Sharia nach Maß

Pakistan und der islamistische Terror von jörn schulz

Es sei ein »Irrtum«, dass nur Frauen Opfer häuslicher Gewalt seien, meint der Parlaments­abgeordnete Wajahat Hussain. Er kenne »viele Minister, die häufig von ihren Ehefrauen geschlagen werden«, enthüllte er der pakistanischen Tageszeitung The Post zufolge bei einem Gespräch mit Pervez Musharraf.

Der Präsident wollte die Abgeordneten dazu bewegen, einer Gesetzesänderung zuzustimmen. Unter anderem soll bei Vergewaltigungen in Zukunft kriminalistisch ermittelt statt nach vier männlichen Zeugen gesucht werden. Doch die Abstimmung am Freitag wurde von der Opposition boykottiert, das Parlament war nicht beschlussfähig. Musharraf betonte, die Gesetzesänderung stehe im Einklang mit Koran und Sharia. Doch es fällt ihm nicht leicht, die von ihm angestrebte »aufgeklärte Mäßigung« durchzusetzen.

Auch in einer säkularisierten Gesellschaft können sich islamistische Terrorzellen eta­blieren. Die Zahl potenzieller Rekruten und die Aktionsmöglichkeiten für die Jihadisten sind jedoch größer, wenn die Grundlagen ihrer Ideologie von weiten Kreisen der Gesellschaft geteilt werden und sogar Teil der Staats­dok­trin sind. Bei Anschlägen, die al-Qaida zugeschrieben werden, führt fast immer eine Spur nach Pakistan. Das ist jedoch mittlerweile sogar nützlich für Musharrafs Außen­politik. Denn nur als Verbündeter im »War on Terror« ist Pakistan so bedeutend für die USA, dass das Land mit politischem Wohlwollen und finanziellen Zuwendungen rechnen kann.

Da die Verhaftungen in Großbritannien maß­geblich auf Informationen aus Pakistan zurück­zuführen sind, kam schnell der Verdacht auf, dass es sich um eine Inszenierung handeln könnte, mit der Musharraf seinen Wert im Antiterrorkampf beweisen will. Verdächtig ist, dass die pakistanische Regierung Lashkar-e-Toiba, eine überwiegend in Kaschmir operierende Gruppe, gegen den Vorwurf britischer Ermittler in Schutz nimmt, die geplanten Anschläge finanziert zu haben. Lashkar-e-Toiba ist seit dem Jahr 2002 verboten, gegen ihre Tarnorganisationen wird jedoch allenfalls halbherzig vorgegegangen. Hafez Mohammed Saeed, der Gründer der Organisation, wurde in der vergangenen Woche wegen »Missbrauchs von Lautsprechern« unter Haus­arrest gestellt. Der Jihad in Kaschmir ist in Pakistan populär, harte repressive Maßnahmen könnten Musharraf Probleme bringen.

Dagegen fügt es sich trefflich, dass der von pakistanischen Ermittlern ausgemachte Führer der Terrorzelle, ein ranghohes Mitglied von al-Qaida, sich in Afghanistan aufhalten soll, dessen Regierung Musharraf ansonsten immer vorwirft, nicht genug gegen die Infil­tration von Jihadisten zu tun. Andererseits ist die offizielle Version durchaus plausibel. Obwohl Ussama bin Laden seit einiger Zeit als »elder statesman« des globalen Jihad posiert, muss er befürchten, als alternder Schwätzer betrachtet zu werden, wenn er seinen Anhängern nicht etwas bieten kann, das »bigger than 9 /11« ist. Es läge nahe, dafür die engen Verbindungen zwischen pakistanischen Islamisten und muslimischen Migranten in Großbritannien zu nutzen.

Der »War on Terror« bringt die Öffentlichkeit in die unerfreuliche Lage, auf die Informationen von Institutionen angewiesen zu sein, die, in Pakistan und anderswo, der Wahrheit nicht immer den Vorzug geben und sich zudem häu­fig als inkompetent erwiesen haben. Der Terror stärkt den autoritären Staat, und wenn dieser Staat, wie in Pakistan, sich anmaßt, das korrekte Maß religiöser Indoktrinierung zu bestimmen, erleichtert er es den Islamisten, sich gleichzeitig als konsequente Vertreter des nationalen Konsenses und als Widerstandsbewegung zu präsentieren.