Abe und der Tempel des Todes

Auf die provokative Ehrung von Kriegsverbrechern wird der neue japanische Premierminister Abe möglicherweise verzichten. Die Militarisierung der Außenpolitik aber will er weiter vorantreiben. von barbara pförtsch

In jedem Jahr pilgern etwa sechs Millionen Menschen zum Yasukuni-Schrein, vornehmlich Hinterbliebene, Angehörige von Veteranenverbänden, nationalistischen und rechtsextremen Vereinigungen, aber auch prominente Politiker. Yasukuni-Schrein bedeutet an sich »Schrein des friedlichen Landes«, doch die Gedenkstätte in Tokio, in der die »Heldenseelen« der im Krieg gefallenen Japaner verehrt werden, vermittelt einen alles andere als pazifistischen Eindruck. Neben martialischen Bauten und Kriegsgerät befindet sich in dem Tempelpark unter anderem das Yushukan-Museum, das ein unverhohlen revisionistisches Bild der japanischen Geschichte zeichnet. Verehrt werden hier auch 14 im Jahr 1948 als Kriegsverbrecher verurteilte Offiziere.

Vor allem in ehemals von Japan besetzten Ländern wie China und Südkorea wird dies seit jeher als Provokation empfunden, zumal die Besuche hoher Politiker zeigen, dass sich nicht nur eine rechtsextreme Minderheit der Auseinandersetzung mit den Kolonial- und Kriegsverbrechen verweigert. In den fünf Jahren seiner Amtszeit ließ sich Premierminister Junichiro Koizumi davon nicht stören. Er besuchte einmal im Jahr den Yasukuni-Schrein, obwohl dies die Beziehungen zu den Nachbarländern belastete. Südkorea und China wollten Koizu­mi nicht zu einem Gipfeltreffen empfangen.

Mit Shinzo Abe wählte die regierende LDP (Liberaldemokratische Partei) am Mittwoch der vergangenen Woche einen neuen Vorsitzenden, der in dieser Woche sein Amt als neuer Premierminister antreten wird. Abe, der den Schrein im April privat besucht haben soll, hat sich bislang nicht eindeutig dazu geäußert, ob er an den offiziellen Besuchen festhalten will.

63 Prozent der Japaner möchten einer Umfrage von Jiji Press zufolge dem Schrein seine religiöse Weihe nehmen, was die Ent­fernung der Kriegsverbrecher und eine Ent­politisierung des Gedenkens ermöglichen würde. Doch die Nationale Vereinigung der Kriegshinterbliebenen, Nippon Izokukai, eine der wichtigsten Förderer der LDP, setzt sich weiterhin für den Besuch von Politikern am Schrein ein. Und selbst wenn Abe entgegen den Wünschen der einflussreichen Lobbyorganisation dem Schrein fernbleibt, wird das die Sorgen in den Nachbarländern kaum mindern. Denn Abe hat sich bereits als ultrakonservativer Hardliner und Befürworter einer weiteren Militarisierung der japanischen Außenpolitik profiliert.

Bereits unter Koizumi wurden wieder Soldaten an der Seite der verbündeten USA in den Irak entsandt. Die Regierung betonte, es handele sich nicht um einen Kampfeinsatz, da Japan in der Verfassung von 1947 auf das Recht verzichtet, Krieg zu führen, und sich verpflichtet, nur »Selbstverteidigungs­kräfte« zu besitzen. Abe plant eine Änderung der Verfassung, die Japan erlauben soll, seine Armee auch offiziell so zu nennen und sich mit Soldaten an der »internationalen Konfliktlösung« zu beteiligen. Zudem setzt er sich für eine harte Linie gegenüber Nordkorea ein, im Juli brachte er als Reak­tion auf nordkoreanische Raketentests einen Präventivschlag gegen die Abschussrampen ins Gespräch.

Die japanischen Unternehmen wünschen einen ungehinderten Zugang zu den Märkten Ostasiens. Abe hat angedeutet, dass er zumindest vorerst auf einen Besuch des Yakusuni-Schreins verzichten wird, um Gipfeltreffen mit den Regierungschefs Chinas und Süd­koreas zu ermöglichen.

Doch während Koizumi sich immerhin für die in Asien begangenen Kolonial- und Kriegsverbrechen entschuldigt hat, möchte Abe das Urteil über diese Fragen »den Historikern über­lassen«. Sich in der Außen- und Militärpolitik unter den Schutz der USA zu stellen, habe »viele materielle Vorteile« gebracht. »Doch was wir spirituell verloren haben – das war auch sehr viel.«