Endstation Bahnhof

Der Aufmarsch der NPD und der »Freien Kameradschaften« in Göttingen am Samstag kam nicht über das Bahnhofsgelände hinaus. von andreas speit

Das Transparent der Stadtverwaltung kommt nicht gut an. »Keine Nazis in Göttingen«, das will ein »Kamerad« nicht lesen. Kaum betritt er den Bahnhofsvorplatz, reißt er das Transparent, das zwischen den Laternen hängt, herunter. Die Polizei führt ihn daraufhin ab, und zwar wegen Sachbeschädigung. Ein Vorgang, der die Schwäche der Rechtsextremen an diesem Tag illustriert.

225 Neonazis kamen am Samstag nach Göttingen. Ihr Motto lautete: »Dem Gutmenschenpopanz entgegen! Zeckenzentrum auflösen! Stadtverwaltung ablösen!« Doch der Tag wurde nicht zum Tag der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und der »Freien Kameradschaften«. Im Gegenteil: Weiträumig abgeschirmt hinter mehreren Reihen von Polizisten, durften sie nur auf dem Bahnhofsvorplatz eine zweistündige Kundgebung abhalten.

»Haut ab«-Rufe erschallten im Bahnhof, als die Neonazis gegen 12 Uhr mit dem Zug ankamen. »Und Tschüss«, sangen die Antifas, als die Rechtsextremen um 14 Uhr wieder abreisten. Trotz eines großen Polizeiaufgebots konnten über 100 Gegendemonstranten bis zum Bahnhof vordringen. Seit dem Vormittag protestierten rund 4 000 Demons­tranten in der Innenstadt. Zum dritten Mal in einem Jahr wollten die Neonazis, angeführt vom stellvertreten­den Landesvorsitzenden der NPD in Niedersachsen, Adolf Dammann, und dem Anführer der »Freien Kameradschaften«, Christian Worch, durch die Stadt marschieren. Viele Jahre schon, klagen die Neonazis, versuchten »linksex­treme Kräfte in Göttingen eine ›No-Go-Area‹ für alles einzurichten, was politisch rechts« sei, und würden dabei von »linksbürgerlichen Kreisen« unterstützt.

Tatsächlich scheiterten die Rechtsextremen auch dieses Mal wieder an einem großen Bündnis aus Bürgern, Antifas und der Stadt. Das Bundesverfassungsgericht erlaubte Dammann nur die zeitlich begrenzte Kundgebung am Bahnhof. »Ein Erfolg«, sagte Lothar Hanisch, der Regionalvorsitzende des DGB, auf der Gegendemonstration. Das »Bündnis gegen Rechts«, in dem über 70 Antifa-Initiativen, Gewerkschaften und Parteien vereint sind, hatte erneut dazu aufgerufen, »Gesicht gegen Nazis zu zeigen«. Das Bündnis habe zusammen mit der Stadt erreicht, dass die Neonazis nur eine Kundgebung ausrichten konnten, freute sich Hanisch. Der Protest gegen einen Aufmarsch der NPD im Oktober 2005, an dem 4 000 Demonstranten teilnahmen und teils Barrikaden auf den Straßen in Brand gesetzt wurden, wirkt nach.

Hanisch ist am Samstag nicht der einzige Redner. Ludger Gaillard, der Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde, und Cornelius Yufanyi von der Flüchtlings­orga­ni­sa­tion »The Voice« ergänzen, dass die Wirtschaftspolitik, die »die Schwachen weiter ausgrenzt«, und die Einwanderungspolitik, die die »Flüchtlinge bekämpft«, den »Nährboden für die Erfolge der NPD« bildeten. Ein Vertreter der »Antifaschistischen Linken International« betont, dass die Akzeptanz der verschiedenen Protestformen bewirke, dass die »Faschisten in Göttingen keine Chance haben«.

Die Polizei hingegen will nicht alle Protestformen tolerieren. Die Beamten kontrollieren selbstverständlich auch solche, die »links« aussehen. 1 562 Identitäten stellen sie fest. Ein Hubschrauber kreist über der Stadt. Die Polizei versucht, die Gegendemonstranten nur im engen Spalier gehen zu lassen. In der Fußgängerzone kommt es zu kurzen Auseinandersetzungen, als die Antifas nicht gleich der vorgegebenen Route folgen wollen.

Auf dem Bahnhofsvorplatz schimpfen derweil Dammann und Worch über die behördlichen Schikanen. Die Entscheidung der Gerichte und das Verhalten der Polizei, meint Dammann, bewirke, dass »Deutsche nicht in Deutschland« demonstrieren könnten. Das Feststellen eines polizeilichen Notstandes, meint Worch, offenbare die »militärische Schwäche«. Dieter Riefling und Alexander Hohensee von den »Freien Kameradschaften« ziehen über die Antifa und »die Muster­demokröten« in diesem »Judenstaat« her.

Die Neonazis bemühen sich, den Tag als Erfolg zu bewerten. »Eine Niederlage für uns? Mitnichten!« erklärt die NPD Göttingen. Die vergangenen Monate müssen sie sich allerdings nicht schön reden. »Noch fester verankert« sei sie, brüstete sich die NPD nach der niedersächsischen Kommunalwahl im September, und das war nicht nur Propaganda des Verbands um den Landesvorsitzenden Ulrich Eigenfeld. 18 Mandate gewann die NPD in Kreis-, Stadt- und Gemeinderäten. Nahe Göttingen zog Michael Hahn in Bad Lauterberg in den Stadtrat. In Verden wurde Rigolf Hennig in den Stadt- und Gemein­derat gewählt und im nahen Dörverden Daniel Fürstenberg ins Gemeindeparlament. In der Region Helmstedt-Wolfenbüttel gewann die Partei gar zwei Mandate, sie erzielte dort knapp über zehn Prozent. Über 15 Jah­re sitzt Friedrich Preuß, der stellvertretende Landesvorsitzende, im Helmstedter Stadtrat. Nun nimmt neben ihm die »Kameradin« Elke Raabe Platz.

Von den Medien kaum beachtet, griff die NPD gezielt regionale Themen auf. Ganz wie vom Bundesvorstand vorgegeben, versucht der Landesverband, die kommunale Verankerung auszubauen. »Raus aus den Hinterzimmern, rein in die Vereine, Freiwilligen Feuerwehren und Sportclubs«, lautet auch hier die Devise. Einen »kommunalpolitischen Beratungskreis« gründete man ebenfalls, um mit der Ratsarbeit noch mehr Zuspruch zu gewinnen.

Die NPD in Niedersachsen hofft, auf diese Weise bei der Landtagswahl im kommenden Jahr besser abzuschneiden. Vielleicht träumen manche Mitglieder in ihrem »Stammland«, wo die Partei 1964 von alten NSDAP-Mitgliedern und Anhängern der »Deutschen Reichspartei« gegründet wurde, davon, erneut Wahlerfolge wie im Jahr 1967 zu erzielen. Mit sieben Prozent der Stimmen zog die NPD damals in den Landtag ein.

Gestritten wird in dem Verband jedoch darüber, ob Aufmärsche zusammen mit den »Freien Kameradschaften« dem Ziel dienlich seien. So unterstützte nur die NPD aus Göttingen, Stade, Schaumburg und Verden den Aufmarsch in Göttingen. Vor allem der Landesvorsitzende Eigenfeld will mit den Kameradschaften nicht so eng zusammenarbeiten. Dammann, sein Stellvertreter, hingegen tritt offen hierfür ein. Im Nieder­sachsen­spie­gel der NPD bat Eigenfeld, die »gute Arbeit« nicht durch selbst gemachte Probleme zu gefährden. Mittlerweile musste er sich jedoch dem gewachsenen Einfluss der Befürworter einer Zusammenarbeit beugen. Zusammen mit Riefling versicherte er schriftlich vor einem Zeugen, die »Zusammenarbeit ohne gegenseitige Diskriminierung« wieder aufnehmen zu wollen.