Sie müssen das Sterben lernen

Als erstes Bundesland beginnt Hamburg mit der Abschiebung von Familien nach Afghanistan. von anke schwarzer

Der Senat einer der reichsten Städte Europas lässt derzeit eine schicke Hafencity bauen, eine mehrere Millionen Euro teure Image-Kampagne durchführen und Familien nach Afgha­nistan abschieben. Exakt in der Woche, in der der Spiegel das Zitat »Die Deutschen müssen das Töten lernen« als Titel gewählt hatte, sollten die ersten beiden Familien aus Hamburg in die Kriegsregion abgeschoben werden. »Offenbar ist der Hamburger Senat der Auffassung, es sei nun auch an der Zeit, dass afghanische Familien das Sterben lernen«, teilte die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl mit.

Bis Ende des Jahres sollen 50 Familien in das zerstörte Afghanistan abgeschoben werden, danach weitere 100. Insgesamt handelt es sich um 3 000 Menschen, darunter viele Kinder und Ju­gend­liche. Zuvor hatten bereits allein stehende Männer und kinderlose Ehepaare Abschiebebescheide erhalten. Als erstes Bundesland beginnt Hamburg nun mit der Abschiebung von Familien nach Afghanistan.

»Das ist das Weihnachtsgeschenk des Ham­burger Senats an die Afghanen«, sagt Rafiq Shirdel. Er ist Koordinator der Organisation »Netzwerk Afghanistan Info Hamburg« und veranstaltete in den vergangenen Jahren zahl­reiche Protestaktionen. In den letzten Tagen habe er mit vielen Familien gesprochen. »Sie sind hilflos, sie sind sprach­los«, erzählt er. Aber auch von tiefer Rührung und großer Dankbarkeit sprächen die Familien, wenn sie von Nachbarn, Mitschülern oder Lehrern unter­stützt würden.

Am Dienstag voriger Woche protestierten etwa 300 junge Menschen am Hamburger Hauptbahnhof gegen die bevorstehende Ab­schiebung der 14jährigen Schülerin Sanaz Sharifzada, ihres Bruders und ihrer Eltern sowie weiterer Familien. »Ohne Sanaz gehen wir auch nicht mehr zur Schule«, riefen ihre Freundinnen von der Gesamtschule Blankenese. Seit ihrem siebten Lebensjahr lebt Sanaz in Hamburg, wo sich mit rund 20 000 Menschen die größte afghanische Exil­ge­mein­de angesiedelt hat. Lesen und Schrei­ben hat das Mädchen nur auf Deutsch gelernt. Ginge es nach dem Willen des Innensena­tors Udo Nagel (CDU), wäre sie längst in Kabul. Wegen einer Eilpetition an die Härtefallkommission der Bürgerschaft wurde der Abschiebe­termin am 24. November vorläufig ausgesetzt. Im Februar würde die Familie sechs Jahre in Hamburg wohnen und nach der neuen Bleibe­rechts­rege­lung in Deutschland bleiben dürfen.

Ein generelles Hindernis für eine Rückkehr nach Afghanistan hätten bisher weder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch die Rechtsprechung festgestellt, sagte Nagel, der nach seiner Reise im Frühjahr 2005 persönlich zu einer veränderten Einschätzung der Sicher­heits­lage in Afghanistan und damit zur Aufhebung des Abschiebestopps beigetragen hatte.

»Hamburg prescht mal wieder vor«, kommen­tiert Bernd Mesovic, der rechtspolitische Referent von Pro Asyl. Es sei aber davon auszugehen, dass auch andere Bundesländer demnächst Familien abschieben würden.

Zwei Möglichkeiten bleiben, um die Abschiebungen abzuwenden. Entweder könnte der Hamburger Senat einen auf sechs Monate befristeten Abschiebestopp beschließen. Aber das ist so wahrscheinlich wie der Bau benutzbarer Fahrradwege in Hamburg. Oder die Härtefallkommission der Bürgerschaft empfiehlt für jede einzelne Familie einen Abschiebeschutz. Seit Sommer 2005 hat die Kommission, in der Abgeordnete der Bürgerschafts­parteien sitzen, über die Schicksale von 59 afghanischen Flüchtlingen entschieden. In 40 Fällen empfahl die Kommission befristete und unbefristete Aufenthaltserlaubnisse. Über die ersten beiden Familien soll am 8. Dezember entschieden werden. Allerdings könnte Nagel dann immer noch ein Veto einlegen.

Für ihn hat ein Mitarbeiter des Hamburger Flücht­lingsrats übrigens noch eine Empfehlung parat: »Falls Sie nochmals einen Afghanistan-Trip planen, sollten Sie demonstrativ auf Personenschutz verzichten. Den empfiehlt zwar das Auswärtige Amt, aber was wissen die denn schon …«