Vorsicht, Nebel!

Der ganze Popanz um die Gesundheitsreform dient vor allem dazu, den Versicherten das Geld aus der Tasche zu ziehen. von philipp steglich, breitbrunn am ammersee

Worum geht’s hier eigentlich, außer dass ein jeder nicht ein jeder sein möchte?« fragt man sich mit Hildegard Knef, wenn man das Treiben der Großen Koalition in der Frage der Gesundheitsreform betrachtet. Eigentlich sollte ja seit Monaten, wenigstens seit Juli, alles klar und lediglich das Beschlossene gesetzlich festgeschrieben sein. Stattdessen reißt die Diskussion – wenn man die unzähligen Wortmeldungen denn so nennen kann – nicht ab. Im Sommer war von den Akteuren ein Kompromiss gefunden worden. Jetzt will es wieder keiner gewesen sein. Alle sind um Differenzierung und Abgrenzung bemüht, Profilbildung ist angesagt. Vor allem in der CDU, und dort maßgeblich bei den Ministerpräsidenten der Länder, regt sich Widerstand.

Aber worum geht es? Die wichtigsten und derzeit umstrittenen Punkte der angekündigten Gesundheitsreform sind die Einführung eines Gesundheitsfonds für die gesetz­lichen Krankenkassen (GKV) und bei den privaten Krankenversicherungen (PKV) verbesserte Wechselmöglichkeiten der Versicherten, auch im Alter.

Ursprünglich sollten der Versicherten- und der Unternehmeranteil direkt in den Gesundheitsfonds der GKV eingezahlt werden und von dort an die Krankenkassen weitergeleitet werden. Nachdem die Kassen mit einer Medienkampagne gedroht haben, ist man jetzt wohl so weit, dass die Kassen erst die Beträge einziehen, sie an den Fonds weiterleiten und aus diesem wiederum ihren Anteil erhalten. Man sieht, es geht darum, alles möglichst kompliziert und undurchschaubar zu gestalten.

Ziel des ursprünglichen Modells war es, den Wettbewerb unter den Kassen zu organisieren und sie dazu zu bringen, bei den Verwaltungsausgaben zu sparen. Für ältere Versicherte und so genannte Risikopatienten (Krebskranke, chronisch Kranke, etc.) sollten die GKV einen Ausgleich erhalten, den es allerdings bereits seit längerem gibt. Kassen, die mit den zur Verfügung gestellten Beträgen nicht auskämen, müssten die Mehrausgaben als Zusatzbeiträge von den Versicherten eintreiben. Dies sollte die Kassen disziplinieren, weil man davon ausgeht, dass sich die Versicherten die günstigste Kasse aussuchen. Der Wettbewerb sollte beginnen. Eine gleichzeitige Erhöhung des Unternehmeranteils, sollten die Mittel nicht ausreichen, wurde jedoch nicht in Erwägung gezogen.

Damit das Ganze nicht so unsozial aussieht, wie es ist, sollten die Zusatzbeiträge ein Prozent des Haushaltseinkommens der Versicherten nicht überschreiten. Gegen diese Grenze von einem Prozent opponieren derzeit große Teile der Union, während die SPD sie vehement verteidigt.

Die Sozialdemokraten sind da vermutlich etwas schlauer, wissen sie doch aus ihrer letzten Regierungsbeteiligung, dass es solche medienwirksamen Limits braucht, um weitere Verschlechterungen durchzusetzen. Bei der Gesundheitsreform im Jahr 2004 wurden die Zuzahlungen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf zwei Prozent bzw. ein Prozent für chronisch Kranke beschränkt. Diese noble Zusicherung ermöglichte die Verwirklichung des Plans. In Wirklichkeit zahlen die Versicherten seither viel mehr, etwa weil sie rezeptfreie Medikamente benötigen, die nicht in die Berechnungen der Grenzen einbezogen werden.

Mitte August hat das Statistische Bundesamt für den stets steigenden Anteil der Privathaushalte an der Finanzierung der Gesundheitskosten eindeutige Belege geliefert: Im Jahr 1995 trugen die Unternehmer noch 40 Prozent, öffentliche Haus­halte 18 Prozent und Privathaushalte 42 Prozent der Kosten. Neun Jahre später, im Jahr 2004, zahlten die Unternehmen 36 Prozent, die öffentlichen Haushalte 17 Prozent und die Privathaushalte 47 Prozent. Und das ist noch nicht alles: Da in derselben Zeit der Anteil der Unternehmenssteuern an der Steuerfinanzierung der öffentlichen Haushalte zurückgegangen ist, tragen die Privathaushalte einen noch größeren Teil der Kosten, als es den oben genannten Zahlen zu entnehmen ist. Zudem berücksichtigen diese statistischen Angaben die deutliche Steigerung der Zuzahlungen nach der rot-grünen Reform noch gar nicht, weil die Daten im Jahr der Reform erhoben wurden.

Es ist also fraglich, was die CDU/CSU umtreibt, wenn sie die Ein-Prozent-Grenze aufgehoben haben will. Man sieht doch, die Umverteilung von unten nach oben geht auch mit derartigen kleinen Einschränkungen sehr gut voran.

Ähnlich erklärungsbedürftig ist auch das Beharren der Partei auf dem Status quo bei den privaten Krankenkassen. Geplant ist, Privatversicherten den Wechsel von einer Kasse zur anderen zu erleichtern und sicherzustellen, dass sie dabei wenigstens einen Teil ihrer angesparten Altersrückstellungen mitnehmen können. Die Altersrückstellung ist ein einbehaltener Betrag, der verhindern soll, dass die Beiträge für ältere Menschen, die in der Regel häufiger krank sind, übermäßig ansteigen. Die geplante Regelung sollte ebenfalls mehr Wettbewerb erzeugen und wäre durchaus im Interesse der Privatversicherten gewesen. Aber an diesem Punkt zeigen sich die Konservativen als Besitzstandswahrer oder eben als die große Lobbyorganisation der Privatversicherer, die sie schon immer waren. Denn hier ist viel Geld im Spiel, das sich die großen Konzerne ungern entgehen lassen – zumal es schon angehäuft ist.

Zudem war vorgesehen, die PKV dazu zu verpflichten, eine Basisversicherung für alle Versicherungswilligen anzubieten und sie ohne vorherige medizinische Untersuchung zu versichern. Sie hätten demnach auch Risikopatienten aufnehmen müssen. So wollte man mehr Wahlfreiheit und noch mehr Wettbewerb schaffen. Auch dies lehnen die Konservativen ab. Kurz: Bei den gesetzlichen Kassen wollen die Konservativen unbedingt mehr Wettbewerb, bei den privaten Versiche­rungen aber gar keinen. Das könnte man als klassische Schizophrenie diagnostizieren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel verblüffte nunmehr mit dem Vorschlag, die gesetzlichen Kassen zu entlasten, indem man ihnen mehr Steuermittel zukommen lässt und sie so von Beitragserhöhungen abhält. Beitragserhöhungen, die zur Steigerung der Lohnnebenkosten führen, was wiederum Arbeitsplatzabbau zur Folge hat. Man kennt die Argumentation.

Lustigerweise, man muss es so sagen, hat ihre Regierung selbst die Finanzierungslücke verursacht, denn sie hat beschlossen, den Zuschuss an die gesetzlichen Kassen aus den Einnahmen der Tabaksteuer im kommenden Jahr von 4,2 auf 1,5 Milliarden Euro zu kürzen und ab dem Jahr 2008 komplett zu streichen. Damit wären die Kassen tatsächlich unterfinanziert. Da die Steuereinnahmen des Bundes gerade wieder steigen, sollen die Zuschüsse nun doch weiter fließen. Chapeau! Prompt meldet Spiegel online: »Merkels Überraschungscoup«.

Und wofür das ganze Hin und Her? Nebelkerzen, Blendwerk, Rauch, damit die Belastungen für die Versicherten weiterhin steigen können.