Politisches Trainingslager

Punk braucht das Politische – und linke Politik braucht Punk. von swen bock
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Also bitteschön! Was wäre denn Punk ohne Politik heute? Könnte man sich ein Leben dieser mehr totgesagten als toten Subkultur heute überhaupt vorstellen? Dann hätten ja alle diejenigen Recht, die dieser Bewegung jeglichen Fortschritt absprechen!

Aber welche andere Jugendkultur ist nach wie vor in der Lage, Rekrutierungsfeld für alle möglichen Spinner sämtlicher politischen Glaubensrichtungen zu sein? Von den Achtziger-Jahre-Steinzeitautonomen bis zu den heute hippen Antideutschen. Kaum einer, der nicht zunächst die Scheiß-Gesellschaft im Visier hat, um dann im eigenen Lager, bei den Punks, all die Irrtümer, Widersprüche und Lebenslügen aufzudecken. Keine andere Jugendkultur eignet sich so hervorragend, um spätere Selbstzer­fleischungs­rituale einzuüben. Sich im Kreis drehende Diskussionen und Schreibtischdebatten werden hier ganz praxisnah schon vom 16jährigen Pubertierenden erprobt. Wer nach seiner Zeit als Punk nicht zum Patentanwalt oder Verfassungsschützer geworden ist, scheint bereit für das Leben als Revolutionär.

Allein schon die Frage nach rechten Umtrieben im Punk! Es fängt scheinbar harmlos an. Die Frage, ob man denn Nazi ist, weil man weiße Schnürsenkel an seinen Docs hat, bekommt man noch ziemlich leicht beantwortet, wenn man in diversen Punkforen und Gästebüchern nachfragt. Aber wie erklärt man das Hakenkreuz-T-Shirt von Sid Vicious? Und warum darf man selbst nicht so ein cooles Teil tragen? Immerhin wäre es ganz schön provokant und auch hochgradig punk.

Glücklicherweise kann man ja jetzt auch ziemlich politisch und sehr gefährlich für diesen Staat sein, wenn man ein T-Shirt mit einem zerschlagenen Hakenkreuz drauf trägt. Das verdanken wir der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Immerhin führt das dazu, dass Mami und unsere Lehrer zwar keine Angst vor, aber immerhin Angst um uns haben.

Aber nein. Was soll das Gespött, diese selbstherrliche Arroganz, mit der man dem Politischen im Punk gerne begegnet? Dass die Argumente stumpf sind, macht den Krieg nicht weniger grausam. Politische Themen rauben dem Punk nicht seine Berechtigung, sondern sorgen für Bewegung. Nimmt man dem Punk die Politik, bleibt das übrig, was Oi! genannt wird. Und das kann niemand wirklich wollen. Dann schon lieber Parolen­gedresche von Staatsgewixe und Bullenschlacht.

Wie der alte unpolitische Punk aussieht, kann man sich auf den traurigen Reuniontouren alter Heroen oder auf Lesungen von Leuten, die mal Punk waren, anschauen. Im besten Fall bierzelttaugliche Auftritte vor traurigem 77er-»I was a punk before you were a punk«-Publikum oder vor Kunst­studenten. Viel frischer ist doch der Wind, den engagierte politische Bands verbreiten. »Das nächste Lied ist gegen die Scheiß-Nazis!« Immerhin, so viel politischer Aussagegehalt.

Dass Politik dem Punk schadet, ist ein Fehlurteil, basierend auf der Annahme, die Radikalität, mit der Punk vor 30 Jahren antrat, die Welt zu zerstören, müsse in der Kombination mit einem politischen Bewusstsein automatisch zu einem neuen Aufbruch führen. Arsch geleckt! Warum soll der Punk jetzt auf einmal die Welt retten müssen, nur weil er es nicht geschafft hat, sie zu zerstören?

Politik im Punk ist trotzdem für keinen der Beteiligten ein reiner Spaßaspekt. Punk bietet politische Auseinandersetzung auf jedem Level. Viele nutzen Punk als Möglichkeit, sich jenseits von Parteien und NGO eine politische Meinung zu bilden. Nahezu alle politischen Taubenzüchtervereine haben im Punk ihr Forum. Trotzdem herrscht irgendwie Einigkeit darüber, dass man gegen Nazis ist. Und auf dieser Basis hat dann jeder sein eigenes politisches Erwachen. Würde es Politik im Punk nicht geben, wäre Punk eine reine Schunkelveranstaltung, denn die Radikalität von Punkmusik alleine erschreckt seit 20 Jahren niemanden mehr!

Also ja! Egal ob Schnürsenkel- oder Palituchdiskussion, ob Sexismus oder Tierschutz, Patriotismus oder Anarchie, Globalisierung und die eigenen Klamotten aus China … – früher oder später kommt im Mikrokosmos Punk alles auf den Tisch, was im Alltagsleben entweder versandet oder anderswo instrumentalisiert wird. Lass mal gut sein, Punk wird auch das überleben.

Swen Bock ist Herausgeber des Fanzines Plastic Bomb, der »Fachzeitschrift für Punker und Straßenköter«. www.plastic-bomb.de