Die Linke im Orbit

Zu abgehoben regierte die Linkspartei in Berlin. Doch die Wahlen verlor sie auch, weil sich die Milieus in der Hauptstadt verändern. von richard gebhardt

Sieger sehen anders aus«, sagte der sichtlich konsternierte Berliner Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Lederer, am Wahlabend in die Kameras der ARD. In Wirklichkeit war die Linkspartei die große Verliererin der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Mit 13,4 Prozent der Stimmen verfehlte sie in der »Hauptstadt von Hartz IV«, wie der Generalsekretär der CSU, Markus Söder, Berlin nennt, nicht nur das erklärte Ziel von »17 Prozent plus X«. Im Westteil der Stadt fielen die Sozialisten wieder unter die Fünfprozentmarke, und in ihren einstigen Hochburgen im Ostteil der Stadt, wie in Lichtenberg oder Marzahn, verlor die Partei sogar zwischen 17 und 20 Prozent. Auch wenn sich das Führungspersonal der parlamentarischen Linken offiziell um eine Beruhigung der Lage bemüht, wird intern über den Verbleib in einem Senat gestritten, der sich dem Sparen statt dem Sozialismus verschrieben hat.

Als Quittung für eine »neoliberale Politik« deutete Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform der Partei erwartungsgemäß das Ergebnis. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch blickt skeptisch auf die Verhandlungen mit der SPD. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Basis mit wehenden Fahnen in die nächste Koalition läuft«, wird sie in der Welt zitiert. Wolfgang Brauer, der in Marzahn-Hellersdorf ein Direktmandat erringen konnte, sprach von einem »Auftrag, aus der Regierung auszutreten«. Und weiter meinte er: »Wir haben in fünf Jahren als Regierungspartei unser linkes Profil und an Ostkompetenz verloren.«

Die Kritik, die nun in der Partei geübt wird, richtet sich vor allem gegen die Politik der drei Senatoren der Linkspartei. Als Gründe für die Niederlage der Partei gelten: der Sozialabbau, der gerne »Konsolidierungspolitik« genannt wird, die Abschaffung der Lernmittelfreiheit und die Streichung des Blindengeldes, die Kürzungen der Gehälter im Öffentlichen Dienst, der Verkauf von Wohnungen der Öffentlichen Hand, die Einrichtung von über 30 000 Ein-Euro-Jobs, die fehlende Solidarität mit Aktivisten der Arbeitskämpfe an der Charité und den Protesten der Berliner Schülerinnen und Schüler.

Während in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Linkspartei sich ebenfalls in der Landesregierung den »Sachzwängen« gebeugt hat, die Ergebnisse für die Partei relativ stabil blieben, bricht die Linke ausgerechnet in ihrer Hochburg ein. Der bloße Hinweis auf die Sparpolitik des rot-roten Senats aber reicht als Erklärung für die Verluste nicht aus.

Im Jahre 2001, als die PDS mit ihrem damaligen Spitzenkandidaten Gregor Gysi kurz nach dem Berliner Bankenskandal 22,6 Prozent erreichte, schöpfte die Partei ihre Möglichkeiten voll aus. Aufgeschreckte Kommentatoren warnten beim Amtsantritt des von der SPD und der PDS gebildeten Senats vor der »roten Gefahr«, die der Stadt drohe. Doch »rot« waren in Berlin nur die Zahlen im Haushaltsplan, und statt der befürchteten sozialistischen Folklore dominierte der Rotstift die Stadtämter. Eine Orientierung am Ergebnis vom 2001 galt daher von vorneherein als unrealistisch.

Oskar Lafontaine, der bei einigen Wahlkampfauftritten wie ein gegen den Senat gerichteter Oppositionspolitiker sprach, stellte deshalb im Deutsch­landfunk eine eigene Rechnung auf. Zähle man die Stimmen der Linkspartei und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (Wasg), deren Berliner Landesverband gegen den rot-roten Senat angetreten war, zusammen, ergebe sich praktisch das Ergebnis der Bundestagswahl. Er nutzt diese simple Rechnung als Argument für die im Sommer 2007 geplante Vereinigung der Linkspartei mit der Wasg. Diese soll die Partei der »neuen Linken« werden.

Doch die »neue Linke« ist gemessen an ihrer Mitgliedsstruktur und Wählerschaft ziemlich alt. Vorbei sind die Zeiten, als neben dem Medienstar Gysi auch »junge Wilde« wie Angela Marquardt mit ihrer Punkfrisur oder einstige Hausbesetzer wie Freke Over das Image der Partei prägten. Heute dominiert die einschläfernde Boygroup um den Fraktionsvorsitzenden Stefan Liebich, den Wirtschaftssenator Harald Wolf und den Landesvorsitzenden Klaus Lederer das Erscheinungsbild. Von der einstigen Anziehungskraft von »Gysis bunter Truppe« auf die Jungwähler ist wenig geblieben: Zwölf Prozent erreichte die Linkspartei bei den Wählern unter 30, stark ist sie in der Altersgruppe der 45- bis 59jährigen.

Dramatisch ist für die Linkspartei vor allem, dass es ihr nicht mehr gelang, jene anzusprechen, die den allgemeinen Sozial­abbau, sei es auf Bundesebene oder in der Landespolitik, ertragen müssen. Die Deklassierten, in deren Privathaushalten längst schon der Rotstift regiert und deren täglicher Bankenskandal in einer willkürlichen Sperre des Dispokredits und der Aufhebung des Bankgeheimnisses besteht, verabschieden sich immer mehr aus dem politischen System.

Wenn die Hauptstadt tatsächlich eine Art Seismograph für die politische Stimmung im Lande ist, dann zeigt sich in Berlin die Erosion des traditionellen Parteiensystems. Selten haben die Parteien, die unter der Rubrik »Sonstige« versammelt sind, so gut abgeschnitten. Die Repräsentanten des politischen Obskurantismus erhalten verstärkt Zulauf. Und dass Klaus Wowereit nach seinem mageren Ergebnis nun als Kanzlerkandidat ins Spiel gebracht wird, zeigt die neue Bescheidenheit der so genannten Volksparteien.

Auch die Linkspartei ist von diesen Veränderungen betroffen. Gerade dort, wo traditionell die Stammklientel der PDS beheimatet war, jene Schicht, die nostalgisch zurückblickt auf die Zeiten der DDR, gesellt sich zur politischen Apathie der Opfer des Sozialabbaus noch ein Aspekt. Durch Umzüge und Neuansiedlungen gleicht sich ein Teil des alten Berliner Ostens den West­milieus an. Der Blick auf zwei Wahllokale im Gebiet Prenzlauer Berg macht dies deutlich. Im Wahllokal 260 etwa, am Senefelder Platz in der Nähe des Kollwitz-Platzes, gewann Rot-Grün wie zu besten Zeiten. Die in sanierten Altbauten beheimateten, meist zugezogenen Beamten, Geschäftsleute, Angestellten und so genannten Freiberufler bringen die Grünen dort auf 35,6 Prozent. Die Linke erhält nur 13 Prozent, die CDU kommt auf 5,1 Prozent. Anders im Wahl­lokal 236 am Ernst-Thälmann-Platz, wo die einzigen Plattenbauten im Prenzlauer Berg angesiedelt sind. Hier kommt die Linke noch auf 29,1 Prozent, die Union auf 7,6. Die NPD erreicht vergleichsweise hohe 5,7 Prozent. Die Linke, obwohl sie relativ stark bleibt, verliert nicht nur an die Partei der Nichtwähler.

Die innerstädtische Mobilität löst die tradierten Wahlmilieus auf. Gleichzeitig zeigt der Rückgang der Wahlbeteiligung in den Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit, dass die Linke dort den Zugang zu »ihrer« Klientel verliert. Der Glaube an die Sinnlosigkeit politischen Engagements verfestigt sich bei jenen, die prekär arbeiten oder gar keinen Job mehr haben.

Über diese Veränderungen wird sich die Linkspartei im Zuge der Programmdebatte bei der Neubildung der Partei Gedanken machen müssen. Möglicherweise sind manche in der Partei auch geneigt, die Probleme überraschend anders zu lösen. In Sachsen-Anhalt etwa kursiert bereits ein Programmpapier, in dem gefordert wird, der Staat solle sich, »wo möglich«, aus der öffentlichen Daseinsvorsorge zurückziehen. Der Linkspartei stehen schwierige Zeiten bevor.