Winterfußball on Ice

Bandy ist in Nord- und Osteuropa eine der beliebtesten Sportarten, anderswo allerdings so gut wie unbekannt. von elke wittich

Ungerade Jahre, so wissen Sportfans, sind langweilige Jahre. Die die Massen begeisternden großen Ereignisse wie Olympische Spiele und Fußballwelt- und Europameisterschaften finden grundsätzlich in geraden Jahren statt.

Natürlich gibt es auch zu dieser Regel Ausnahmen: 2007 wird in Russland die 27. Weltmeisterschaft im Bandy ausgerichtet.

Bandy? Bandy! Schlittschuhe, Schläger und Tore stehen nicht überall zwangsläufig für Eishockey – Bandy, in Deutschland weitgehend unbekannt, gehört in Nord- und Osteuropa zu den beliebtesten Sportarten.

Gespielt wird es von jeweils zwei Mannschaften à elf Personen auf einer Eisfläche von der Größe eines Fußballfeldes, die Tore sind 3,50 Meter breit und 2,10 Meter hoch. Bodychecks sind verboten, statt nach einem Puck wird nach einem Ball geschla­gen. In Großbritannien wird Bandy folgerichtig bis heute auch als »Winter-Football« bezeichnet.

Eishockey- und Bandy-Spiele wurden offiziell im Jahr 1875 zum ersten Mal unter ihren jeweiligen Bezeichnungen ausgetragen. Bandy als Derby zwischen zwei Londoner Clubs im legendären Crystal Palace, Eishockey als Wettstreit zwischen den Dozenten und Studenten der McGill-Universität im kanadischen Montreal.

Die Idee, mit einem Stock nach einem Ball oder Puck zu schlagen, war allerdings bereits damals weder neu noch revolutionär. Eine mehr als 4 000 Jahre alte Zeichnung aus einem Grab im ägyptischen Beni Hasan zeigt zwei schemenhafte Gestalten, die einen Ball oder Ring mit ihren Schlägern vorwärts bewegen. Im südlichen Zentralasien spielte man Polo – im Gegensatz zu heute zu Fuß und ohne Pferde –, in Japan Kachi.

490 v. Chr, zur Zeit der Schlacht von Marathon, vertrieb man sich in Griechenland mit einem dem Bandy ähnlichen Spiel die Zeit, das von den Römern später unter dem Namen »Paganica« adaptiert und in ihrem Einflussgebiet verbreitet wurde. Im Mittel­alter waren Stock-Ballspiele besonders in Nordwest-Europa verbreitet. Das isländische »Knattleikr« (»leikr« bedeutet Spiel) wurde im 9. Jahrhundert zum ersten Mal urkundlich erwähnt und ist Bestandteil einiger Sagen – wobei es wahrscheinlich von Auswanderern aus dem heutigen Großbritannien auf die skandinavische Insel gebracht wurde.

Eine aus dem 13. Jahrhundert stammende Darstellung auf einem Fenster der Kathedrale von Canterbury zeigt einen Jungen, der in der einen Hand einen Schläger, in der anderen einen Ball hält. Und in Shakes­peares »Romeo und Julia« findet sich ein Satz, wonach der Prinz »das Bandyspiel in den Stra­ßen von Verona« ausdrücklich verboten habe.

Mit dem niederländischen »Kolv« wurde das Ballschlagen dann aufs Eis verlagert und auf zahlreichen historischen Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts als Wintervergnügen verewigt. Im Unterschied zum Bandy und zum Eishockey handelte es sich allerdings nicht um eine Mannschaftssportart, sondern war wohl eher eine Art Golf auf Eis.

Im 19. Jahrhundert dann wuchs der Bedarf an Freizeitmöglichkeiten, bis dahin ungeordnet und von Ort zu Ort nach unterschiedlichen Vorschriften betriebene Mannschaftsvergnügen wurden zu organisierten Sportarten, Verbände entstanden, die allgemeingültige Spielregeln festlegten. Die sahen in den meisten Fällen explizit den Ausschluss von Frauen vor, die fortan höchstens noch Sportarten betreiben durften, die als ungefährlich galten und angeblich weibliche Eigenschaften wie Grazie und Anmut fördern sollten.

Während Eishockey als raue Männersportart angesehen wurde, war es Frauen allerdings selbst bei den ersten Bandymatches erlaubt mitzuspielen, vor allem, weil die Verletzungsgefahr als nicht besonders groß galt. Das liegt vor allem an den fehlenden Banden und dem expliziten Verbot von Bodychecks – im Jahr 1990 wurden die Regeln des damals noch neuen Frauen-Eishockeys dahingehend modifiziert, dass Rempeleien und das Drücken der Gegnerin an die Spielfeldbegrenzung strikt verboten sind.

Dass Bandy vor allem in den europäischen Ländern, in denen die Winter vergleichsweise streng ausfallen, und in Großbritannien nach wie vor so beliebt ist, liegt sicher vor allem an der dafür notwenigen Spielfläche. Sobald dort, wo im Sommer gekickt wird, frostbedingt kein Fußball mehr gespielt werden kann, erklärt man den Fußballplatz zum Bandyplatz und tauscht die Töppen einfach gegen Schlittschuhe. Und dafür muss man nicht einmal besonders viele neue Regeln lernen, denn die Bandyvorschriften ähneln denen des Fußballsports frappant: Der Elfmeter wird zum Zwölfmeter, das Spiel dauert 90 Minuten. Und der Schiedsrichter gilt selbstverständlich auch hier immer als ein von der gegnerischen Mann­schaft zweifellos gekaufter Komplett-Idiot, der keine Ahnung von den Regeln hat.

International konnte sich Bandy im Ge­gensatz zum Eishockey trotz dieser Nähe zur Massensportart Fußball nie richtig durchsetzen, obwohl es, wie jede ordentliche Sportart, über eine eigene WM verfügt. Seit 1957 zunächst im Zwei-Jahres-Rhythmus ausgetragen, krank­ten die Weltmeisterschaften allerdings viele Jahre daran, dass sie so etwas wie ein Vier-Länder-Turnier waren, denn neben Schweden, Norwegen und Finnland stellte nur die ehemalige Sowjet­union ein eigenes Nationalteam. Bis 1995, als die USA die Spieler der relativ überschaubaren Bandywelt zur WM luden, hat­ten sich denn auch exakt diese vier Staaten regelmäßig in der Austragung der WM abgewechselt. Wobei das Weltmeisterteam fast immer aus der UdSSR und hin und wieder aus Schweden kam, was sich erst seit den neunziger Jahren dahingehend än­derte, dass anstelle der sowjetischen Spieler eben nun russische auf dem Siegerpodest stehen. 2004 wurden dann die seither jährlich stattfindenden Wettkämpfe um den Weltmeistertitel zum ersten Mal nicht nur in einem geraden Jahr ausgetragen, außerplanmäßig gewannen zudem die Finnen den Titel.

An Versuchen, auch andere Länder mit leidlichem Winterklima für Bandy zu begeistern, hat es in der Vergangenheit nicht unbedingt gefehlt, seit 1986 gibt es immerhin auch im eishockeyverrückten Kanada einen eigenen Verband, die Webpage des Weltverban­des FIB listet sogar in Indien und Australien eigene nationale Verbände auf.

Der ganz große internationale Durchbruch blieb allerdings bislang aus. Dabei war Bandy bereits 1952 bei den Olympischen Spielen von Oslo Demonstrationssportart. Warum das IOC, seither unermüdlich damit beschäftigt, das Programm der Winterspiele um neue Disziplinen zu erweitern, ausgerechnet den Winterfußball ignoriert, ist unklar. Vielleicht, so mut­maßen Bandy-Fans, ist ihre Sportart einfach nicht hip genug, denn im Gegensatz zum angesagten Snowboarden, spielt Mode keine Rolle. Entsprechend unattraktiv dürfte das Spiel für Sponsoren und Hersteller und damit eben auch für das IOC sein.

Aber vielleicht gehen den olympischen Funktionären ja auch irgendwann die Trendsportarten aus, und dann dürfte die große Stunde des Bandy schlagen. Es besteht schließ­lich auch in bislang noch gemäßigten Wetterzonen sicher schon sehr bald Bedarf an winterlichen Alternativen zum Fußball.

www.internationalbandy.com