»Ich denke, das war ein guter Start«

Lucy Redler

Mit großem Elan verkündete die Wahl­alternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (Wasg) vor einiger Zeit, dass sie in Berlin nicht zusammen mit der regierenden Linkspartei zur Wahl antreten wolle, und das, obwohl eine Fusion der beiden Parteien beschlossen ist. Scharf kritisierte die Berliner Wasg die Regierungspolitik und präsentierte sich als soziale Alternative. Nun hat es doch nicht zum Einzug ins Abgeordnetenhaus gereicht. Bei 2,9 Prozent der Stimmen bekommt die Wasg nicht einmal ihre Wahlkampfkosten zurückerstattet. Mit der Berliner Spitzenkandidatin Lucy Redler sprach Stefan Wirner.

Warum haben die Grauen bei den Wahlen mehr Prozente gewonnen als die Wasg?

Die Grauen sind eine Partei, die in Berlin schon lange aktiv ist und besonders Protestwähler aus dem bürgerlichen Spektrum, also beispielsweise enttäuschte Anhänger der CDU, erreicht. Sie hat in einigen Bezirken in Westberlin stark abgeschnitten. Die Wasg dagegen ist als linke Opposition zur Wahl angetreten und hat eher Stimmen von enttäuschten Wählern der Linkspartei oder der SPD bekommen. Als relativ neue Partei muss man sich natürlich erst einmal beweisen. Deshalb konnten wir viele der Menschen, die aus Frustration gar nicht mehr wählen gehen, noch nicht davon überzeugen, dass die Wasg grundlegend anders ist.

Ist das Ergebnis der Wasg nicht ein Desaster? Sie haben 2,9 Prozent erreicht, aber das Ziel war der Einzug ins Abgeordnetenhaus.

Sicher war unser Ziel fünf Prozent. Ich denke aber, dass über 40 000 Stimmen für eine Par­tei, die das erste Mal antritt, ein respektables Ergebnis ist. Das sind auch 40 000 Stimmen gegen diese Politik des Sozialabbaus und der Privatisierungen in Berlin. Wir sind in sieben Bezirksverordnetenversammlungen eingezogen. Von daher denke ich, das war ein guter Start, auf dem man jetzt aufbauen kann.

Die Auseinandersetzung zwischen der Linkspartei und den abtrünnigen Teilen der Wasg, die sich nicht so einfach fusionieren lassen, war ja von bundespolitischer Bedeutung und wurde auch in den Medien ausführlich behandelt. Und Sie erreichten trotzdem nur 2,9 Prozent.

Ich habe im Wahlkampf erlebt, dass viele Leute die Nase voll haben von den etablierten Parteien. Die Herausforderung für uns war, deutlich zu machen, dass wir anders sind. Viele Leute haben gesagt, wenn ihr ins Parlament einzieht, dann werdet ihr so wie die Grünen oder die PDS, d.h. wir mussten die Leute davon überzeugen, dass wir wirklich auf außerparlamentarischen Widerstand setzen und dass wir die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ändern wollen. Für eine neue Partei ist es ziemlich schwierig, nur durch Worte zu überzeugen. Die Zeit hat nicht ausgereicht, und es reicht auch nicht aus, in den Medien zu sein. Man muss handfeste Beweise erbringen, dass man sich an dieser Politik des so genannten kleineren Übels nicht beteiligt, sondern dass man einen Gebrauchswert für die Menschen darstellt. Das werden wir jetzt aber in der außerparlamentarischen Opposition machen.

Sie sagen, viele hätten die Nase voll. Das erinnert an den Wahlspruch der Wasg: »Die Wut wächst.« Der Spruch war populistisch und hätte auch von der NPD sein können.

Die NPD versucht, von ihrer rassistischen Politik abzulenken, indem sie soziale The­men besetzt und den Unmut gegen den So­zialkahlschlag aufgreift. Wir werden einen Teufel tun, ihr diese Themen zu über­lassen. Auf unserem Plakat stand: »Sozialabbau, Ein-Euro-Jobs, Privatisierung? Die Wut wächst.« Das trifft die Stim­mung von vielen Menschen. 40 Prozent der Wahlberechtigten sind überhaupt nicht mehr zur Wahl gegangen, weil sie glauben, dass sich durch Wahlen nichts ändert. Die Privatisierung von 120 000 Wohnungen und die Einrichtung von 34 000 Ein-Euro-Jobs durch einen rot-roten Senat, in dem eine Partei mitregiert, die den Sozialismus im Namen trägt, wird von den Leuten nicht hingenommen. Im übrigen ist »Die Wut wächst« der Titel eines Buches von Oskar Lafontaine.

Das Erstaunliche ist doch, dass es trotz Hartz IV so ruhig bleibt und dass eben die Wut nicht erkennbar wächst.

Die Wut über diese Umverteilungspolitik, die Wut darüber, dass Angela Merkel den Großkonzernen noch einmal acht Milliarden Euro hinterher wirft und wir alle bei der Mehrwertsteuer drei Prozent mehr zahlen müssen, diese Wut ist enorm groß, auch wenn sie sich momentan nicht in Protesten widerspiegelt. Das hat auch damit zu tun, dass die Gewerkschaftsführungen ihr Mobilisierungspotenzial nicht ausnutzen. Wir müssen derzeit die Mobilisierung für die DGB-Proteste am 21. Oktober von unten in die Hand nehmen. Auch das Motto der Proteste »Das geht besser, aber nicht von alleine« trifft den Unmut nicht.

Die Wasg ist nicht im Berliner Abgeord­netenhaus, die Linkspartei hat Stimmen verloren. Haben Sie die parlamen­tarische Linke geschwächt?

Das ist Unsinn. Die PDS hat im rot-roten Senat keine linke Politik betrieben, sondern sie hat sich durch ihre Regierungsbeteiligung zum Erfüllungs­gehilfen der neoliberalen Politik der SPD gemacht. Ich finde es richtig, wenn diese Koalition aufgelöst wird und die PDS wieder an der Seite der Menschen steht, die vom Sozialabbau betroffen sind.

Das Ergebnis der Linkspartei, die Halbierung ihrer absoluten Stimmenzahl – sie hat 181 000 Stimmen verloren –, zeigt ja ganz deutlich, dass sie die Quittung für diese Umverteilungspolitik bekommen hat, die sie mitgetragen hat. Ich fordere die PDS zu einem Kurswechsel auf. Die neue linke Partei, die entstehen soll, kann nicht auf der Programmatik der Linkspartei in Berlin entstehen.

Muss die Fusion der PDS mit der Wasg nicht noch einmal überdacht werden?

Am 18. November wird der Bundesparteitag weiter beraten. Die Wasg muss die Lehren aus dem Wahlergebnis der PDS in Berlin ziehen und Mindestbedingungen für die Parteineu­bildung aufstellen. Eine dieser Bedingungen heißt, dass sich die neue Partei am Sozialabbau und an der Privatisierungspolitik nicht beteiligen darf. Sie darf nicht in Regierungen eintreten, in denen sie sich von den Menschen entfernt, die sie eigentlich vertreten will. Und wir brauchen eine Partei, die demokratisch von unten nach oben gebildet wird. Ich hoffe, dass viele Delegierte der Wasg auf dem Parteitag ähnliche Schlüsse ziehen.

Sie kommen von der Sozialistischen Alternative Voran (SAV). Welche Rolle spielt das bei Ihrer Arbeit in der Wasg?

Die Wasg ist eine Sammlungsbewegung, wo sowohl Sozialistinnen wie ich aktiv sind als auch Leute, die sich gerade poli­tisieren, etwa aus der Anti-Hartz-Bewegung kommen. Der Aufbau einer neuen politischen Kraft der von Sozialabbau Betroffenen ist enorm wichtig. Wir müssten eine Massenpartei aufbauen und uns auf die gesellschaftlichen Kämpfe und Widerstand konzentrieren. Als Sozialistin glaube ich, dass eine linke Kraft ein sozialistisches Programm braucht. Eine neue Partei kann nur mit einer positiven Vision von einer sozialistischen Gesellschaft den so genannten Sachzwängen des Kapitalismus dauerhaft standhalten.

Die SAV ist eine trotzkistische Gruppe, die den Entrismus vertritt, also den Gedanken, in bestehende Organisationen hineinzugehen, um dort ihre Meinung zu verbreiten.

Der Begriff des Entrismus trifft nicht zu. Es ist bekannt, dass ich Mitglied der SAV bin. Die SAV ist ein Teil der Sammlungsbewegung. Ich denke, dass es die Stärke einer Partei ausmacht, wenn sie die verschiedenen Strömungen in ihrer Breite zusammenbringt.