»Politik interessiert wieder«

Ein Gespräch mit Piotr Buras vom Zentrum für internationale Beziehungen in Warschau über die Regierungskrise in Polen und die Demonstrationen für Neuwahlen

Mit der Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Andrzej Lepper zerbrach die polnische Regierungskoalition. Woran scheiterte das Bündnis?

Lepper hatte unverantwortliche und unbezahlbare Forderungen für den Haushalt 2007 gestellt. Damit wollte er die Selbständigkeit seiner populistischen Bauernpartei Samoobrona sichern und die Chancen für die Kommunalwahlen im November vergrößern. Den Rauswurf provozierte er bewusst. Denn er hatte Angst, von der rechtskonservativen Partei PiS bei den Kommunalwahlen geschluckt zu werden. Premierminister Jaroslaw Kaczynski will aus der PiS ein großes konservatives Sammelbecken machen. Das gelingt ihm nur, wenn er die Wähler Leppers gewinnt.

Hat die Schelte der EU über die Regierungspolitik bei der Krise eine Rolle gespielt?

Ich glaube nicht. Die beiden übrig gebliebenen Regierungsparteien, die PiS und die rechtsextreme Liga Polnischer Familien, werden weiterhin von der EU kritisiert werden. Lepper hatte dem Ruf, den die Regierung bei der EU hat, am wenigsten geschadet. Der einstige Out­sider in der polnischen Politik gab sich zuletzt als Staatsmann.

Die Opposition fordert die Selbstauflösung des Parlaments. Wie wahrscheinlich sind Neuwahlen?

Ziemlich unwahrscheinlich. Zumindest für die nächsten Monate. Für die Selbst­auflösung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Ohne die PiS kann das Parlament nicht aufgelöst werden. Am wahrscheinlichsten ist eine Koalition der PiS und der Familienliga mit der ehemaligen kommu­nistischen Bauernpartei PSL und einer kleinen Partei aus Abtrünnigen der Samoo­brona-Fraktion namens Volksnationale Bewegung. Auch eine Minderheitsregierung der PiS ist möglich. Nicht ausgeschlos­sen, jedoch ziemlich unrealistisch, ist auch eine Rückkehr Leppers in die Koaliton.

Wie lange könnte sich Kaczynskis Partei mit Hilfe der Kleinstparteien noch an der Regierung halten?

Ich glaube nicht, dass er bis zum Ende der Wahlperiode überlebt. Kaczynski wird einen guten Zeitpunkt suchen, um das Parlament aufzulösen. Er will bei Neuwahlen mehr als die 27 Prozent vom September 2005 erreichen. An Wahlen ist er jetzt nicht interessiert. Nach den neuesten Umfragen liegt die PiS bei nur noch 20 Prozent. Die liberale Bürgerplattform kommt dagegen auf 36 Prozent. Für Kaczynski wären Wahlen jetzt eine Katastrophe.

Schuld daran ist der auf Video dokumentierte Versuch des Stimmenkaufs durch die PiS, mit dem sie sich im Parlament eine neue Mehrheit sichern wollte. Adam Lipinski, stellvertretender Vorsitzender der PiS, hat einer Abgeordneten der Samoobrona einen Regierungsposten und Geld für einen Parteiwechsel angeboten. Wie sehr belastet das Kaczynski?

Das ist sein schwerster Rückschlag seit den Wahlen. Am schlimmsten war, dass sein Unterhändler der betreffenden Abgeordneten von Samoobrona in Aussicht stellte, dass mit Geld des Parlaments finanzielle Operationen ihrer Partei bezahlt werden. Kaczynski versprach im Wahl­kampf eine »moralische Revolution« in der Politik. Das stellte er als sein größtes politisches Projekt dar. Doch nun bricht die PiS die moralischen Standards, die sie selbst proklamiert hatte.

Nimmt die in Polen ohnehin schon große Po­li­tik­ver­drossenheit weiter zu? Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr lag die Beteiligung bei nur noch 40 Prozent.

Das ist schwer zu sagen. Die großen Demonstrationen vom vergangenen Samstag können auch zu einer weiteren Politisierung führen. Das Interesse an politischen Prozessen war in Polen schon lange nicht mehr so groß wie jetzt.

interview: oliver hinz