Wo der Baum brennt

Über eine Million Zuschauer haben bereits Sönke Wortmanns Film »Deutschland – ein Sommermärchen« gesehen. Warum nur?

Die Sommerstimmung war bombig

Wortmann muss wohl seinen ersten großen Erfolgsfilm, tja, wörtlich genommen haben: »Der bewegte Mann«. Um Männerbewegungen geht es im Fußballfilm schließlich auch. So süße kleine Jungs! Rasante Strafraumszenen unter der Dusche, Südkurvengebrüll im Hotelzimmer, Deutschland-Fähnchen im Aus­puff. Als Herrschaftsfilmer und Mythologe wandelt Wortmann seit geraumer Zeit auf den Spuren Leni Riefenstahls (»Das bewegte Deutschland«) – »Das Wunder von Bern« hätte sie auch nicht besser drehen können.

Ja, stimmt schon – die Sommerstimmung war bombig. Gern erinnere ich mich dran, wie ich mit 60 in Deutschland-Fahnen gewickelten Randgruppenangehörigen im Gewerbepark Berlin-Kreuzbergs (zwei Garagen) vor der Großbildleinwand zu sitzen versuchte, in jedem Ohr eine Dampfhupe, ansonsten Nordkurvenaroma.

Pardon, Emotion! Ja, da kommen »Emotionen« (Wortmann, Lehmann, Kahn, Bild, Kerner etc.) hoch. »Emotion« meint: heulen, schreien, saufen, ins Kissen beißen, gewinnen – und ver­lieren.

jürgen kiontke

[Geändert am 30. Oktober 2006, d.R.]

Die Tore

Die Tore, diese wunderbaren Tore, erzielt von wem gegen wen auch immer, diese Tore – nach Flachschüssen, halbhohen Schüssen, Winkelknallern, nach Kopfbällen, per Elfmeter oder Freistoß, diese Tore also, das Schönste, Ansehn­lichste, Meistbewunderte einer überhaupt schönen WM, ja diese Tore, samt Eigen- und Abseitstoren, wie auch immer, die Tore, darunter fünf von Klose, Lahms Lupfer, Neuvilles Last Minute-Abstauber, Podolskis Doppelpack, die Tore jedenfalls, zweimal Wanchope, die verwandelten Elfer von Cruz und Maxi Rodriguez, Grossos großes Stück, Del Pieros Todesstoß – all das ist dem Wortmann nur dramaturgisches Füllwerk in einer Dramaturgie des Nichts, lediglich Stoff, der zwischen ein giggeliges Schnarchinterview und eine Waden­massage geflickt wird, allein Material zwischen La-Ola-Bullen und Schwabenterror, über das man auch noch diese Hans Zimmers »Rainman«-Schmonz nachempfunde Mischung aus Panflötenhüsterich und Klangholzgeklöppel legt, als ob es nicht schon genug Klingelton­exotistik und Warteschleifengesimsel in der Welt gäbe, als ob der Sound eines dumpf klatschenden Volleyschusses und das satt-knacki­ge Rauschen eines Balles im Netz unerträgliche Geräusche wären, auf die man unbedingt etwas Schmieriges draufknödeln muss, damit nur weiter die Dramaturgie der Bräsigkeit nicht leidet und die Weltmusik zu Gast bei Freunden – ach, was soll’s. Scheißdreck. Wort­mann halt.

maik söhler

Der Ball, der Spieler, der Trainer und ihre Liebhaber

Mitten in die Phase der nationalen Auskühlung nach dem großen Event Fußballweltmeisterschaft, die Fahnen werden langsam ausgeblichen und der Papst ist auch schon wieder weg, bis zum nächsten Fahnenanlass ist es weit, kommt Sönke Wortmanns Film zum Ereignis in die Kinos. Und hast du nicht gesehen, sind die Fernsehprogramme schon wieder im deut­schen Vollrausch, trommeln und O-laen auf allen Programmen, und nur eines kann ich euch von diesem Film mit dem programma­tischen Titel »Deutschland – ein Sommermär­chen« versichern: So ekelhaft anschmeißerisch, korrupt und dumm wie der Medien­hype ist er nicht, kann er nicht sein, und das schönste Bild in diesem Versuch, die nationale Besoffenheit medial in die Verlängerung zu schicken, war, dass es dem Regisseur selbst we­nigstens ein bisschen peinlich war.

So ein Blick von innen, wie ihn der Film zum Ereignis gestattet, hat freilich etwas Befreiendes; all die Medien-Hypes, all die nationalen Symbole und Erwartungen, all das Drumherum zum Fußball kommt hier zwar an, aber doch auch gefiltert, mit einem Hang zum Trivialen und oft genug auch einem zum Surrealen, wie etwa bei den Besuchen der Kanzlerin und des Bundes­präsidenten bei den Spielern. Man sitzt mit unseren Jungs eher konsterniert da, wie beim Besuch des Schulrates im Turnunterricht. Man weiß, dass alles, wirklich alles gelogen ist. Fuß­ball­spieler sind ja einerseits Stars, an­drerseits Schwerarbeiter, die auf eine enor­me Vielzahl von Reizen reagieren müs­sen, und sich auf einigermaßen anstrengende Art darauf vorbereiten, es müssen auch Schauspieler und Geschäftsleute in ihnen stecken. Aber sie sind eben auch dies: spielende Kinder, für die Gewinnen oder Verlieren nicht nur Kalkül und Karriereplanung ist, sondern etwas sehr Fundamentales.

Das Verkindlichen setzt sich fort im Zugriff der Medien; von innen gesehen hat auch der Reporter etwas teils Vulgäres, teils Groteskes an sich, der sofort das vertrauliche »Du« gebraucht, man weiß nicht recht, wie darauf reagieren. Es ist einerseits die Art, wie das Me­dium den Fußballer als »Kind« adoptiert, aber umgekehrt ist es auch die freche Behauptung des Mediendeppen, sozusagen aus dem Stand heraus Mitglied dieses Männerbundes zu sein. Wenn Fußballspieler nicht auf dem Platz sind, sind sie mit der Verteidigung ihrer Würde vollauf beschäftigt. Gut zu sehen: Es gibt da ein paar sehr unterschiedliche Strategien. Wie damals in der Schule …

Zweifellos: Dieser Blick von innen gibt dem Geschehen einen Teil der verlorenen Unschuld zurück, jedenfalls für 107 Minuten. Auch der Begeisterungsrausch, diese nationale Selbstfeier, wird hier von innen gesehen, etwas, auf das die deutsche Mannschaft reagieren muss, wie sie auf Strategiewechsel gegnerischer Mannschaften reagieren muss. Als Fernsehbild in einer nach den Bedürf­nissen einer eher körperlich orientier­ten Männergruppe umdekorierten Hotellobby, gleichsam zur Nachricht aus einer anderen Welt mutiert, verliert das ganze etwas von der ideologischen Fragwürdigkeit. Immer wieder betritt man mit dem Team den Außenraum einer in Bewegung geratenen Öffentlichkeit. Die »Jungs«, die »Männer«, wie sie beständig angesprochen werden, scheinen hier allerdings weniger als die Nationalhelden denn als die Mitglieder einer sportiven Boy Group, die Mädchen zum Kreischen und Mengen zum Tan­zen (oder wenigstens zum Wellenschlagen) bringen.

Die Spiele selber kommen in Wortmanns Film nur in der Form stilisiert überhöhter Traumsequenzen vor (wir kennen schließlich die andere Seite zur Genüge), die so genau mit der Musik geschnitten sind, dass man eine Art Fußballoper sieht, mehr noch aber Clips, bei denen man versäumt hat, das Produkt noch einmal ins Zentrum zu stellen, für das man eigentlich Werbung treibt. Spielzüge und Schweißtropfen in Zeitlupe. Da wird die Grammatik problematisch. Dass Fußball jetzt, praktisch und materiell ist, und dass gerade das das Tolle daran ist, wird aus­gerechnet hier verleugnet, wo man doch ge­rade bereit war, Arbeit und Psyche eher als den Mythos und die Ideologie zu sehen.

Insbesondere die musikalische Aufbereitung, mit einem Hang zum mickey mousing und zum Erlösungsraumklang, erzeugt diese Nähe zum Werbespot, die man fatalerwei­se auch beim Übergang zu den intimeren und interessanteren Sequenzen nicht mehr ganz aus dem Kopf bekommt. Die Leerstelle des Werbefilms ist wahlweise Fußball oder Deutschland oder einfach: Pop. Man lernt einige der Beteiligten in der Tat besser kennen, auch Nebenfiguren wie den Masseur oder den Fahrer des Busses, und man fühlt sich für eine Zeit in der Tat wie ein Mitglied dieses erweiterten Teams, das von Klinsmann immer wieder mit den kernigen Formeln motiviert wird, die weder besonders intelligent noch besonders sympathisch sind, aber darauf kommt es nicht an.

Eine Art kontrollierter Begeisterungsrausch erfasst auch den Zuschauer, es gibt in diesem Film nur sympathische Menschen. Man könnte den Film als Dokumen­tation eines mehr oder weniger gelungenen gruppendynamischen Experiments ansehen, und darin eben auch ein politisches Modell erkennen. Fußballfilme sind immer politische Filme, weil in unserer Gesellschaft Fußball sowohl im Inneren wie im Äußeren politisch ist. Es muss ja nicht immer diese Holzhammer-Metaphorik zwischen Bundeskanzlern und Nationaltrainern und ihren jeweiligen Führungsstilen sein, aber zweifellos kann man Deutschland nicht erzählen, ohne Fußball zu erzählen.

Diese Analogie akzeptiert Wortmanns Film, natürlich schon bei dem Titel, der nicht nur eine positive Grundstimmung ver­spricht (die voll und ganz eingehalten wird, das gehört zur Strategie des Films), sondern auch eine Übermalung: Heines »Deutschland. Ein Wintermärchen« ist ja zum Sinnbild melancholischer Distanz geworden, auch und gerade bei all jenen, die das Versepos nie gelesen haben. Eine Übermalungsak­tion ist das also gleich zweimal, einmal durch menschliche Nähe und das andere Mal durch die ästhetische Überhöhung. Was in der Mitte fehlt, ist die Chance kritischer Distanz. Immer wieder kommt es auch im Film zum Ausdruck, und es ist natürlich Klins­manns Philosophie: nicht jammern, nicht ausruhen – hinlangen, angreifen, Optimismus. Wortmann, so liest sich’s in seinem Tagebuch, will so auch Filme machen.

Das ist denn doch ein wenig zu viel der Ausblendung im Dienst der wieder gewonnenen Unschuld. Denn der Blick von innen, den der Film uns anbietet, ist nur ganz selten auch ein Blick nach innen. Allenfalls in zwei, drei Szenen sieht man nicht nur einen Perspektivwechsel, sondern tatsächlich etwas anderes als in der gewohnten Medienberichterstattung. Neben den Bildern der Niederlage und den Schwierigkeiten, mit ihr fertig zu werden, ist das vor allem eine Szene am Schluss, als man sich darüber verständigen will, ob man zum Abschluss noch zur Fanmeile in Berlin fliegen soll. Wie leer man nach einem solchen Turnier sein kann, davor warnt Ballack und deutet immerhin an, dass es auch einen Dissens zwischen Mannschaft und Betreuern geben kann (und Klinsmann hat intelligenterweise den Raum verlassen, um die Mannschaft zu einem demokratischen Ergebnis kom­men zu lassen; schon wieder kommt man sich vor wie in einer Schule).

In solchen Szenen, und in Wortmanns Dramaturgie angelegt, versteht man ein wenig davon, wie in einer Gruppe sich Zwang und Freiheit begegnen müssen, und warum das mindestens so bedeutend ist wie die Taktik und die körperliche Fitness. Zu den ersten Statements des Films gehört es, dass Co-Trainer Löw meint, die »deutschen Tugenden« reichten heute im Fußball nicht mehr aus, die seien längst selbstverständliche Grundlagen. Da ahnt man, was das Innen und das Außen zusammenhält: ein Versuch der Neubestimmung, wenigstens der Erweiterung dessen, was man als »deutsch« begreifen soll.

In manchen Augenblicken sieht man einem Kollektiv zu, das sich in seiner Praxis selbst erfindet. Um das wirklich würdigen zu können, zeigt Wortmann freilich zu wenig von den Schwierigkei­ten, die sich einem solchen Prozess entgegenstellen. Verbal zumindest passiert in diesem Film auch nicht viel anderes, als in den Fernsehberichten zu hören und in den Zeitungen zu lesen ist. Klinsmanns Anfeuerungen klingen nicht anders als im »Elf Freunde müsst ihr sein«-Diskurs. Er insistiert zu wenig, und er zerlegt auch wenig analytisch, weder das Spiel (wer erinnert sich noch an Helmuth Costards »Fußball wie noch nie«?) noch den Betrieb eines solchen Turniers, noch das Funktionieren eines Teams. So ist man am Ende so schlau als wie zuvor. Am ehesten ist eine Art von Feelgood Movie für Fuß­ballfans daraus geworden, bei dem Wortmann natür­lich der Instinkt für sein Material und seine Menschen zugute kommt. Er weiß genau, welche Situationen und welche Spieler am besten »rüberkommen«, und insbesondere Bastian Schweinsteiger setzt er nachge­rade wie einen Schauspieler ein (und der dankt es ihm mit einer »Spielfreude« auch vor der Kamera). Die Frage nach dem einzelnen und dem Kollektiv ist also einmal mehr nach dem Prinzip des Spielfilms entschie­den: Stars, Sidekicks, character actors, bit parts, Statis­ten. Das wichtigste ist der Platz.

Zwei weitere größere Probleme freilich machen einem das Ansehen doch nicht zum reinen unbeschwerten Genuss. Zum einen muss der Aspekt der Überraschung fehlen; nachdem man sich einmal an die Perspektive und an die wiederkehrenden Merkmale der Darstellung (etwa die durchgehende Interview-Situation der Spieler auf einem Hotelbett) gewöhnt hat, kann nichts Neues mehr geschehen. Man weiß nicht nur, wie es ausgegangen ist, man kennt schon die meisten der Sprüche und Gesten. Es ist ein Schatten, ein Echo, ein Gespenst. Im besten Fall hat Wortmann versucht, der Medien-Inszenierung von Fußballdeutschland nachträglich eine Seele zu verleihen.

Das zweite ist vielleicht schwerwiegender. »Deutsch­land – ein Sommermärchen« hat einen Aspekt von Fan-Enthusiasmus, Wortmann, selber versierter Fuß­ballspieler und als Fußballfilmer durch »Das Wunder von Bern« ausgewiesen, hat sich einen persönlichen Traum erfüllt, aber das Produkt hat auch einen Aspekt eines offiziellen Sportfilms. So sieht man vielleicht die freiwillige oder unfreiwillige Komik mancher Situationen (die Pein der Urinprobe bei der Doping-Kontrolle oder die Flachsereien beim Massieren, Schweinsteigers Spiel mit der Kamera), aber irgend einen Punkt des kritischen Innehaltens oder der Brechung wird man vergeblich suchen. Da, wo es interessant zu werden droht, zum Beispiel bei der Lobby von Bayern München und ihren Versuchen, in die Besetzungspolitik der Nationalmannschaft einzu­greifen, belässt man es bei Andeutungen. Dass Wort­mann nicht nachfragt, das gehört natürlich zu seinem Konzept: dabeisein, nicht analysieren. Sein Konzept ist aber auch Symptom, da kann man nichts machen.

Das wird dann aber auch über anderthalb Stunden lang, bei allem filmischen Geschick, ein bisschen ein­tönig. Die Per­spektive wird zu keinem Zeitpunkt einmal aufgebrochen. Wortmanns Film akzeptiert den Filter der Wahrnehmung. Auch das ist eine politische Nachricht. Wenn man zur gleichen Zeit den französischen Film über Zinédine Zidane sieht, ohne einen direkten Vergleich zu intendieren, dann wird klar, dass man die Verbindung von Fußball, Menschen und Politik auch anders sehen kann. Nämlich im Bewusstsein des Konflikts, im Bewusstsein einer schwierigen Rea­lität.

Es hilft Dramaturgie, wo der Blick nicht genauer werden darf. Weil Wortmann auch den Bildern Raum gibt, die nach der Niederlage gegen Italien entstanden, dramatur­gisch natürlich geschickt schon am Beginn des Films, entwickelt das ganze einen Sog der Wiederauferstehung: Das letzte Spiel um den dritten Platz und die anschließenden Feiern sind eine zweite Erfindung dieser Mannschaft, die einen Sommer lang ein bisschen von dem vergessen ließ, was das Land bedrückt. In der Politik, aber auch im Fußball selbst.

Dieses Innen, aus dem »Deutschland – ein Sommermärchen« immer wieder ganz direkt heraus erzählt, etwa wenn man die Protagonisten hinaus aus dem Tunnel in das gleißende Licht und den Massenjubel des Stadions treten lässt und dabei die Blendung ganz direkt miterlebt, dieses Innen ist eine pure Fiktion (und manchmal hat man das Gefühl, Wort­mann und seine Zuschauer wären da mehr an der Kreation eines Zuhauseplatzes interessiert, als es die Protagonisten selber sind). Man kann eben auch auf das Authentische hereinfallen. Und Fußballdeutschland ist die authentische Fiktion am Beginn des nächsten Kapitels im Bürgerkrieg des Neoliberalismus.

georg seeßlen

Backstage mit Ballack

»Ich will jetzt Fußball«, quengelt es aus dem Kinosessel neben mir, während ich einmal mehr den verdammten Marlboro-Cowboy um seine Ländereien beneide. Die Stimme gehört nicht etwa einem pickligen Jungen im Podolski-Trikot, auch keinem schnauzbärtigen Kuttenträger, der voller Hoffnung ist, in den kommenden 107 Minuten endlich zu ergründen, warum seit Mitte Juni eine schwarz-rot-goldene Flagge seinen Balkon ziert. Nein, sie gehört einer jungen Frau, die sich erwartungsfroh an ihren Freund schmiegt. Sie will jetzt Fußball – und wird ihn leider nicht bekommen.

Zumeist gibt es stattdessen junge Männer zu bestaunen, die wechselweise aus hellen Umkleideräumen oder dunklem Hotelmobiliar in die Kamera schauen. Die in recht sinnlosen Interview-Fetzen ihre Sicht der Dinge erklären oder in mäßig humorigen Alltagsepisoden glänzen. Der sprachlose Miroslav Klose beim Friseur, der macht­lose Oliver Neuville beim Pinkeln, der haltlose Jürgen Klinsmann an der Tischtennisplatte. Kaum Au­ßergewöhnliches in einem Film, dessen Darsteller dem Publikum mindestens so gut bekannt sind wie der verdammte Marlboro-Cowboy.

Der Streifen funktioniert dennoch. Nicht einmal Xavier Naidoo kann daran etwas ändern. Es gibt keine provozierenden Längen, keine kunstvoll mon­tierten Szenen; Backstage mit Ballack – das reicht.

christian helms

Der Fan

Die Kritik, dass der an Heine angelehnte Filmtitel, wonach Deutschland ein Jahreszeitenmärchen sei, höflich formuliert, eine Frechheit darstellt, möchte ich gerne solchen Autoren überlassen, die sich mit Heine und der deutschen Geistesgeschichte besser auskennen als ich. Auch für die feine Herausarbeitung des Umstands, dass sich Sönke Wort­mann zu wenig und zu ignorant am französischen Vorbild, einem grandiosen Dokumentarfilm über den WM-Erfolg der Equipe Tricolore von 1998, abgearbeitet hat, sind Filmkritiker gewiss kompetenter. So wie für die unangenehme Unprofessionalität, mit der die ARD-»Tagesthemen« den Film anpriesen, eher die Medienkritiker zuständig sind. Dass aber das ein oder andere fußballerische Detail, das zu sehen war, Klinsmanns Kabinenansprachen beispielsweise, wirklich etwas mir vorher nicht Bekanntes darstellte und dass ich als professionell mit dem Fußball betrauter Mensch den Film streckenweise gerne sah, will ich ja gar nicht verschweigen.

Was mich jedoch an »Deutschland – ein Sommermärchen« wirklich und zutiefst stört und was ich für eine grundsätzlichere Kritik halte als die vorab gemachten Beobachtungen, ist dies: Wie peinlich, ohne jede Distanz und ohne jede Selbstachtung sich Regisseur Wortmann aufgeführt hat und dafür noch feiern lässt. Was man beim Betrachten des Films zwar bemerkt, aber vielleicht, weil man selbst einem Regisseur wie Wortmann noch Gutes zubilligen möchte, dem Sujet und den schwierigen Drehbedingungen zuzuschieben bereit ist, beweist sich spätestens bei der Lektüre von Wortmanns zusammen mit Christoph Biermann verfasstem »WM-Tagebuch« als Tatsache: Wortmann ist vor allem anderen ein Fan. Dass er als ein deutscher Ex-Profi mit der Nationalelf fiebert, die er für seine hält, sei ihm unbenommen; sich da aufzuregen, wäre albern. Aber dass ein Dokumentarfilmer stolz darauf ist, dass er bestimmte Szenen nicht filmen wollte, weil er doch gerade Daumen drücken oder jubeln oder trauern oder sonst was musste, das ist wirklich ganz übel. Es gibt etliche exzellente Dokumen­tarfilme, die mit einer sehr nah am Geschehen arbeitenden Kamera grandiose Einblicke in bislang verschlossene Sphären liefern. Damit diese Filme exzellent wurden, bedurfte es auf ihre Unabhängig­keit pochende Filmemacher, die nicht an der Nähe zu den Stars, die sie filmen durften, besoffen wurden. In einem solchen Rausch aber – besonders schlimm: Es ist ein nationaler – befindet sich Sönke Wortmann.

martin krauß

Rundlauf mit Fußball

Ich fand die Fußballweltmeisterschaft 2006 toll, weil hier in Berlin eine schöne Stimmung war. Eigentlich war ich zuerst gar nicht für die deutsche Mannschaft, sondern für ganz viele andere: Spanien, Niederlande, Ghana. Aber als die alle ausgeschieden waren, da dachte ich, von denen, die noch dabei sind, ist Deutschland am besten. Wenn man den Film »Deutschland – ein Sommermärchen« sieht, kann man sich gut an diese Zeit erinnern. Es ist interessant, dass man hört, was Klinsmann zum Spiel der Deutschen sagt. Wenn man nur zuschaut, dann versteht man die Taktik von Klinsmann gar nicht. Zum Beispiel, dass Podols­ki und Klose sich genaue, schnelle Pässe zugespielt und deshalb ein Tor erzielt haben. Auch die Stimmung nach einem gewonnenen Spiel kann man im Film gut sehen. Oder das Privatleben der Spieler, wie sie Witze machen und lachen. Lustig waren auch die Übungen, die sie im Training gemacht haben, zum Beispiel Rundlauf mit Fußball. Für Fußballfans ist der Film bestimmt das Richtige.

josephine burckhardt (10 jahre)

Ein Patrioten­märchen

Es war einmal ein kleiner Junge, der wünschte sich nichts so sehr, wie einmal in der Natio­nal­elf zu spielen. Er übte und übte ohn’ Unterlass. Und startete als Jüngling tatsächlich eine Fuß­ballerkarriere. Doch reichte es dann nur für die Spielvereinigung Erkenschwick. Was also tun, um reich und berühmt zu werden? Der junge Mann, der auf den Namen Sönke Wortmann hört, verfiel aufs Filmemachen. Talent hatte er hierfür zwar noch weniger, aber eins hatte er seinen Mitstudenten an der Hoch­schu­le voraus: Keiner wusste den Massengeschmack so zu bedienen wie er.

Sein größter Coup, »Das Wunder von Bern«, war weit mehr als ein Fußballfilm: die Untermalung der Debatte um den Bombenkrieg und der Mär von den Deutschen als Opfern. Beim WM-Finale 1954 sei, so Wortmann, »etwas ent­standen, was es heute noch gibt: dass eine deut­sche Nationalmannschaft nie aufgibt«. Der dama­lige Kanzler Gerhard »Acker« Schröder wein­te vor Glück über diese Art der »Vergangenheitsaufarbeitung«.

So ist es auch alles andere als ein Wunder, dass ausgerechnet unser Mann bei der diesjährigen WM Einlass in das »Heiligtum« des deutschen Fußballs erhielt: in Trainingslager und Umklei­dekabine der Nationalelf. Er habe alles filmen dürfen, nur der Fairness halber habe er dem Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann die Rohfassung vorgelegt. »Es ging alles durch«, freut sich Wortmann. Zensur war auch gar nicht nötig. Denn spätestens seit der erklärte Fan der Truppe auftragsgemäß Motivationsvideos für »unsere Jungs« geliefert hatte, wusste der DFB, was von ihm zu erwarten war: Die so genannte Dokumentation »Deutschland – ein Sommermärchen« ist ein (entschieden zu lang geratener) Imagewerbeclip für die Nationalelf.

Die Spieler porträtiert er als nette Jungs mit etwas dumpfem Pennälerhumor – Prolls wie du und ich eben, deren politisches Interesse, wie sich beim Merkel-Besuch im Mannschafts­hotel zeigt, auf die Forderung nach Steuerfreiheit beschränkt ist. Wortmann findet sowas offenbar ebenso frech und sympathisch wie sein Publikum, das in »Danke, Deutschland!«- oder »Lieber Dritter als Petze«-T-Shirts die Kinosäle stürmt und jedes deutsche Tor und jeden nackten Spielerarsch johlend beklatscht.

Auch der Entmystifizierung Klinsmanns, zu der Wortmann eher unfreiwillig beiträgt, hätte es nicht bedurft – wenngleich es immer­hin aufschlussreich ist, wie es um die Künste des Motivationsgurus tatsächlich steht. Klinsi lässt seine Truppe etwa elf Fackeln entzünden, und von Kabinenpredigt zu Kabinen­predigt klingt sein Geschrei irrer und heiserer: »Die müssen den Tiger in unseren Augen sehen«, »Männer, ich sag’s euch, da brennt der Baum«. Nicht nur einmal wähnt der po­sitive Denker sich »dabei, Geschichte zu schreiben«: »Das lassen wir uns nicht nehmen, schon gar nicht von Polen.« Respek­tive: »Die Polen stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir knallen sie durch die Wand durch.«

Weil »Deutschland – ein Sommermärchen« natürlich ebenfalls nicht bloß ein Fußballfilm ist, lässt der Wortmann den Klinsmann auch als politisch denkenden Menschen zu Wort kommen: In Deutschland herrsche eine Jammermentalität vor, findet der Politberater aus Kalifornien, beim Angriff auf neue Ziele sei man zu zögerlich.

Schon klar, es muss nicht nur »ein Ruck durch die Fußballnationalmannschaft« (Oliver Bierhoff) gehen, sondern wieder mal durchs ganze Land. Erst recht nach der WM.

marit hofmann

Ohne mich

Peinlicher Wortmann. Nach der Party allein weitermachen, und das im Kino. Los! Wichs Dir einen ab! Ich kuck nicht!

dietrich kuhlbrodt