Bin ich schön, jung, schlank und sexy?
Was würde Walt Disney wohl sagen? Im Jahr 1937 kam sein Zeichentrickfilm »Schneewittchen und die sieben Zwerge« in die Kinos. Wer zurzeit durch Berlin läuft, kann an manchen Ecken Disneys Schneewittchen sehen. Auf Aufklebern kann man die Zeichentrickfigur entdecken. Doch hinter den sieben Bergen sah Schneewittchen noch ganz anders aus. Auf manchen Aufklebern ist die Figur tätowiert und bewaffnet, auf anderen dick, auf manchen trägt sie einen Bart. »Wer ist die Schönste im ganzen Land?« fragt das Schneewittchen. Unter der Frage steht der Slogan: Fight Lookism!
Eine Gruppe mit dem Namen »Projekt L« verbreitet die Aufkleber. Sie betreibt auch die Internetseite www.lookism.info. Wer wissen möchte, was »Lookism« bedeutet, erhält hier eine Erklärung: »Ist der Begriff auch eher unbekannt, beschreibt er dennoch einen gewohnten und ganz alltäglichen Mechanismus. Menschen werden in ›schön‹, ›hässlich‹ oder irgendwo ›dazwischen‹ eingeteilt und erhalten aufgrund dessen Vor- oder Nachteile. Das ist – kurz gefasst – Lookism.«
Zu sehen war der Aufkleber nicht nur an Straßenlaternen oder an Fensterscheiben, sondern auch auf einem Plakat des Popstars Shakira, und zwar mitten im Gesicht der Sängerin. Richtet sich der Antilookism gegen die Reichen und Schönen, gegen den Glamour und den Luxus? »Wir wollen nicht gegen die Popkultur wettern. Antilookism richtet sich keinesfalls gegen ›die da oben‹, gegen die vermeintlich bösen Medienstars, die die Menschen manipulieren«, stellen zwei Frauen, die sich in der Gruppe betätigen, im Gespräch klar.
Diskussionswürdiges findet man auch in den Texten von »Projekt L.« Je näher ein Mensch dem Schönheitsideal komme, desto höher sei auch sein beruflicher Marktwert, wird behauptet. Für Models mag das stimmen. Ist die Form und Größe der Nase aber wirklich entscheidend dafür, ob jemand am Fließband einer Joghurtfabrik arbeitet oder ihr Manager ist? »Es gibt Studien, denen zufolge auf Bewerbungsanzeigen hin derselbe Lebenslauf mit unterschiedlichen Fotos eingeschickt wurde. Die Ergebnisse waren eindeutig: Menschen, die eher den Schönheitsidealen entsprachen, hatten bessere Chancen«, sagt eine der Frauen.
Offensichtlich sei die Verbindung zu anderen Diskriminierungsformen. »So werden zum Beispiel sowohl bei Sexismus und Rassismus als auch bei Lookism Menschen unter anderem anhand ihrer Körper nach einem hierarchischen Prinzip beurteilt«, stellt die Gruppe in einem Text fest.
Es fällt dennoch schwer, den Zusammenhang zwischen Angriffen auf dunkelhäutige Menschen, Gewalt an Frauen und Witzeleien über große Füße herzustellen. So wolle man die Feststellung auch nicht verstanden wissen, sagt die Frau aus dem »Projekt L«: »Uns geht es nicht darum, Lookism auf eine Stufe mit Sexismus oder Rassismus zu stellen. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass individuelle Leiderfahrungen aufgrund von Lookism weniger schlimm sind als z.B. sexistische Diskriminierungen. Magersucht hat zwar viele Gründe, die vor allem in den Erlebnissen in der Kindheit zu suchen sind. Wenn man Magersucht aber als Resultat von Lookism betrachten will, könnte man ebenfalls sagen: Es kann tödlich enden.«
Wer schon bei dem Wort »Lookism« stutzen muss, wird auf der Seite der Gruppe noch mit anderen Diskriminierungsarten konfrontiert. Es dürfte nicht viele Leute geben, die bisher etwas von Ageism, Sizeism oder Heightism gehört haben. Dass Lookism eine recht beliebige Angelegenheit sei und jedem und jeder die Möglichkeit gebe, sich als Opfer einer Diskriminierung zu fühlen, bestreiten die beiden Antilookistinnen: »Wir wollen sicherlich keine neuen Opfer schaffen. Wir wollen die Leute anregen, darüber nachzudenken, in welchen Situationen man selbst andere Menschen wegen ihres Äußeren diskriminiert. Insgesamt gesehen ist Lookism aber selbstverständlich ein sehr weitläufiger Komplex.«
Dabei umfasst der Begriff nicht nur Schönheitsnormen, die den Körper betreffen, sondern auch die so genannte Körpergestaltung und die Kleidung. Aber sind Schminke und Kleidung nicht vor allem eine Privatsache? »Wir denken, dass die Aussage, das Private sei politisch, mehr ist als ein veralteter feministischer Slogan. Wir wollen Machtverhältnisse und Interdependenzen anhand des Diskurses über die Schönheitsnorm aufdecken, die ja mit nicht weniger bedeutsamen Normen verschränkt sind, z.B. mit den Bereichen Gender und Race«, sagt die Gruppe in einer Stellungnahme. Ganz pragmatisch sehen es die beiden Frauen: »Wenn jemand sich schminken will, soll er das tun. Wenn sich jemand schick anziehen möchte, soll er das tun. Aber das soll eben für alle gelten. Niemand sollte für die Wahl, die er für sein Äußeres trifft, angemacht oder diskriminiert werden.«
Seit etwa neun Monaten gibt es die Gruppe. Nach Angaben der beiden Aktivistinnen ist sie jedoch eher ein loses Diskussionsforum. Neben der Schneewittchen-Kampagne ist sie lediglich mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit gegangen. Und dennoch haben es die Berliner Antilookisten bereits ins Fernsehen geschafft. In der Sendung Polylux wurde ein Beitrag über sie ausgestrahlt, über den sie jedoch nicht ganz glücklich sind: »Wir wollen Schönheitsnormen dekonstruieren. Davon war in der Sendung nichts zu hören. Stattdessen war nur von einem ›Aufstand der Hässlichen‹ die Rede.«
Antilookisten gibt es nicht nur in Berlin. In Hamburg besteht seit dem Herbst des vergangenen Jahres der »Club der Hässlichen«. Gegründet haben ihn Harald und Regina Gasper. Sie bezeichnen sich als »hässliches Paar« und haben nicht nur den Club gegründet, sondern auch ein Buch geschrieben: »Herrlich hässlich! Warum die Welt nicht den Schönen gehört.« Auf der Internetseite des Clubs der Hässlichen kann man einen so genannten Hässlichkeitscheck absolvieren und Mitglied werden. Auch »Schöne« dürfen mitmachen, so lange sie die Sache der Hässlichen unterstützen.
Liest man das Manifest des Clubs, stößt man auf allerlei Sinnfreies und leidlich Witziges. Politisch ist das selbstverständlich nicht. Viel eher wirkt der Club wie eine Werbemaßnahme, um den Verkauf des Buches anzukurbeln. Das Buch selbst ist ein Lifestyleratgeber unter umgekehrten Vorzeichen. Wo andere Autoren die Schönheit feiern, geht es den Gaspers um das Lob der vermeintlichen Hässlichkeit. Das verschafft ihnen auf einem Markt, der mit Schönheitsliteratur gesättigt ist, vor allem einen gewissen Distinktionsgewinn.
Den kann mit Sicherheit auch der politische Flügel der Antilookisten für sich verbuchen. Das »Projekt L« stellt sich unter anderem so vor: »Wir beschäftigen uns mit Lookism, da die meisten anderen Diskriminierungsformen bereits einen gewissen Platz im öffentlichen Diskurs haben.« Und wer sich als »Antilookist« vorstellt, dürfte noch längere Zeit mit einem fragenden Blick und Neugier rechnen können.