Too old to die young

Punk ist ein strukturkonservativer Traditionsverein. Was früher schönster Rabatz war, ist heute vor allem peinlich. von thomas blum

Um eines klarzustellen: Gegen die hoch­gradig sympathischen Leute, die vor drei Jahrzehnten den Punk ins Leben gerufen haben, ist nicht das Geringste einzuwenden. »Never trust a hippie!«, »Eat Razorblades!«

Als die Punks, zu Anfang und für kurze Zeit, noch radikal kulturpessimistische, schlecht gelaunte und zivilisationskritische Neodadaisten waren, die jede an sie gestellte Frage mit Sätzen beantworteten wie »Ich kann dich nicht leiden«, während sie dabei das Rotzklümpchen, das sie soeben aus ihrer Nase befördert hatten, mit der größten Selbstverständlichkeit am Jackett ihres Gegenübers abstreiften, waren sie so etwas wie eine kurze, aber anerkennenswer­te Verdauungsstörung des Betriebs, bevor dieser seine Macht demons­trierte und Tabula Rasa machte, d.h. den Punk zu der massenkompatiblen Kulturindustriemarmelade machte, die er heute ist.

Man erinnere sich etwa an das hübsche Cover der Sex-Pistols-Single »Pretty Vacant«: Da­rauf waren zwei rote englische Omnibusse abgebildet, die in verschiedene Richtungen abfuhren. Als Reiseziel war auf dem einen Bus »Boredom« angegeben und auf dem anderen »Nowhere«. Das war schön.

Es ist nie etwas dagegen einzuwenden, wenn ein paar Leute sich ein wenig Humor bewahrt haben, einen gehörigen Rabatz veranstalten, mit einem schmutzigen Grinsen dreist die Umwertung aller Werte proklamieren und so dafür sorgen, dass dem Kleinbürger, den Sozialdemokraten aller Couleur und den zahlreichen Unsympathen dieser Welt bange wird.

Doch seine Uniform, die zerlöcherte, abgewetzte Jeans, das Nietenarmband und die bekritzelte Lederjacke, trägt der Punk bzw. der, der sich für einen solchen hält und sich im ärgsten Fall gar noch immer einbildet, er sei ein Angehöriger einer subversiven Sub­kultur, unbekümmert seit nunmehr 30 Jahren, ohne dass ihm dabei irgend­etwas auffiele. Seine drei Gitarrenakkorde sind dieselben wie die von vor 30 Jahren. Seine Musik, im Wesentlichen bestehend aus geistlosen Parolen und 1-2-3-4-Schlag­zeug­gedresche, ist so aufregend und revolutionär wie ein Sofakissen. Der Punkrocker lebt in einer Art Zeitschleife, und jeder Tag ist für ihn Murmeltiertag. Er ist blind gegenüber der Tatsache, dass er einem zutiefst strukturkonservativen Traditionsverein angehört, der mit erstaunlicher Hartnäckigkeit seit Jahrzehnten dieselben Rituale zelebriert, nicht anders als es der Wolfratshausener Gebirgsschützenverein auch tut.

Der Punk, der nicht müde wird, auf Kon­zerten in so genannten autonomen Jugend­zentren gebetsmühlenartig gegen vermeint­liche »Spießer« zu wettern und, nicht anders sein Dosenbier umklammernd als die Menschen, die er zu verachten vorgibt, seine, gelinde gesagt, schlichte Gesinnung zur Schau zu tragen, ist, ohne dass es ihm ins Bewusstsein dringen würde, selbst zum un­barmherzigen Spießer geworden.

Oder der gealterte Punk heutiger Tage ist, wie sein einstiges Idol Jello Biafra, zum abgehalfterten Sozialdemokraten geworden, und das Allerschlimmste ist: Er redet auch so. Für eine bessere Welt, glaubt er, streitet er, eine wahlweise vegane, antiautoritäre, massenvernichtungswaffenfreie, antirassistische, weltumspannende Wohlfühlwohngemeinschaft, in der nie jemand saubermachen muss und in welcher das Bier nie ausgeht.

Was aus einem einstigen Punk, der bis heute beansprucht, die Tradition dieser Kul­tur aufrechtzuerhalten, werden kann, veranschaulichen nicht nur so erbärmliche Medienzombies wie Campino, son­dern auch diejenigen, die vermeintlich »authentisch« den Geist und die Kompromisslosigkeit der Bewegung zu verkörpern glauben. Was sagte neulich ein Freund? »Woran erkennt man heute einen Punk?« »Zwei­felsohne daran, dass er, wenn er seine Lederjacke auf der Straße ausbreitet, sich nicht selbst darauf setzt, sondern seinen Hund darauf Platz nehmen lässt.«

Würde, Geschmack und Stil sind Din­ge, von welchen der zum Fußgängerzonenhocker oder zum Dauerdemonstrationsfaktotum mutierte heutige Punk keinen Begriff mehr hat. Auch deshalb, weil er außer dem Kochbuch zur Zubereitung veganer Brotaufstriche und dem antirassistischen Leitfaden keine Bücher liest. Es sei an dieser Stelle den geschätz­ten Freunden aus der Volxküche mitge­teilt: Revolte ist etwas anderes als Folklore. Zuweilen hat es sich schon als hilf­reich erwiesen, das Prinzip der Kritik und der Negation auf sich selbst anzuwenden.