VW bleibt deutsch

Die Belegschaft des VW-Werkes in Brüssel streikt seit zwei Wochen. Der Konzern will dort 4 000 Arbeiter entlassen, um die deutschen Werke besser auszulasten. von korbinian frenzel, brüssel

Die Solidaritätsbekundungen vor allem von deutschen Gewerkschaften wollen nicht abreißen nach dem Schock, den der Konzern Volkswagen der belgischen Hauptstadt vor wenigen Tagen versetzt hat: 4 000 Beschäftigte in der Fabrik im Brüsseler Vorort Forest sollen nach dem Willen der Konzernleitung entlassen werden, um die Golf-Produktion künftig in den deutschen Werken Wolfsburg und Mosel zu konzentrieren. Das größte Unternehmen der Stadt wird sich mit dieser Entscheidung de facto aus Belgien verabschieden, zahlreiche Zulieferbetriebe sind vom Ruin bedroht.

In der vergangenen Woche haben VW-Chef Martin Winterkorn, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff als Vertreter des größten Aktionärs des Konzerns und der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, der belgischen Regierung ihre Aufwartung gemacht. Ihre Botschaften waren unterschiedlich, doch eines hatten die Herren aus Deutsch­land gemeinsam: Jeder trägt einen Teil der Verantwortung für die drohende Massenentlassung bei den belgischen Nachbarn. »Ich bin enttäuscht zu sehen, dass im Wesentlichen nationale Interessen der Grund für diese Entscheidung sind«, sagte Belgiens Ministerpräsident Guy Verhofstadt nach Bekanntwerden der Schließungspläne.

Zwei Fabriken sind nach Ansicht von Experten überflüssig, weil der VW-Konzern angeblich zu wenig Autos verkauft – vor allem von der Marke »Volkswagen«. Doch dass davon die sechs deutschen Werke betroffen werden, wissen deutsche Gewerkschaften im Verein mit dem noch immer starken Einfluss der niedersächsischen Politik zu vermeiden. Erst im vergangenen Jahr hat die IG Metall für den hohen Preis von erheblich längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich eine Arbeitsplatzgarantie für die rund 100 000 deutschen Beschäftigten bis 2010 erkauft.

Die Arbeitervertreter im Brüsseler Werk haben hingegen wiederholt Forderungen des Konzerns nach »Kostenreduzierungen« verweigert. »Wahre europäische Solidarität unter Gewerkschaften wäre es gewesen, wenn sie bereits in diesen Verhandlungen eine gemeinsame Linie beschlossen hätten«, bemängelte eine belgische Europa-Abgeordnete der Sozialisten, Véronique de Kayser. In belgischen Gewerkschaftskreisen wurde hinter vorgehaltener Hand Kritik laut an den »Krokodilstränen« der deutschen Gewerkschaftsfunktionäre.

Auswege aus der kritischen Lage, die bereits in wenigen Wochen die Arbeitslosigkeit in der Region Brüssel erheblich erhöhen wird, verspricht der VW-Konzern selbst durch die mögliche Produktion des Audi A1 ab 2009 – offenbar aufgeschreckt durch die heftigen Proteste von Politik und Beschäftigten. Denn seitdem die Nachricht über die Schließungspläne die Nachmittagsschicht im Brüsseler Werk erreichte, ist ein Teil der Fabrik von den Arbeitern besetzt und die Produktion komplett eingestellt. Unklar bleibt bei diesem von Winterkorn gegenüber Verhofstadt in Aussicht gestellten Plan, wo die Beschäftigten bis zum Produktionsbeginn 2009 bleiben. VW setzt hier auf Sozialpläne, de facto – so die Befürchtung der Arbeiter – spiele der Konzern lediglich auf Zeit.

Offenbar will sich auch die EU in der aktuellen Krise an ihrem Hauptsitz von der sozialen Seite zeigen. Aus dem gerade erst beschlossenen Globalisierungsfonds, der ab 2007 jährlich 500 Millionen Euro für Folgen von Arbeitsplatzverlagerungen an Billigstandorte bereit hält, will sie Hilfe in Aussicht stellen. Obwohl hier offenbar ein Standortkampf innerhalb der EU stattfinde und nicht etwa die Verlagerung von Arbeit in Billiglohn-Länder, sei EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla bereit, Geld aus dem Fonds an die europäische Hauptstadt zu senden, hieß es am Freitag im Beschäftigungsausschuss des Europa-Parlaments.