»Wir sollten nach dem suchen, was uns verbindet«

Sedat Samuray

Den Anfang machte Hakki Keskin, als er 1993 für die Hamburger SPD zum ersten türkischstämmigen Landtagsabgeordneten gewählt wurde. 1995 folgte Riza Baran, der für die Grünen ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog. Inzwischen sind in Kreuzberg türkischstämmige Kandidaten nichts Ungewöhnliches mehr. Einer von ihnen ist Sedat Samuray, der sich bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im September um das Direktmandat für den Bezirk Kreuzberg 2 bewirbt und der erste deutsche Landtagsabgeordnete der CDU mit türkischer Abstammung werden will.

Der 54jährige kam 1965 mit seinen Eltern aus der Türkei nach Berlin. Nach dem Abschluss der Hauptschule machte er eine Schlosserlehre und bildete sich später zum Diplom-Sozialpädagogen fort. Heute arbeitet er als Selbständiger und führt eine Hausverwaltung. Mit ihm sprach Deniz Yücel.

Was macht ein Türke in der CDU?

Er macht politische Arbeit. Und zwar in der Partei, in der er sich als Konservativer am besten aufgehoben fühlt. Dass ich als Muslim einer christlichen Partei angehöre, ist dabei kein Widerspruch. Ich glaube an Gott, die Christen auch. Wir sollten nach dem suchen, was uns verbindet, nicht nach dem, was uns trennt.

Nun steht diese Partei nicht in dem Ruf, Einwanderern das Leben leichter zu machen. Daher kommt sie bei türkischstämmigen Wählern nicht über zehn Prozent hinaus.

Wir sind eine Volkspartei, die alle Schichten und Teile der Gesellschaft repräsentiert und repräsentieren will. Aber Sie haben Recht, bislang wurde die CDU von den türkischstämmigen Wählerinnen und Wählern nicht in dem Maße akzeptiert, wie ich es mir wünsche. Doch je mehr wir Deutsche mit türkischer oder anderer ausländischer Herkunft in den demokratischen Parteien tätig sind, desto mehr wird die CDU diese Schwierigkeiten überwinden.

Außerdem können Sie nicht behaupten, dass nur die CDU den Leuten das Leben schwer macht. Der sozialdemokratische Innenminister Otto Schily hat 50 000 türkischstämmige Deutsche aus der deutschen Staatsbürgerschaft entlassen. Ich glaube nicht, dass die CDU so etwas gemacht hätte.

Die Zwillingsbrüder Halil und Hamit Altintop, die bei Schalke unter Vertrag stehen, aber für die türkische Nationalmannschaft spielen, haben kürzlich gesagt: »Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber wir bleiben in Deutschland Ausländer.«

Das empfindet jeder anders. Zugleich kann wohl jeder mit Migrationshintergrund von negativen Erlebnissen berichten, ich selbst nicht ausgenommen. Aber solche Erfahrungen kann man nicht verallgemeinern. Und wir selbst können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, indem wir in allen gesellschaftlichen Bereichen mitarbeiten – die Altintops im Fußball, Sie in der Presse, ich in der Politik, andere in der Polizei, der Wirtschaft, der Wissenschaft, überall. Nur so zeigen wir, dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sind.

Das sagen Sie als Einwanderer oder als CDU-Politiker?

Als beides. Glauben Sie mir, die CDU hat begriffen, dass wir hier sind und dass wir nicht gehen werden, dass wir also Wege finden müssen, miteinander umzugehen. Ein Vorschlag ist das Integrationspapier, das unser Berliner Spitzen­kandidat Friedbert Pflüger entwickelt hat. Es beginnt mit dem Satz: »Deutschland ist ein Einwanderungsland.« Wäre vor 20 Jahren ein solches Wort aus der Feder eines führenden CDU-Politikers möglich gewesen? Diese Entwicklung setzt sich an der Basis fort. Ein Parteifreund, der im Abgeordnetenhaus sitzt, sagte mir neulich: »Herr Samuray, in den Jahren, in denen wir zusammen arbeiten, hat sich meine Sicht auf diese Dinge geändert.« Das ist ein Erfolg, zu dem wir, die nicht deutschstämmigen Mitglieder der CDU, beigetragen haben.

Man könnte den Eindruck bekommen, dass die CDU endlich die Einwanderung anerkennt, im gleichen Atemzug aber, etwa wenn es um die Einbürgerung geht, Kriterien formuliert, mit denen so getan wird, als stünden wir erst am Anfang einer Einwanderung. Jetzt heißt es: Es ist egal, ob du seit 40 Jahren hier bist, wenn du Staatsbürger werden willst, musst du wissen, was das »Wunder von Bern« war.

Wer fragt denn nach dem »Wunder von Bern«?

Das baden-württembergische Innenministerium.

Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Einen solchen Fragebogen wie den in Baden-Württemberg wird es mit der Berliner CDU nicht geben.

Allerdings glaube ich, dass jemand, der ein Teil dieser Gesellschaft werden möchte, unsere Sprache können und etwas von unserer Geschichte wissen muss. Es ist nicht richtig, dass jede Führerscheinprüfung höhere Anforderungen stellt als der Erwerb der Staatsbürgerschaft. Über die Details kann man reden.

Über Türken redet die CDU ja gern.

Wenn Sie auf einen türkischen EU-Beitritt anspielen ­– auch darüber kann man diskutieren. Demokratie funktioniert so, dass Sie eine Stimme mehr als Ihr Gegenüber benötigen. Enttäuscht war ich von meiner Partei nur, als sie überlegte, Unterschriften gegen die Aufnahme der Türkei zu sammeln. Zum Glück ist es nicht dazu gekommen. Ich möchte niemals Unterschriften gegen eine Minderheit sammeln. Und mir ist es wichtig, mich guten Gewissens im Spiegel betrachten zu können. Alles mache ich nicht mit.

Dafür machen Sie als Konservativer einen Wahlkampf in Kreuzberg mit. Das muss doch die Hölle sein.

Wieso? Ich habe hier acht Jahre lang Mieterberatung gemacht und habe heute mein Büro hier. Ich bin gerne in Kreuzberg, auch wenn es sich nie ergeben hat, hier zu wohnen – wir können ja nicht alle in Kreuzberg wohnen.

Im Übrigen besteht dieser Stadtteil längst nicht mehr allein aus Studenten-WGs und Einwanderern; gerade in Kreuzberg 61 sind viele von denen, die einst als Studenten gekommen waren, geblieben, haben Karrieren gemacht und verfügen inzwischen über gute Einkommen. Hier gibt es viele pflichtbewusste Menschen, die sich dafür interessieren, was in ihrer Umgebung passiert. Aber unser schönes Kreuzberg hat auch Probleme. Etwa, dass viele Eltern wegziehen, weil sie ihre Kinder nicht hier einschulen möchten.

Womit wir wieder beim Thema Integration wären.

Nicht unbedingt. Die Pisa-Studie hat gezeigt, dass der schulische Erfolg sehr stark von der sozialen Herkunft und den Sprachkenntnissen der Schüler abhängt. Dass finde ich unsozial. Was die Einwanderer betrifft: Wenn die Eltern nicht dazu in der Lage sind, ihren Kindern Deutsch beizubringen, muss die Gesellschaft das übernehmen. Aber alles kann sie freilich nicht leisten, die Eltern sind ebenfalls gefordert. Leider kümmern sich manche zu wenig um die Ausbildung ihrer Kinder. Wenn sie sich damit befassen würden, wenn sie kontrollieren würden, ob die Kinder ihre Hausaufgaben machen, bin ich sicher, dass viele dieser Kinder mehr schaffen könnten als den Hauptschulabschluss.

Kann es sein, dass Politiker zu sehr die Bildung in den Mittelpunkt stellen, dabei aber übersehen, dass selbst ein Hochschulabschluss längst keinen Arbeitsplatz garantiert?

Ich habe selbst zwei Kinder im schulpflichtigen Alter, ich weiß, wovon ich rede. Die Schule kann man nicht hoch genug einschätzen. Natürlich ist sie nur ein Teil, ein anderer ist die berufliche Ausbildung, für die auch die Firmen Verantwortung tragen. Wir müssen neue Wege finden, damit die Firmen junge Leute ausbilden und übernehmen.

Manche türkischen Kinder werden im Schulalter übernommen – und zwar von ihren Eltern, in deren Gemüse­läden oder Kiosken sie mitarbeiten.

Es ist nicht grundsätzlich problematisch, wenn Kinder im Geschäft oder Büro der Eltern reinschnuppern. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn ein Zwölfjähriger an der Kasse sitzt, anstatt Schulaufgaben zu machen. Zuerst kommt die Schule, dann eine kindgerechte Freizeit, dann alles andere.