Wir liegen vorm Nahen Osten

Mit dem Einsatz im Libanon erreicht die deutsche Außenpolitik ein lange erstrebtes Ziel. von jörg kronauer

Den ersten Rundumschlag unternahm die SPD. Am Freitag verabschiedete ihr Präsidium nichts Geringeres als »Anstöße für ein politisches Gesamtkonzept in Nahost«. Nur die »Kombination aus einer starken politischen Initiative mit dem Einsatz einer UN-Friedenstruppe« habe eine Aussicht auf Erfolg, verkündete die Partei von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und listete elf Forderungen an Israel, den Libanon und deren Nachbarstaaten auf. Diese Forderungen – knapp formuliert und im Hinblick auf den bevorstehenden Einsatz der Bundeswehr konzipiert – müssten in eine »breit­angelegte Friedensregelung« einfließen, verlangte die SPD und schloss in gewohnter Bescheidenheit: »Dies sind wir den Menschen schuldig.«

Am selben Tag legte die Bundesregierung fest, in welcher Form der Bundeswehreinsatz stattfinden soll, der den deutschen Anspruch auf Mitsprache im Nahen Osten verdeutlichen wird. Den größten Anteil werde, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel mitteilte, die Marine stellen. Daneben werde sich Deutschland vor allem um Logistik und Aufklärung kümmern. Mehrere Transportflugzeuge sind bereits im Krisengebiet im Einsatz, ohne dass ein Beschluss des Bundestags vorliegt. Sie gelten als »humanitäre Hilfeleistung«. Weitere Maßnahmen sind in Vorbereitung, darunter die Entsendung des Technischen Hilfswerks sowie Trainingsmaßnahmen für das libanesische Grenzpersonal.

Mit der Stationierung deutscher Truppen im Nahen Osten erreicht die Bundesregierung ein Ziel, das schon vor Jahren ausgegeben worden war. »The answer must be yes«, antwortete der heutige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), bereits Ende 2001 auf eine Frage, die damals niemand außer ihm selbst gestellt hatte, die Frage nämlich, ob die EU sich im Nahen Osten betätigen und eventuell auch militärisch intervenieren solle. Wenig später veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung ein Nahost-Strategiepapier, das ebenfalls eine »Peace-Keeping-Mission« europäischer Truppen vorsah. Schließlich ließ der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im April 2002 auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr wissen, dass er persönlich einen Einsatz deutscher Truppen im Nahen Osten »prinzipiell nicht ausschließen« wolle.

Spätestens seit dieser Äußerung schien der deutsche Anspruch auf militärische Präsenz im Nahen Osten offenkundig. Dabei geht es um eines der letzten Tabus für die Bundeswehr, das mit dem Grund­satzbeschluss über eine Entsendung von Truppen in der vergangenen Woche gefallen ist. Vor allem aber sind strategische Interessen im Spiel. Der Kampf um Einfluss in der arabisch-islamischen Welt ist seit Jahren in vollem Gange. Wer in der Weltpolitik mitreden will, muss hier Präsenz zeigen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, sie reichen vom Ressourcenreichtum Nordafrikas und des Mittleren Ostens bis zur geostrategischen Bedeutung des Gebiets. Auch wirtschaftlich besitzt das Gebiet einige Bedeutung. 37 Milliarden Euro erreichte das Volumen des deutschen Außenhandels mit der Region im vergangenen Jahr; die steigenden Erdöleinkünfte am Persischen Golf lassen für die Zukunft einen deutlichen Anstieg erwarten.

Der Libanon gehört nicht unbedingt zu den Kerngebieten der deutschen Interessen im Nahen und Mittleren Osten, aber von hier aus ließe sich durchaus Einfluss aus­üben. Vor allem Syrien und der Iran verfügen über hervorragende Kontakte in das Land und gestalten die dortige Politik mit. Wer, wie Deutschland, über gute Verbindungen zu diesen beiden Staaten verfügt, kann bei zukünftigen Verhandlungen ein bedeutendes Wort mitreden. Bereits Anfang August ließ der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), wissen, die Bundesregierung habe »recht gute und einsatzfähige Beziehungen zu den arabischen Staaten« und wolle daher »unsere Drähte zum Beispiel nach Damaskus, zu den anderen arabischen Staaten nutzen«. Sein Vorgesetzter Steinmeier hat dies mit seinen »Vermittlungsreisen« in den vergangenen Wochen in die Tat umzusetzen versucht, mit wechselndem Erfolg allerdings.

Vor allem Syrien, dessen für Folter bekannte Geheimdienste eng mit deutschen Dienststellen kooperieren, widersetzt sich gegenwärtig dem deutschen »Mittler«. Nach einer Rede von Präsident Bashar al-Assad, die Steinmeiers Verhandlungsstrategie sabotierte, sagte dieser in der vergangenen Woche die geplante Reise nach Damaskus ab. Die deutsch-syrischen Verstimmungen resultieren nicht zuletzt aus der Entwicklung im Libanon, wo die Bundesregierung seit dem vergangenen Jahr an dem Bemühen beteiligt ist, den Einfluss des Nachbarlandes zurückzudrängen. Insbesondere der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis hatte, als er im Auftrag der UN zu dem Mord an dem libanesischen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri ermittelte, die syrischen Apparate im Libanon unter Druck gesetzt und schließlich den in Syrien herrschenden Assad-Clan angegriffen. Die Beiruter Dependance der Heinrich-Böll-Stiftung spekulierte im März 2005 sogar darüber, dass eine Kombination aus »öffentlicher Empörung« und »diplomatisch organisiertem äußeren Druck« zu einem prowestlichen Umsturz führen könne. Gar vom »ukrainischen Modell« sprach die Stiftung damals.

Zusätzliche Spannungen mit Syrien will die Bundesregierung offenbar vermeiden. Nach dem Scheitern seines Besuchs in Damaskus teilte Außenminister Steinmeier mit, dass er es nach wie vor für »richtig« und »wichtig« halte, das Land in den Prozess einzubinden. Das würde auch die Aufgabe der Bundesmarine erleichtern, die vor der libanesischen Küste unter anderem syrische Waffenlieferungen an die Hizbollah verhindern soll. Verteidigungsminister Franz Josef Jung verlangt zu diesem Zweck ein »robustes Mandat« für die Truppe. »Wir können, wie bei allen unseren Auslandseinsätzen, nicht ausschließen, dass deutsche Soldaten von ihren Waffen Gebrauch machen«, sagte er dem Focus.

Befürchtungen in deutschen Unternehmerkreisen, die Ambitionen in Richtung des Nahen und Mittleren Ostens hegen, ihre Wirtschaftsbeziehungen könnten im Falle eines bewaffneten Konflikts mit Beteiligung deutscher Militärs Einbußen erleiden, sind allerdings nach wie vor nicht ausgeräumt. Auf die Frage, ob die Bundeswehr sich an einer »Schutztruppe« für den Libanon beteiligen solle, antwortete der Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) bereits Ende Juli dem Kölner Stadt-Anzeiger mit einem klaren »Nein«. Die FDP, bei der früher der langjährige Präsident der DAG, Jürgen Möllemann, für die Wirtschaftsverbindungen in die arabischen Länder zuständig war und die traditionell über gute Beziehungen dorthin verfügt, lehnt den Einsatz noch immer ab; die CSU, in der der derzeitige DAG-Präsident Otto Wiesheu die entsprechenden Exportinteressen bayerischer Konzerne vertritt, willigte nur aus Gründen der Koalitionsräson ein.

Die Bundesregierung wird weiter »vermitteln«, um die befürchteten Konflikte zu vermeiden, und ansonsten, auch auf der Basis der Bundeswehr-Präsenz, die deutschen Positionen in der Region ausbauen. Die »Anstöße für ein politisches Gesamtkonzept in Nahost« der SPD geben einen Vorgeschmack davon.