Verpasste Himmelfahrt

Die britische Polizei hat offenbar Selbstmordanschläge auf Flüge in die USA verhindert. Die Behörden gehen von einer britischen und pakistanischen Kooperation der mutmaßlichen Terroristen aus. von fabian frenzel, sheffield

Ist Ihre Reise wirklich notwendig?« Im Zweiten Weltkrieg forderte die britische Regierung ihre Bürger auf Plakaten dazu auf, angesichts deutscher Bombenangriffe zur eigenen Sicherheit, wenn möglich, lieber zu Hause zu bleiben. Nachdem die britische Polizei am Donnerstag der vergangenen Woche Terroranschläge auf etwa zehn Transatlantikflüge vereitelt hatte, klangen die Verlautbarungen von Sicherheitsbehörden und Fluggesellschaften in Großbritannien ganz ähnlich. Innenminister John Reid hatte bereits am Vortag in einer Rede die Bedrohung Großbritanniens explizit mit den Zeiten der »Schlacht um England« verglichen.

Bei Großeinsätzen der Polizei in London, Birmingham und der Kleinstadt High Wycombe im Themse-Tal waren in der Nacht zum Donnerstag 24 Verdächtige festgenommen worden, unter ihnen »die Hauptverdächtigen«, wie Reid bekanntgab. Eine Person wurde am Freitag wieder entlassen. Einer der Festgenommenen soll dem al-Qaida-Netzwerk in Pakistan angehören. Nach Einschätzungen des britischen Geheimdienstes MI 5 könnten einige der Festgenommenen mit den Attentätern in Verbindung stehen, die am 7. Juli vergangenen Jahres die Bombenanschläge im Londoner U-Bahnnetz verübten. Auf allen britischen Flughäfen herrschten über das Wochenende weiter die ungewohnten Bilder schwer bewaffneter Polizisten vor. Erst am Montag wurde die Terrorwarnstufe von »kritisch« auf »ernst« gesenkt. Ein Anschlag stehe nicht mehr »unmittelbar bevor«, hieß es in einer Erklärung des Innenministeriums am Montag, er gelte jedoch weiterhin als »sehr wahrscheinlich«.

Einige der am Wochenende beschlossenen Sicherheitsregeln für den Flugverkehr wurden aufgehoben. Demnach dürfen Passagiere wieder ein Stück Handgepäck mit an Bord nehmen. Flüssigkeiten im Handgepäck bleiben allerdings weiterhin untersagt.

Die Anschläge wurden nach den Ermittlungen der Polizei von einem Netzwerk aus Pakistan stammender Briten und mindestens dreier Konvertiten mit Verwandten und Freunden in Pakistan vorbereitet. Die geplanten Selbstmordattentate in den Flugzeugen sollten demnach mit Flüssigsprengstoff ausgeführt werden, der aus frei verkäuflichen Ausgangssubstanzen, die im Handgepäck geschmuggelt werden sollten, von den Attentätern während des Fluges hergestellt worden wäre. Abgesehen hatten es die Terroristen auf Transatlantikflüge von Großbritannien in die USA, und die Bomben sollten wohl über amerikanischen Städten gezündet werden. Geplant war offenbar eine regelrechte Dramaturgie des Terrors: Drei Anschlagswellen mit jeweils drei Flugzeugen sollten über mehrere Tage aufeinander folgen. Nach Ansicht des britischen Innenministeriums war das in der vergangenen Woche vereitelte Terrorkomplott nur eines von Dutzenden geplanter Attentate.

Die britischen Behörden gaben an, bereits seit Monaten von den Plänen der Gruppe zu wissen. In den vergangenen Tagen hätten allerdings neue Informationen das bisherige Bild verändert und ein sofortiges Eingreifen notwendig gemacht. Die erste Anschlagswelle wurde demnach für die Zeit unmittelbar nach den Festnahmen erwartet. Die BBC vermutete, dass der Eingriff im Zusammenhang mit insgesamt sieben Festnahmen in Pakistan stehen könnte, die der britischen Operation vorausgingen. Bei den Festgenommenen handelt es sich um zwei Briten, die der Terrorzelle angehören sollen, sowie um fünf pakistanische mutmaßliche Helfer. Die britische Polizei habe befürchtet, so die BBC, dass die in Großbritannien verbliebenen Terroristen angesichts der Fest­nahmen in Pakistan spontan zuschlagen könnten. Dies wurde allerdings von den britischen Behörden bislang nicht bestätigt. Befürchtungen amerikanischer Sicherheitskreise, nach denen einige der Hauptverdächtigen abgetaucht seien, wurden in Großbritannien zurückgewiesen. Man könne zwar nicht ausschließen, dass Komplizen der Terrorzelle noch frei seien, doch seien alle bekannten Mitglieder in Gewahrsam, hieß es in der BBC.

Wie bereits bei den islamistischen Terroranschlägen am 7. Juli 2005 in London sind die mutmaßlichen Täter hauptsächlich junge Briten pakistanischer Herkunft. Die meisten von ihnen sind unter 25 Jahre alt, der jüngste 17. Nach Bekanntgabe ihrer Identitäten herrschte bei vielen ihrer Bekannten und Nachbarn Fassungslosigkeit. Insbesondere im Osten von London, wo es mindestens 14 Festnahmen gab, ist innerhalb der muslimischen Gemeinden die Skepsis gegenüber der Polizei allerdings derzeit sehr hoch. Vor zwei Monaten war während eines Anti-Terror-Einsatzes gegen Mitglieder einer muslimischen Familie ein Verdächtiger angeschossen worden, später wurden die Vorwürfe, die beiden Festgenommenen hätten einen Chemiebombenanschlag geplant, fallen gelassen. ( Jungle World 25/06)

Auch nach den neuen Festnahmen wollen deswegen viele britische Muslime lieber an eine übereifrige Polizei mit anti-muslimischer Überzeugung glauben. Gleichzeitig wird auch immer wieder auf die angeblich anti-muslimische britische Außenpolitik verwiesen, um die Terroranschläge und Anschlagsversuche zu »erklären« und in einem gewissen Sinne zu rechtfertigen. Was nicht gerade dazu beiträgt, die Ansichten der muslimischen Gemeinde zu klären.

In einem offenen Brief wandten sich am Freitagabend mehrere muslimische Verbände, drei Parlaments- und drei Oberhausmitglieder muslimischen Glaubens an Premierminister Tony Blair und stellten einen Zusammenhang zwischen dem »home grown terrorism« und der Nahost-Politik Großbritanniens her. »Wir hoffen, dass wir moderaten Muslime in unserem Kampf gegen den Terrorismus von der Regierung unterstützt werden«, gab der Abgeordnete Sadiq Kahn zu Protokoll, »und zwar nicht durch eine Änderung der Regeln fürs Handgepäck, sondern indem sie sich als Anwältin einer gerechten Welt verhält.« Die Regierung wies die Kritik zurück und erklärte, man dürfe keine Verbindung zwischen der Ablehnung der Politik der Regierung und dem Terrorismus herstellen.

Bereits am Mittwoch der vergangenen Woche – kurz vor dem Polizeieinsatz gegen die mutmaßlichen Terroristen – wies Innenminister Reid in einer Rede liberale Kritiker der britischen Anti-Terrormaßnahmen zurecht: Sie verstünden einfach nicht, was auf dem Spiel stehe, sagte er wohl in Hinblick auf den Polizei­ein­satz. Für den Herbst kündigte er weitere Gesetzesmaßnahmen gegen den Terror an.

In der Zwischenzeit scheint die meisten Briten vor allem die Zukunft des Flugverkehrs zu interessieren. Viele sahen in den verstärkten Sicherheitsmaßnahmen des vergangenen Wochenendes eine Einschränkung der persönlichen Freiheit der Passagiere.