Wir können uns nicht leiden

Keine Regierung in Tschechien von kerstin eschrich

Ganz ernst gemeint war die Minderheitsregierung in Tschechien offensichtlich nicht. Nach nur 38 Tagen war schon wieder Schluss: Am Dienstag der vergangenen Woche verlor Ministerpräsident Mirek Topolanek von der konservativen Demokratischen Bürgerpartei ODS die Vertrauensabstimmung im Parlament, kurz danach trat die Regierung zurück.

Topolanek hatte von Anfang an von einem »befristeten Mandat« gesprochen. Allerdings war geplant, zumindest Neuwahlen für das nächste Jahr vorzubereiten und einige wichtige Reformen zu realisieren. In den nächsten Monaten stehen die Vorbereitung einer umstrittenen Renten- und Steuerreform und Änderun­gen bei den Sozialausgaben des Staates an. ( Jungle World, 03/06)

Topolanek tat in den vergangenen Wochen allerdings nur wenig, um Unterstützer bei den anderen Parteien zu finden, offensichtlich ging es vor allem darum, eigene Pfründe zu sichern. Er nahm in den wenigen Wochen seiner Amtszeit wichtige personelle Veränderungen vor, die offenbar vor allem mit aus seiner Sicht fal­schen Parteizugehörigkeiten zu tun hatten. Mehr als 30 Inhaber hoher Staatsämter wurden entlassen, so der Direktor des Auslandsgeheimdienstes, der erst im Mai eingesetzt worden war. Alle anderen Parteien übten heftige Kritik an dem gesamten Vorgehen. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Jiri Paroubek (CSSD) kündigte gleich öffentlichkeitswirk­sam an, falls er Ministerpräsident werde, wür­de er alle Personalentscheidungen wieder rückgängig machen.

Die stärkste Partei ODS hat 81 der 200 Sitze im Parlament inne. Beide politischen Lager stellen jeweils 100 Abgeordnete: ODS, Christdemokraten (KDU-CSL) und die das erste Mal im Parlament vertretenen Grünen auf der einen, Sozialdemokraten, die zweitstärkste Partei, und Kommunisten auf der anderen Seite. Aber das ist nur ein Teil des Problems. So sind sich die Grünen, etwa im Hinblick auf die Außen-, Sozial- und Umweltpolitik, mit den beiden rechtsliberalen Parteien ganz und gar nicht einig. Die Christdemokraten und die Grünen wollen zudem auf gar keinen Fall mit den Kom­munisten zusammenarbeiten, was aber die Voraussetzung für eine stabile Regierung mit den Sozialdemokraten wäre. Wohingegen ODS und Christdemokraten wegen gegenseitiger unüberwindbarer Animositäten nicht miteinander können. Und die Vorsitzenden von ODS und CSSD können sich ebenfalls nicht ausstehen, wovon auch der Wahlkampf geprägt war.

Nach der Verfassung sind noch zwei Versuche möglich, um eine Regierung zu bilden. Staatspräsident Vaclav Klaus hat angekündigt, erst nach den Senats- und Kommunalwahlen Ende Oktober einen neuen Auftrag zur Regierungsbildung zu vergeben. Ihr Glück versuchen wollen erneut die Christdemokraten, diesmal möglicherweise mit einem parteilosen Kandidaten, und die Sozialdemokraten mit ihrem Vorsitzenden. Der Konservative Klaus will allerdings seinen politischen Kontrahenten Paroubek nicht mit der Regierungsbildung betrauen, und er will auch nicht derje­nige sein, der den Kommunisten (im Schlepp­tau der Sozialdemokraten) den Weg in die Regierung geöffnet hat.

Von Anfang an waren daher Neuwahlen im Gespräch, die aber immer wieder mit dem Hin­weis, man wolle die Wähler nicht verunsichern und die Wahlbeteiligung, die bei der vergangenen Wahl endlich mal wieder bei 65 Prozent lag, nicht erneut drücken. Allerdings erscheint dieses Argument angesichts des momentanen Zustands eher lächerlich, zumindest von außen betrachtet. Vielleicht meinen die Parteien ja, die Tschechen, zu deren Nationalhelden auch der liebenswert listige Soldat Schwejk gehört, seien beeindruckt, wie unerbittlich sie, ohne Zugeständnisse zu machen, um eine Regierung ringen.