forschung ist nach wirtschaftlichen Aspekten ein ruinöses Geschäft. Die deutsche Regierung und andere Regierungen scheinen das erkannt zu haben.

Nur ändert das vorläufig nichts an der Gefahr, die von den bestehenden Atommeilern ausgeht. Nach wie vor treten in ihren Einzugsgebieten mehr Fälle von Krebserkrankungen auf. Ob sich ein Störfall nach dem Muster von Forsmark oder nach einem anderen ereignet, ist völlig gleichgültig. Die Technologie bleibt unbeherrschbar, die Endlagerung der Abfälle ist ungesichert und der Strom aus Atomenergie obendrein noch teuer.