Hizbollah hält die Stellung

Bei Beerdigungen und beim Wiederaufbau macht die schiitische »Partei Gottes« ihre Vorreiterrolle im Südlibanon deutlich. von markus bickel, tyrus

Etwas oberhalb des Hauses, das israelische Kampfflieger im April 1996 bombardierten und dabei über 100 Zivilisten töteten, stehen heute zwei Panzer, ein paar Geländewagen und vielleicht 50 Soldaten der libanesischen Armee. Erstmals seit Mai 2000, dem Abzug israelischer Truppen aus der Gegend, in der die südlibanesische Gemeinde Kana liegt, haben staatliche Einheiten hier vergangene Woche Stellung bezogen. Der Kommandant des kleinen Trupps, ein christlicher Oberst, gibt sich zuversichtlich: »In ein paar Tagen werden wir auch an der Grenze zu Israel stehen.«

Kana in den Händen der nur über 60 000 Mann verfügenden, mit veraltetem Gerät ausgestatteten libanesischen Armee? Der Schein trügt. Denn auch wenn sich die Einheiten von Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah seit dem Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon nur noch selten bewaffnet in der Öffentlichkeit zeigen, kontrollieren sie weiterhin weitgehend ungehindert die Gebiete, die von der israelischen Grenze hoch zum Fluss Litani reichen.

Libanesische Zeitungen berichteten am Wochenende von einem Abkommen zwischen hochrangigen Militärs und der Hizbollah-Führung, wonach die »Partei Gottes« ihre Waffen nicht offen zeigen werde, solange die Armee von der in Sicherheitsratsresolution 1 701 der Uno vorgesehenen Entwaffnung der Miliz Abstand nehme. Der Kolumnist der englischsprachigen, eher Hizbollah-kritischen Tageszeitung Daily Star, Rami Khouri, verglich die Rolle, die Nasrallah seit dem Krieg einnehme, mit der eines »Präsidenten oder Premierministers«: Nach einem »furchtbaren Monat von Zerstörung und menschlichem Leiden« sei dessen Anerkennung auch unter Nichtschiiten »eine der wichtigsten politischen Rückwirkungen«.

Überall in Südlibanons Dörfern und Gemeinden wehen dieser Tage die gelben Fahnen mit dem grünen Maschinengewehr und dem arabischen Schriftzug der Hizbollah. Nicht nur in Kana, auch in Mansourieh, Aita al-Shaab, Khiam und Tyrus beerdigten am Wochenende Hizbollah-Anhänger und Angehörige derjenigen, die während des knapp fünfwöchigen Krieges zwischen Israel und der Hizbollah umgekommen waren, ihre Toten. Geistliche und Kader der von Nasrallah geführten Organisation nutzten die Trauermärsche zur Untermauerung ihrer Führungsrolle.

In Kana, wo Ende Juli 26 Menschen bei einem israelischen Luftangriff getötet wurden, machte der höchste Hiz­bollah-Repräsentant im Südlibanon, Sheikh Nabil Kaouk, vor 5 000 Trauernden klar, dass die militärische Zurückhaltung der mit zwei Ministern im Kabinett von Premierminister Fuad Siniora vertretenen Partei lediglich taktischer Natur ist: »Wie in der Vergangenheit ist die Hizbollah auch jetzt militärisch nicht sichtbar vertreten.« Die Partei werde der libanesischen Armee »mit unserer Erfahrung helfen, in die strategisch wichtigsten Gebiete vorzudringen«.

Zehn Tage nach dem Beginn des Waffenstillstands zwischen Israel und dem Libanon gibt die Hizbollah im Südlibanon sowohl beim Wiederaufbau wie bei der Zusammenarbeit mit den Regierungstruppen den Ton an. So räumte Informationsminister Ghazi Aridi bereits vorige Woche ein, dass es »keine Konfrontation zwischen der Armee und den Brüdern von der Hizbollah geben« werde. Die am Donnerstag Richtung israelisch-libanesischer Grenze vorgerückten, bislang rund 4 500 Mann starken staatlichen Einheiten würden die Milizen weder »jagen, noch, Gott behüte, Rache üben«.

So zurückhaltend die Hizbollah seit Kriegsende militärisch auftritt, so präsent ist sie beim Wiederaufbau. In der schwer zerstörten, schiitisch dominierten Südbeiruter Vorstadt Dahye begannen Mitglieder der Organisation schon Mitte vergangener Woche damit, Bewohnern Geld zu geben, um ihre Wohnungen zu sanieren. Bis zu 12 000 US-Dollar sollen Besitzer zerstörter Wohnungen erhalten. Schätzungen der libanesischen Regierung zufolge sind durch die israelischen Luftangriffe 30 000 Haushalte zerstört worden.

»Wir wollen das Leben zurück in den Süd­libanon bringen und ihn besser aufbauen als vor dem Krieg«, kündigte Nabil Kaouk vor seinem von israelischen Raketen zerstörten Büro in Tyrus Ende vergangener Woche an. Am Wochenende eröffneten erste Büros der Wiederaufbauorganisation der Partei, Jihad al-Binaa (Baukampf), auch in den südlibanesischen Gemeinden. Vertreter von Regierungsorganisationen sind südlich des Flusses Litani hingegen bislang kaum in Erscheinung getreten.

Angesichts der starken sozialen Verankerung der Hizbollah, aber auch der mit Nasrallah verbündeten Amal-Bewegung Nabih Berris in der südlibanesischen Bevölkerung scheinen alle Versuche, die Macht der beiden schiitischen Organisationen zu brechen, aussichtslos. Entstanden ist die Hizbollah in den Jahren nach der israelischen Besatzung großer Teile des Südlibanon 1982. Der erneute Krieg fügt sich nun nahtlos in die Propaganda der »Partei Gottes« vom nicht enden wollenden israelischen Vernichtungswillen ein. Da die libanesischen Schiiten in den vergangenen Wochen die meisten Opfer und die größten Zerstörungen zu beklagen hatten, fällt die Rhetorik auf fruchtbaren Boden.

Wie die in der Uno-Sicherheitsratsresolution 1 701 verlangte Entwaffnung der schiitischen Hizbollah-Milizen gelingen soll, bleibt deshalb ein großes Rätsel. Experten bezweifeln, dass das erneuerte Mandat der Uno-Übergangsstreitkräfte für den Libanon (Unifil) ausreicht, die Macht der Organisation zu brechen. Die Hizbollah-Kennerin Amal Saad-Ghorayeb etwa sagt: »Bis auf weiteres wird niemand die Hizbollah aus dem Süden entfernen können.« Die Autorin des Buches »Hizbollah – Politik – Religion« fürchtet, »das Beharren darauf, ihre Waffen zu behalten, bedeutet, dass sie sie benutzen wollen, wenn sie die Zeit für reif halten«.

Obwohl die USA keine eigenen Soldaten in die bereits seit 1978 im Libanon präsenten Unifil-Einheiten entsenden werden, wird die Truppe von der Hizbollah schon vor ihrer geplanten Aufstockung auf 15 000 Mann als Stellvertreterarmee der Vereinigten Staaten gebrandmarkt. Bei der Beerdigung in Kana am Freitag erklärte der Hizbollah-Führer Kaouk: »Amerikanisches Volk, ihr seid Beteiligte bei diesen Massakern, ihr seid Beteiligte im Krieg.« Die Hizbollah werde der in den Süden einrückenden libanesischen Armee helfen, »das Land so gut wie möglich vor israelischen und US-Übergriffen zu schützen«.

Der französische Unifil-Oberkommandierende, Generalmajor Alain Pellegrini, hatte noch Ende vergangener Woche erklärt, »die alte Unifil ist tot«. Die neue Truppe werde »stärker, mit mehr Personal und neuen Einsatzregeln ausgestattet« sein. Auch der Sprecher von US-Präsident George Bush, Tony Snow, sagte in Washington, Aufgabe der Unifil-Einheiten müsse es sein, »die Hizbollah zu entwaffnen und dafür zu sorgen, dass sie nicht länger als unabhängige Miliz agieren« könne. Dass die EU-Staaten, die wohl mit Frankreich oder Italien an der Spitze die Führung über die Truppe übernehmen werden, ihren ersten Out-of-Area-Einsatz im Nahen Osten mit für sie womöglich tödlichen Kommandoaktionen beginnen wollen, darf bezweifelt werden.