Die Deserteure bleiben loyal

In Osttimor wächst die Furcht vor neuen bewaffneten Konflikten. Die Machtkämpfe innerhalb der Regierungspartei dauern an. von gilles bouché, melbourne

Antonio Mascarenhas Monteiro möchte lieber auf den Kapverden bleiben. Dem ehemaligen Präsidenten des Inselstaates war von UN-­Generalsekretär Kofi Annan die Führung der Mis­sion in Osttimor übertragen worden, doch in der vergangenen Woche erklärte Monteiro, er wolle den Job nicht, es gebe zu viele Vorbehalte gegen ihn.

Annan muss nun schleunigst einen Ersatzkandi­daten für eine nicht allzu attraktive Aufgabe finden. Auch in der vergangenen Woche gab es Auseinandersetzungen zwischen den internationalen Polizei­truppen und Jugendgangs, zudem hat die Flucht des ehemaligen Offiziers Alfredo Reinado Ängste vor erneuten bewaffneten Konflikten geweckt. Einen Monat, nachdem Reinado mit acht Kämpfern aus dem Gefängnis entkommen ist, ist er noch immer auf freiem Fuß.

Die von Australien und der Uno angeführten Sicher­heitskräfte geben an, dass ihre Truppenstärke nicht ausreiche, um Reinados Versteck aufzuspüren. Tatsächlich dürfte ihnen wenig an einem Zusammen­stoß mit den vom australischen Militär ausgebildeten Kämpfern gelegen sein. Unter der Bevölkerung von Osttimors westlichem Teil, wo er sich vermutlich aufhält, genießt Reinado große Unterstützung. Seine Verhaftung könnte zu erneuten Spannungen zwischen Timoresen aus dem Westen und dem Osten des Landes führen.

Bald nachdem Osttimor im Jahr 1999 seine Unabhängikeit von Indonesien erlangt hatte, war es zu Konflikten zwischen verschiedenen Fraktionen der ehemaligen Befreiungsorganisation Fretilin gekommen. Der Widerstand gegen Premierminister Mari Alkatiri wuchs, ihm wurde ein repressiver Regierungsstil und die Bevorzugung des östlichen Landesteils vorgeworfen. Im Mai dieses Jahres löste die De­sertion von 591 Soldaten, die sich gegen­über ihren Kollegen aus dem Osten diskriminiert fühl­ten, Kämpfe aus, bei denen mindestens 30 Menschen getötet wurden (Jungle World, 30/06). Nur der Einmarsch einer internationalen Eingreiftruppe und die Friedensappelle des populären Präsidenten Xanana Gusmão verhinderten einen Bürgerkrieg. Nach einem wochenlangen Machtkampf mit Gusmão trat Alkatiri zurück.

Die näheren Umstände der Krise wurden bislang nicht geklärt. Alkatiri wird beschuldigt, die Ermor­dung seiner politischen Gegner geplant und dafür ein Kommando ausgerüstet zu haben. Erwiesen ist jedoch auch, dass Reinado an der Eskalation der Un­ruhen maßgeblich beteiligt war. Nachdem Alkatiri der Armee angeblich befohlen hatte, auf demonstrierende Zivilisten zu schießen, desertierte eine von Reinado befehligte Einheit. Ende Mai lieferten sich seine Truppen mit Soldaten der Armee Gefechte. Zwei Monate später wurde er verhaftet, nach seiner Flucht konnte er dem staatlichen Sender RTTL ein Interview geben, in dem er seine Loyalität zu Gusmão bekundete, jedoch auch die Auf­lösung der von der Fretilin-Partei dominierten Regierung forderte.

Präsident Gusmão, der unter der indonesischen Besatzung die Unabhängigkeitskämpfer anführte und jahrelang inhaftiert war, wird von großen Teilen der Bevölkerung als Volksheld gefeiert. Seine moralische Autorität gilt als Garantie für die Einheit in Osttimor. Trotzdem kursieren Spekulationen, Gusmão habe die Eskalation mit herbeigeführt, um den Notstand ausrufen und Alkatiri entmachten zu können.

Sicher ist, dass sich die Spannungen zwischen dem pragmatischen Gusmão und dem Linksnationalisten Alkatiri mehrten. Als Premier­minister hat Alkatiri sich geweigert, Australien die Rechte an der Ausbeutung von 50 Prozent der zwischen Osttimor und Australien gelegenen Erdölvorkommen zu überlassen. Nach internationalem Recht steht Osttimor ein höherer Prozentsatz zu, da die Vorkommen sich näher an der timoresischen Küste befinden. Osttimor ist dringend auf neue Einnahmequellen angewiesen. Nur wenige Tage nach seiner Ernennung gab Premierminister José Ramos-Horta dem Druck der australischen Regierung nach.