Was sagte Beatrix?

Das niederländische Königshaus hatte schon immer ein schwieriges Verhältnis zur Presse – aber die Medien sind nicht mehr zu kontrollieren. von falk madeja

Am Ende des kurzen Gesprächs zwischen niederländischen Journalisten und der Königin Beatrix während eines Dinners im November 1999 konnte die Monarchin nicht mehr an sich halten. Sie habe den Eindruck, dass einige Journalisten »wegen der Kommerzialisierung« der Presse nicht mehr korrekt arbeiten würden, maßregelte sie die Medienvertreter. »Die Lüge regiert!«, schimpfte sie. Einen Tag später dürfte sie erst recht explodiert sein. Denn zwei Redakteure des NRC Handelsblad, Hans Nijenhuis und Margriet Oostveen, veröffentlichten die inzwischen berühmt gewordene Aussage über die »Lügen« der Presse in ihrer in Rotterdam erscheinenden Zeitung.

Ein Tabubruch. Denn es galt lange als ungeschriebenes Gesetz, dass die Mitglieder des Königshauses nicht wörtlich zitiert werden dürfen. Pieter Broertjes von der Tageszeitung De Volkskrant und Vorsitzender der »Vereins der Chefredakteure«, der das Dinner organisiert hatte, hatte noch am Ende des Essens erklärt, dass die Königin »auffallend offenherzig« gesprochen habe und er die Kollegen daher bitte, deren Bemerkungen nicht zu veröffentlichen. Für seine eigene Zeitung konnte er diese besondere Diskretion noch garantieren, aber nicht für das im selben Verlagshaus erscheinende NRC Handelsblad. Da fassten sich die Journalisten ein Herz, und schon standen Zitate in der Zeitung. Dem niederländischen Königshaus schien endgültig die Kontrolle über die Medien zu entgleiten.

Früher, ja, früher war alles noch anders. Als in den fünfziger Jahren die damalige Königin Juliana offensichtlich unter dem Einfluss der Wunderheilerin Greet Hofmans pazifistisch klingende Reden zu halten begann und der Spiegel darüber berichtete, hatte dies zur Folge, dass das deutsche Magazin für eine gewisse Zeit nicht mehr ins Land eingeführt werden durfte. Die niederländischen Medien hielten sich an das Publikationsverbot – mit Ausnahme der Amsterdamer Zeitung Het Parool und eines kommunistischen Blattes mit dem hübschen Titel De Waarheid.

In den Sechzigern war es der Bild-Zeitung vorbehalten, als erste von Beatrix’ künftigem Ehemann, Claus von Amsberg zu berichten, der als deutscher Soldat am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte. Die ersten Artikel über das Verhältnis der Prinzessin Irene aus dem offiziell protestantischen Oranje-Haus zum katholischen Carlos Hugo de Bourbon-Parma stammten von einem spanischen Reporter. Mit der Skandalgeschichte, dass Prinz Bernhard in den siebziger Jahren vom amerikanischen Flugzeugbauer Lockheed Bestechungsgeld eingestrichen hatte, hatten Teile der traditionellen Presse noch Jahre später Probleme. Statt zu berichten, eierten sie herum. Der damalige Außenminister Hans van Mierlo ermahnte die Presseleute noch im Jahr 1996: »Es gibt eine besondere Verpflichtung für in diesem Staatssystem operierende Journalisten, behutsam zu sein.«

Von Königin Beatrix ist bekannt, dass sie ein Kontrollfreak ist. Aber selbst wenn sie die Presse kontrollieren wollte, sie hätte nicht die Macht dazu. Anders als das schwedische Königshaus, das auf eine rein repräsentative Rolle zurechtgestutzt wurde, ist die niederländische Königin auch Teil der Regierung. Was das im Detail bedeutet, ist vielen Niederländern unklar.

So gehört die Königin offiziell zur Regierung, aber wird als einzige nicht bei Wahlen bestätigt. Sie spielt bei der Bildung der Regierung eine wichtige, häufig sogar entschei­dende Rolle. Da das niederländische Parteiensystem sehr vielfältig ist, kann eine einzige Partei faktisch nicht die absolute Mehrheit erlangen. Wer dann mit wem koaliert, wird in Hinterzimmergesprächen ausgehandelt, auf die die Königin Einfluss nimmt. Das geschieht einerseits ganz offiziell, bleibt anderseits aber völlig geheim. Es wird das »Geheim­nis von Noordeinde« genannt, nach der Adres­se ihres Palastes in Den Haag. Im niederländischen Staatsrecht fällt jede Aussprache eines offiziellen Mitglieds des Königshauses zu irgendeinem Thema unter die Verantwortung des zuständigen Ministers.

Im Jahre 1995 beispielsweise wagte es der damalige Korrespondent der deutschen Nachrichtenagentur dpa, den Kronprinzen Willem-Alexander zu zitieren. Dieser habe in einem Hintergrundgespräch gesagt, wenn es nach ihm ginge, könne der 5. Mai, der offizielle Tag der Befreiung, entfallen. Das klingt harmlos, zumal der 4. Mai als Ehrentag für die im Zweiten Weltkrieg Gefallen davon ja nicht berührt würde. Aber die Presse fiel über Willem-Alexander her – und die Regierung musste beteuern, dass sie niemals beabsichtigt habe, den Befreiungstag abzuschaffen.

Vier Jahre später berichtete De Volkskrant, dass die Königin Beatrix zum ersten Mal »seit sechs Jahren« eine Gesprächsrunde mit Parlamentariern zugelassen habe. Heikel war in diesem Bericht nicht nur die Tatsache, dass die Monarchin offensichtlich jahrelang keine offiziellen Gespräche mit den Volksvertretern geführt hatte. Heikel war vor allem, dass aus diesem Gespräch bestimmte politische Auffassungen der Königin bekannt gemacht wurden. So berichteten die Parlamentarier hinterher, dass Beatrix dagegen sei, dass es ein Referendum über die Einführung einer Wahl der Bürgermeister gebe. In den Niederlanden werden diese nicht gewählt, sondern eingesetzt. Offiziell im Namen der Königin, inoffiziell in den Kungel- und Proporzrunden der Parteien in Den Haag.

Über solch delikate Fragen berichteten die niederländischen Medien jahrzehntelang lieber wenig. Von Prinz Bernhard ist bekannt, dass er regelmäßig die Chefredaktion der größten Zeitung des Landes, De Telegraaf, sowie bei der niederländischen Tagesschau, dem »NOS-Journaal«, anrief, um Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Zuweilen wurden die Beamten seiner Presseabteilung auch deutlicher. Jan Hoedemans, Redakteur von De Volkskrant, wurde 1999 von einem Pressesprecher des Königshauses wegen der Veröffentlichung des Artikels über das Gespräch zwischen der Königin und den Parlamentariern bedroht. »Du hast die ungeschriebenen Regeln übertreten!« herrschte ihn der Mann am Telefon an. »Du begreifst doch, dass das schlecht für deine Karriere ist?« Doch die Zeiten ändern sich. Hoedemans ließ sich nicht einschüchtern. Und er ist nicht der einzige, der keine Angst mehr hat.

Wohl noch nie war der Einfluss des Königshauses auf die heimische Presse so gering wie heute. So haben in den vergangenen Jahren nahezu alle Medien über die Vergangenheit von Jorge Zorreguita, dem Schwiegervater der Kronprinzessin, berichtet. Zorreguita war Mitglied der argentinischen Militärjunta und wusste einem Gutachten der niederländischen Regierung zufolge von den Morden an Oppositionellen.

Seit Anfang der neunziger Jahre kamen mehr und mehr kommerzielle Fernsehsender auf den niederländischen Markt – und das zum Teil mit Lizenzen aus Luxemburg und Großbritannien.

Eine weitere Herausforderung für die Kontrollfreaks im Königshaus sind natürlich die Neuen Medien. Der Nachrichtenfluss lässt sich schon aus technischen Gründen nicht mehr steuern. Das hatte wohl auch Pieter Broertjes, der noch 1999 seine Kollegen zur Selbstzensur aufgefordert hatte, erkannt. Nachdem Prinz Bernhard am 1. Dezember 2004 starb, veröffentlichte er eine Art Autobiografie des Prinzen. Seit 2001 hatte er sich mit Prinz Bernhard insgesamt neun Mal getroffen. In diesen Gesprächen gab der Prinz so einiges zu – etwa dass er zwei uneheliche Töchter hat. Aus dem Material machte Broertjes eine ausführliche Beilage für De Volkskrant und ein Buch. Die königlichen Geheimnisse werden gelüftet.

Falk Madeja lebt in Berlin und Amsterdam, war in Amsterdam jahrelang freier Mitarbeiter deutscher Zeitungen und TV-Sender. Bis 2005 war er Mitbesitzer der niederländischen Tageszeitung Metro.