Wo Köpfe rollen dürfen

Während sich alle am »Dialog der Kulturen« erfreuen, eröffnen konservative Politiker einen neuen Kulturkampf. von jesko bender

Wo kommt denn die ganze Toleranz plötzlich her? Auf der Deutschen Islam-Konferenz (DIK) waren sich alle dermaßen einig in ihrem Bestreben nach Konsens, Dialog und gegenseitiger Anerkennung, dass weder ein abgeschlagener Kopf von Mohammed den Muslimen noch der rollende Kopf von Jesus den Christen die Stimmung vermiesen konnte.

Von der Kritik der islamischen Dachverbände an der Struktur der Konferenz, die zuvor geäußert wurde, war während und nach dem Treffen nichts mehr zu spüren. Im Schloss Charlottenburg tauschten Vertreter des deutschen Staates und der islamischen Verbände sowie zehn säkulare und liberale Einzelpersonen mit muslimischem Hintergrund drei Stunden lang ihre Meinungen zum Verhältnis von Islam und Staat und den damit verbundenen Themen aus: Schule, Religionsunterricht, Demokratie, Gleichberechtigung, Toleranz und Meinungsfreiheit. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte geradezu euphorisch nach dem Treffen, dass die Teilnehmer eine »sehr offene« Diskussion geführt hätten, die zwar »nicht immer harmonisch«, dafür aber von einem »sehr toleranten Ton« gekennzeichnet gewesen sei. Nur manchmal habe es »geknirscht«. Dennoch hätten alle Teilnehmer »ohne jeden Vorbehalt« das Grund­gesetz akzeptiert.

Von einem »guten Tag« für die deutschen Muslime sprach auch der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Ayman Mazyek, von einem »Schritt in die richtige Richtung und in Richtung Normalität« der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya. Die eher islamkritische Fraktion zog ebenfalls eine positive Bilanz. »Es hat sich gelohnt«, sagte der Autor Navid Kermani, und der Schriftsteller Feridun Zaimoglu bezeichnete das Treffen als einen »his­to­ri­schen Schritt«, über den er sich gefreut habe. »Als ich heute in die Runde geschaut habe, hatte ich den Eindruck, dass es viele noch gar nicht fassen können, dass diese Konferenz tatsächlich stattgefunden hat«, sagte er in einem Interview mit Spiegel online.

Für das alles in allem wohl zu vernachlässigende Geknirsche sorgte nach Angaben von Spiegel online lediglich Necla Kelek, die zweimal mit Kizilkaya aneinandergeriet. Gibt es womöglich Konflikte zwischen den sä­kularen und orthodoxen islamischen Teilnehmern, die bei einem der nächs­ten Treffen der Arbeitsgruppen zur Sprache kommen könnten?

Jedenfalls entstand aus aktuellem Anlass der Plan, die große Versöhnung und den neuartigen Dialog mit einem gemeinsamen Opern­besuch zu krönen. Wolfgang Amadeus Mozarts Oper »Ido­meneo«, inszeniert von Hans Neuenfels und in der vergangenen Woche aus Angst vor islamistischer Gewalt vorerst abgesetzt, sollte auf dem Programm stehen. Schäuble erklärte gleich nach der Konferenz, dass sich alle Teil­nehmer »sehr freuen« würden, wenn die Deutsche Oper »Idomeneo« wieder ins Programm nehme. Gemeinsam würde man dann die Inszenierung besuchen. Doch daraus dürfte auch bei einer Entscheidung für die Oper nichts werden. »Das muss ich mir nicht antun«, sagte Kizilkaya der taz. Für ihn sei es »nicht zumutbar, eine Szene anzusehen, in der dem Propheten der Kopf abgeschlagen wird«. Muss er ja auch nicht.

Während viele Muslime die Inszenierung als einen blasphemischen Akt ansehen, erheben ausnahmslos alle Politiker, die sich dazu geäußert haben, einen anderen Vorwurf: Die Intendantin der Deutschen Oper, Kirsten Harms, übe Selbstzensur. Kunst müsse frei sein, lautet der Tenor.

Allerdings begründete Harms ihre Entscheidung einzig und allein mit der Sicherheitslage, nicht damit, dass sie die Inszenierung für unzulässig halte. Und ihre Bedenken sind berechtigt. »Eine Oper oder eine Karikatur – das macht keinen großen Unterschied«, sagte Kizilkaya. Harms musste als Intendantin damit rechnen, dass religiöse Fanatiker die Inszenierung zum Anlass für Gewalttätigkeiten nehmen könnten. Eine relativ geringe Verbreitung und der Kontext der dänischen Karikaturen hatten die Gewaltexzesse nicht verhindern können.

Darüber hinaus haben sich insbesondere konservative Kulturpolitiker mit ihrer laut vorgetragenen Empörung als Verfechter der Tradition der Aufklärung dargestellt und gleichzeitig ein Verständnis von Kunst offenbart, welches ihr jede Verbindung zum gesellschaftlichen Geschehen abspricht. Wo kein Zusammenhang zwischen vermeintlicher Hochkultur und gesellschaftlicher Realität gesehen wird, da kann auch ein abgeschlagener Kopf von Jesus keinen großen Schaden anrichten. Einzig und allein unter dieser Voraussetzung funktioniert das Dop­pel­spiel von Aufklärung und dem konser­va­ti­ven Plädoyer für die Kunstfreiheit. Wäh­rend viele Muslime also die relative Autonomie der Kunst nicht verstehen oder nicht akzep­tieren, funktioniert der christlich-konserva­tive Kunstgenuss nur über die Vorstellung einer totalen Autonomie der Kunst.

In der Tiefe ihres Herzens hegen die christ­lichen Gläubigen die gleiche Abneigung gegen blasphemische Kunst wie die Muslime. Sie brennen zwar derzeit zum Glück deswegen keine Gebäude nieder oder bringen Andersgläubige um. Doch sie versuchen auf die dreisteste Art und Weise, dem aufgeklärten Atheisten seinen popkulturellen Spaß zu verderben. Popkultur ist schließlich nicht Hochkultur.

»Lachen statt rumhängen« lautete der Slogan, mit dem MTV im Frühjahr für die Serie »Popetown« warb. Zu sehen war ein Jesus, der, offensichtlich soeben vom Kreuz geklettert, vor dem Fernseher Spaß hatte. Kaum waren die Anzeigen mit diesem Motiv geschaltet, forderten vor allem Politiker der CSU, unter ihnen Edmund Stoiber, die Verschärfung des Paragrafen 166 Strafgesetzbuch, der die »Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen« unter Strafe stellt. Ziel sollte es wohl sein, mit den Moslems in einen Wettkampf um die Frömmigkeit einzutreten: »Moslems halten uns auch deshalb für Ungläubige, weil wir unseren Glauben nicht ausreichend leben und verteidigen«, sagte Stoiber. In Berlin aber liegt der abgehackte Kopf von Jesus auf der Bühne herum, und Stoiber erklärt: »Angst wäre der erste Sieg der Terroristen! Wir dürfen die Freiheitsrechte des Grundgesetzes niemals aus Angst vor islamistischem Meinungsterror aufgeben.« Was denn nun, Glaubenskrieg oder Freiheit der Kunst? Oder doch eher dialektisch: Glaubenskrieg und Freiheit der Kunst?

Warum werden auf einmal konservative Christen zu Schutzpatronen einer Kunst, die mit blasphemischen Bildern spielt? Neuenfels’ Inszenierung wird von Konservativen wohl kaum deshalb so engagiert verteidigt, weil auch der Kopf Mohammeds rollt. Vielmehr hat die konservative Kulturkritik sich auf vollkommen bürgerliche Formen der Provokation eingestellt. Auf nackte, kopulierende, onanierende Schauspieler ebenso wie auf ein gewisses Maß der Blasphemie. Solange der Ort der Provokation klar definiert bleibt, befriedigen auch die Bilder eines geköpften Jesus das Distinktionsbedürfnis der Konsumenten von vermeintlicher Hochkultur.

Werden die definierten Grenzen des Kulturbetriebs jedoch aufgekündigt, und sei es nur für den kurzen Moment, den es dauert, einem renommierten Theaterkritiker den Block wegzunehmen, verlieren die einge­übten Codes der Kunstrezeption ihre Gültigkeit. Die Grenzüberschreitung, sie steht hier für die Grenze zwischen Publikum und Bühne und somit symbolisch für die zwischen Kunst und Gesellschaft, wird nicht nur sanktioniert, sondern sie wird der Kunst prin­zipiell untersagt. Von den einen per Gesetz, von den anderen mittels blanker Gewalt.