Verhandeln und infiltrieren

Um den Aufstand in Oaxaca zu beenden, will die mexikanische Regierung die sozialen Bewegungen spalten. In der Nähe der Stadt werden Militäreinheiten zusammengezogen. von marco pulquo, mexiko-stadt

Wir sind keine Guerilla. Wir sind einfach nur Frauen, die es satt haben, dass die Regierenden auf ihnen herumtrampeln und sich nebenbei die Taschen füllen. Wir haben keine Waffen, wir sind keine Verbrecherinnen. Alles, was wir wollen, ist Gerechtigkeit.« Maria vom Frauenrat aus Oaxaca ist wütend, dass der anhaltende Aufstand im südmexikanischen Oaxaca in den Medien zunehmend als Werk einer radikalen Stadtguerilla dargestellt wird. Zusammen mit über 100 Mitstreiterinnen ist die Indígena deshalb in der vergangenen Woche nach Mexiko-Stadt gereist, um sich an Holzkreuzen vor dem Innenministerium anzubinden. »Oaxaca ist kein Gefängnis. Das Militär soll verschwinden«, schreien die Frauen in die Kameras der versammelten Journalistenschar. Einige Kameramänner halten sich die Ohren zu.

Das Weghören scheint Methode zu haben. Immer offener haben sich die bürgerlichen Medien auf die Seite der Regierenden geschlagen und versuchen, die sozialen Proteste in Oaxaca als Werk einiger links­radikaler Splittergruppen darzustellen. Dabei versperren mehr Barrikaden als je zuvor die Straßen von Oaxaca-Stadt. Noch immer wehren sich Indígenas, Straßenhändler, Marktfrauen, Studenten, Pädagogen und zahlreiche linke Basisgruppen gemeinsam gegen die repressive Politik des amtierenden Gouverneurs Ulises Ruiz von der Partei der Institutionel­len Revolution (Pri).

Dieser hatte im Juni versucht, den Streik von 70 000 Lehrern gewaltsam niederzuschlagen. Seitdem versammeln sich große Teile der Bevölkerung hinter einer zentralen Forderung: Der Gouverneur und sein repressives Regime sollen verschwinden. »Ulises ist schon gestürzt«, das ist seit Monaten die Parole auf Demonstrationen und Versammlungen.

Nachdem der noch amtierende mexikanische Prä­sident Vicente Fox den Konflikt in Oaxaca lange Zeit als »ein lokales Problem, das nach einer lokalen Lösung verlangt«, beschrieben hat, stellt sich die Regierung inzwischen diskret, aber bestimmt hinter den unpopulären Gouverneur: »Weder ernennt die Bundesregierung Gouverneure, noch ent­lässt sie diese«, verkündete Regierungssprecher Car­los Abascal. Viele Mitglieder der »Volksversammlung von Oaxaca« (APPO) vermuten hinter dieser »föderalen Schützenhilfe« einen politischen Deal, so auch Fernando von einem Studentenbündnis: »Die Führung des Pan (Partei der Nationalen Aktion) hat sich auf diese Weise nachträglich die Unterstützung des Pri für den Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen im Juli gesichert. Aber zumindest in Oaxaca wird der künftige Präsident Felipe Calderón damit seine Glaubwürdigkeit nicht erhöhen. Wir werden es nicht hinnehmen, dass Ulises Ruíz einfach so wei­terregiert.«

Bislang sind mindestens vier Unterstützer der Proteste in Oaxaca bei Angriffen von Pa­ramilitärs getötet worden. Am Mittwoch der vergangenen Woche wurde der politisch engagierte Student Pedro García beim Verlassen des Campus von einer unbekannten bewaffneten Gruppe entführt. Zwei Studentinnen be­zeugen, dass Pedro von Schüssen getroffen wurde, und berichten, dass sie seit Tagen Morddrohungen per Telefon erhielten. »Mir haben sie eine Liste mit Namen von Familien­mitgliedern vorgelesen und gesagt, dass es besser für mich sei, zuhause zu bleiben. Na­türlich bekommst du da Angst«, berichtet eine der Studentinnen.

Neben individuellen Einschüchterungsversuchen hat auch die Entsendung von Mili­täreinheiten und Verbänden der Bundespolizei (PFP) nach Oaxaca Aufsehen erregt. Mehrere Hubschrauber haben das besetzte Zentrum von Oaxaca-Stadt ausgekundschaftet. Auch sieben Panzer und Dutzende Mannschaftswagen sollen nahe der Stadt bereitstehen, in den Häfen von Huatul­co und Salina Cruz sind Marineeinheiten ge­landet. »Mit vorgehaltener Pistole werden wir nicht verhandeln, das ist Staatsterror«, sagte Flavio Sosa, ein Sprecher der APPO, in der vergangenen Woche auf einer Protest­kundgebung in der Hauptstadt.

Doch ohne Beteiligung der APPO haben inzwischen einige Vertreter sozialer und po­litischer Organisationen aus Oaxaca bei Ver­handlungen in Mexiko-Stadt zugestimmt, ein »Abkommen für Frieden und Entwicklung« zu unterzeichnen. Auf diese Weise könnte eine gewaltsame Lösung des Konflikts legitimiert werden. Und Ulises Ruiz darf in der Zwischenzeit in zahlreichen Radio- und Fernsehsendern den verkannten Wohltäter mimen. »Der Streik der Lehrer bringt die Kinder um ihre Zukunft. Wir brau­chen jetzt ein vereintes Mexiko um voranzukommen.«

Dass Ruiz es war, der die Forderungen der Lehrer nach besseren Lehrbedingungen zurückgewiesen hat, wird nicht erwähnt. Viel­mehr wird der APPO immer wieder unterstellt, engen Kontakt mit bewaffneten linken Gruppen zu unterhalten. Vier kürzlich verübte Bombenanschläge auf Banken und eine VW-Vertretung in Oaxaca-Stadt haben diese Vorwürfe verstärkt. Als am Mittwoch der vergangenen Woche die Leiche des in der Tageszeitung Universal als »abtrünnig« bezeichneten Lehrers Jaime René Calvo Aragón gefunden wurde, schien der endgül­tige Beweis für die Radikalisierung der APPO gefunden.

»Wir sind eine friedliche Massenbewegung, auch wenn ich nicht leugnen kann, dass einige Aktionen außer Kontrolle geraten sind«, kommentiert Zenén Bravo, ein Koordinator des sozialen Bündnisses. »Aber mit den Bombenanschlägen und dem Mord hat die APPO nichts zu tun. Die Bombenanschläge zum Beispiel haben gekaufte Leute aus der nördlichen Sierra Madre ausgeführt, alle mit neuer Klei­dung und Fahrzeugen. Woher sollte die APPO die Mittel für solche Aktionen haben, und was würde uns eine weitere Eskalation der Lage nützen?«

Der linken Tageszeitung La Jornada sollen von einem anonymen Mitglied des Pan Informationen über eine geplante Operation namens »Eisen« zugespielt worden sein. Diesem Plan zufolge will sich Gouverneur Ruiz, falls ihm die Hilfe des Militärs versagt bleiben sollte, der Auftragkiller krimineller Organisationen bedienen. Zudem sollen bereits 300 verdeckte »Aufstandsbekämpfer« in das sozia­le Bündnis in Oaxaca infiltriert worden sein, die am Tag X für das nötige Chaos sorgen sollen, um ein Eingreifen der Staatsgewalt unausweichlich zu machen.

Um die Kommunikation mit dem Rest des Lan­des zu erschweren, hat die Bundespolizei in Oaxa­ca in der vergangenen Woche gezielt die von sozia­len Organisationen besetzten Radiostationen lahm gelegt, Sendemasten gefällt und begonnen, Störsignale zu senden. »Auf den Frequenzen, auf denen wir früher unsere Aktionen koordiniert haben, be­schallen sie uns jetzt mit kommerzieller Musik. Aber wir werden uns die Radios zurückerobern«, gibt sich Laila von einem der Radiokollektive zuversichtlich. Gerade ist sie in Mexiko-Stadt, um Er­satzteile zu besorgen.

Als Ausweg hat Regierungssekretär Abascal nun die »symbolische Übergabe der Stadt an die Bundespolizei« vorgeschlagen, um danach gemeinsam ein »Regierbarkeitsabkommen auszuhandeln«. Die APPO will über diesen Vorschlag beraten, »schon deshalb, weil wir hier kein Massaker verantworten wollen«, meint Bravo. Denn so recht mag er den Worten des Regierungssprechers nicht glauben. »Abascal hat verkündet, dass es bei Gott keine Repression in Oaxaca geben werde. Wir werden sehen, wie gläubig dieser Mann tatsächlich ist.«