Vertriebene, ihr Opfer!

Immer mehr Deutsche meinen, die »Vertriebenen« seien Leidtragende des Zweiten Weltkrieges wie andere auch. Das belastet das deutsch- polnische Verhältnis. von oliver hinz

Nicht mehr nur einfache Abgeordnete, sondern immerhin der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), kritisierte am Freitag in der Welt mit harten Worten das Nachbarland Polen. Anlass war die umstrittene Vertriebenen-Ausstellung »Erzwungene Wege«, die seit 10. August in Berlin gezeigt wird. Gegen diese Präsentation gebe es eine »alarmierende polnische Stimmungsmache«, sagte der frühere Bürgerrechtler der DDR. In Polen werde »gegen die Ausstellung gehetzt und massiver Druck auf öffentliche wie private Leihgeber ausgeübt«. Dort sei zudem das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung »akut gefährdet«, wenn polnische Experten sich wegen der aufgeheizten Debatte im eigenen Land nicht trauten, ihre Zustimmung zu der Schau öffentlich auszudrücken.

Tatsächlich gibt es in Polen starken Protest gegen die Ausstellung, die die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, mit ihrer Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« organisiert hat. Aber die Meinungs- und Pressefreiheit steht keinesfalls auf dem Spiel. Die angesehene konservative Tageszeitung Rzeczpospolita (Republik) schrieb zum Beispiel, dass es »nur zur Stärkung von Erika Steinbach« führe, wenn der Warschauer Bürgermeister Kazimierz Marcinkiewicz wegen der Ausstellung nicht nach Berlin reise. Auch die rechtsliberale Politikerin Hanna Gronkiewicz-Waltz kritisierte die kurzfristige Weigerung des Politikers der konservativen Regierungs- und Präsidentenpartei PiS, an der Feier zum 15jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft zwischen Warschau und Berlin teilzunehmen.

Der in Polen äußerst beliebte einstige Premierminister Marcinkiewicz verteidigte sein Verhalten mit den Worten: »Die Ausstellung verletzt den guten Namen Polens.« Deshalb sei es auch richtig gewesen, dass das Historische Stadtmuseum zwei entliehene Exponate sofort nach der Ausstellungseröffnung zurückverlangte.

Angeschlagen waren die deutsch-polnischen Beziehungen zuvor bereits wegen einer deftigen Satire der taz über den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski. Kaczynski sagte offenbar deshalb Ende Juni seine Teilnahme am Weimarer Dreier-Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac ab. Die Warschauer Staatsanwaltschaft will dem Autor der Satire wegen Verleumdung des Präsidenten den Prozess machen.

Eine weitere Belastung des Verhältnisses könnte die geplante Entschädigungsklage der Vertriebenenorganisation »Preußische Treuhand« gegen Polen bedeuten. Die Klageschrift soll in Kürze beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht werden.

Ja, wird das denn nie etwas mit den Deutschen und den Polen? Stimmt das polnische Sprichwort: »Solange die Welt besteht, wird der Deutsche dem Polen kein Bruder sein«? Die Vorbehalte gegeneinander sind in beiden Ländern so unterschiedlich verteilt wie die Sympathien. In Deutschland gehört es unter Politikern und engagierten Bürgern zum guten Ton, sich um ein freundschaftliches Verhältnis zu den Nachbarn zu bemühen. Dagegen hegt eine große Zahl der Normalbürger hartnäckig Vorurteile gegen das östliche Nachbarland. In Polen ist es umgekehrt. Die Bevölkerung steht Deutschland besonders offen gegenüber. Führende Politiker der rechtspopulistischen Regierung und Angehörige der konservativen Elite misstrauen hingegen der Bundesrepublik.

Nach einer im Juli von der liberalen Warschauer Gazeta Wyborcza (Wahlzeitung) veröffentlichten Studie der Meinungsforschungsinstitute PBS (Polen) und Allensbach (Deutschland) sehen 36 Prozent der befragten Polen Deutschland vor allem positiv, lediglich neun Prozent hatten überwiegend negative Assoziationen. Umgekehrt blicken 43 Prozent der Bundesbürger ausgesprochen skeptisch über die Oder, nur 27 Prozent positiv. Wirtschaftlich betrachten die Deutschen Polen inzwischen als einen guten Standort für ausländische Firmen und damit als Konkurrenz.

Ein Problem für die bilateralen Beziehungen stellt die tief sitzende Deutschland-Skepsis des polnischen Premierministers Jaroslaw Kaczynski dar. Der Zwillingsbruder des Staatspräsidenten zeigte sich in einem Interview mit dem rechtsklerikalen Radio Maryja beunruhigt über die angebliche Revision der Geschichte des Zweiten Weltkrieges in der deutschen Gesellschaft. Seine Warnung lautete: Wenn man anerkenne, dass die Deutschen Opfer des Krieges gewesen seien, komme danach die Frage der Grenzen.

Mit Sorge beobachtet man in Warschau, dass Erika Steinbach mit ihrem Vertriebenenzentrum auf immer weniger Widerstand stößt. Selbst der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel kann inzwischen damit leben, dass Steinbachs Ausstellung Bestandteil einer Bundeseinrichtung für die Opfer der Vertreibung wird. Nur will er Steinbachs im Jahr 2000 gegründete private Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« nicht als Träger haben. Damit ist der einstige Kritiker schon ganz nahe bei der Position des zuständigen Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU) und des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU), die beide Steinbachs Projekt aktiv unterstützen.

Schleichend verbreitet sich die Meinung, dass Deutschland nach dem »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«, den Gedenkstätten für Sinti und Roma und für die Homosexuellen als Opfer des Nationalsozialismus auch ein Dokumentationszentrum für die deutschen »Vertriebenen« brauche. Die lange Unterstützerliste von Steinbachs Projekt liest sich fast wie das deutsche Who-is-Who. Offiziell dabei sind Schriftsteller wie Freya Klier, Ralph Giordano, Imre Kertész und György Konrad, aber auch der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, und der ZDF-Historiker Guido Knopp, der der Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« sein Filmmaterial vermachte. Der frühere Vorstandschef der Deutschen Bank, Rolf Breuer, der Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums, Julius Schoeps, und der Vorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, treten ebenfalls für das Vertriebenenzentrum ein.

So wurde hierzulande nicht einmal mehr wahrgenommen, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel vor ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin auf einem Bundesparteitag für einen »Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung« plädierte. In Polen stand das in den Zeitungen. Bereits im Sommer 2003 forderte die Länderkammer die Bundesregierung auf, den 5. August zu einem solchen Gedenktag zu erheben. Im Beschluss steht: »Das Vertreibungsgeschehen hat die historisch gewachsene Einheit des ostmitteleuropäischen Raumes beendet, unsägliches Leid über die Menschen gebracht und kulturelle Entwicklungslinien zerstört. Unrecht und Tragödie dieses Ausmaßes werden auch dadurch nicht geringer, dass vorher schweres Unrecht von deutscher Seite geschehen ist. Jedes Unrecht ist für sich allein zu bewerten.« Auch der letzte Satz des bayerischen Antrags wurde ohne Protest angenommen.

Die rot-grüne Bundesregierung lehnte einen nationalen Gedenktag für die Vertriebenen ab. Auch heute können sich die CDU und die CSU in der Großen Koalition mit der Forderung aus ihrem Wahlprogramm nicht durchsetzen. So macht die Union beim Thema Vertreibung weiterhin Stimmung gegen Polen und Tschechien. Vom US-Präsidenten George W. Bush hat sie hingegen noch nie gefordert, er möge sich vom Potsdamer Abkommen der Alliierten distanzieren, in dem die Umsiedlung beschlossen wurde.