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Das war der Pop 2006

Dubstep. Popmusikmäßig war es in diesem Jahr ähnlich wie schon in denen davor: Es lief halt, aber die großartigen Alben fehlen. Das einzige, was sich wirklich heraushob und wo man sagen könnte, das sei mal etwas Neues, war der so genannte Dubstep. Führende Acts dieser Disziplin waren Burial und Kode9, deren Platten das Genre mehr oder weniger ausdefinierten. Dubstep klingt dunkel, und die Bässe grollen, dazu werden Effekte serviert, und gelegentlich murmelt einer was von der Isolation des Menschen in der entfremdeten Welt. Diese Musik kommt bislang ausschließlich aus London, und wenn sich nicht schleunigst noch etwas tut und der Dubstep-Virus nicht bald doch noch um sich greift, wird das kleine Genre im kommenden Jahr vielleicht schon wieder vergessen sein. Ansonsten dreh­te sich viel darum, ob Justin Timberlake nun der neue Robbie Williams sei und warum letztgenannter immer noch keine Freundin habe.

Am meisten los war noch bei Glamour-Girls wie Paris Hilton, Britney Spears und Christina Aguilera. Hilton singt jetzt auch, Spears hat sich schon wieder spektakulär von einem Kerl getrennt, und Aguilera hat den Schlampenlook aufgegeben und macht jetzt auf Diva, deren musikalisches Werk, so sagt sie, in 20 Jahren eine ähnliche Bedeutung wie das von Ella Fitzgerald haben soll. (aha)

Der 2006. Retrotrend

Cosmic. In langweiligen Popzeiten wie diesen werden Retrotrends immer wichtiger – dieses Jahr: Cosmic-Disco. Anfangs war das Ganze eher ein Gerücht, inzwischen haben die Plattenläden wahlweise ihre »Cosmic«- oder »Italo-Disco«-Fächer eingerichtet. Cosmic entstand Mitte der Siebziger in italienischen Edeldiskotheken und war ein Sound, der unterkühlten Pop, Disco und ganz schlimme Synthieflächen fusionierte. Cosmic wird heute ganz klar als typischer »So schlimm, dass er schon wieder gut ist«-Sound rezipiert, was immer ein wenig bemüht wirkt, aber dass das Cosmic-Revival keinen Spaß gemacht hätte, kann man auch wieder nicht behaupten. (aha)

Das Filmwunder des Jahres

»Borat«. Filmereignis des Jahres war ganz klar »Borat«. Auch deswegen, weil der Film längst ein Eigenleben entwickelt hat, wie es nur ganz selten der Fall ist. Die letzte Meldung dazu lautet, dass der Film inzwischen auch in Israel erfolgreich angelaufen ist. Die Israelis lieben, so hört man, »Borat« und haben kein Problem mit den antisemitischen Stereotypen, mit denen der Film spielt. (aha)

Die Köpfe 2006

Leute. Was sonst noch so war: Günter Grass verkauft seine Autobiografie besser, weil er bei der Waffen-SS war. Bei Dieter Bohlen wurde eingebrochen, was einen derartigen Rummel erzeugt hat, dass der Dieter den Einbrechern sein Comeback verdankt. Eva Herman will die Frauen wieder am Herd sehen und findet, sie läge mit dieser Forderung eindeutig richtig, weil Hunderttausende deutscher Männer ihr zustimmen würden.

»Idomeneo« wird an der Deutschen Oper nicht aufgeführt, weil deren Intendantin meint, radikale Muslime könnten ein Problem mit der Inszenierung haben. Jetzt wird die Oper doch aufgeführt, aber wahrscheinlich interessiert das inzwischen gar niemanden mehr. (aha)

Die Trends der letzten zwölf Monate

Diverse. Fanmeilen, »Public Viewing«, Deutschland-Fähnchen, »fried­licher Nationalismus«, so sah es in Deutschland während der Fußballweltmeisterschaft aus. Danach wurden Rassismus und Antisemitismus in deutschen Stadien doch noch als Problem erkannt.

»Bionade« ist eine Limonade, die in verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlich ist und die vom Szenegetränk zur Erfrischungs­brause des Sommers wurde. »Bionade« ist die neue Cola.

Die Sonderausgabe der Zeitschrift Tempo ist nicht so schlecht, wie alle sagen. Sie ist extrem dick, macht Spaß beim Lesen, nur wirklich hängen geblieben ist dann doch kein einziger Artikel.

Alle reden von der Klimakatastrophe. Dank ihr ist es in Deutschland im Dezember noch so warm wie im Frühling und man hört immer noch die Vögel pfeifen. Für uns in Deutschland ist die Klimakatas­trophe ein Segen.

Computerspiele haben weiterhin ein Imageproblem, weil ihnen unterstellt wird, verantwortlich zu sein für Amokläufer und ein wenig auch für die Zustände an der Berliner Rütli-Schule.

Zuerst wollte die Zeitschrift Spex nach Berlin ziehen, dann doch vielleicht lieber nicht, und jetzt aber doch wieder. Zuerst wollte wenigstens ein Teil der Redaktion von Köln an die Spree übersiedeln, jetzt will niemand mehr mit, und alles wird völlig neu. Der Journalist Max Dax wird neuer Chefredakteur, und das Musikmagazin wird nur noch alle zwei Monate erscheinen.

Daniel Craig sieht gut aus und ist cool, mit James Bond, wie wir ihn einmal kannten, hat der Mann aber nichts gemein.

Das Mozartjahr ist vorbei. Es ging ein Jahr zu lang. (aha)

Das Jahr ist vorbei

Nachruf. Man musste wieder viele Nachrufe schreiben in diesem Jahr. Einer fehlt noch: der auf Ahmet Ertegun. Ohne den in Istanbul geborenen Impresario sähe die Popwelt heute völlig anders aus. Ende der vierziger Jahre gründete er das immens wichtige und einflussreiche Label Atlantic, das für die Entwicklung von Soul, Jazz und Rock gleichermaßen wichtig war. Größen wie Ray Charles, Aretha Franklin oder John Coltrane wurden von Ertegun gefördert, und dabei ging es dem Mann – auch wenn das jetzt etwas unglaubwürdig klingt – nicht bloß um das Geld, sondern wahrhaftig um die Musik.

Ertegun starb an den Folgen eines Sturzes, der sich bei einem Besuch eines Konzerts der Rolling Stones ereignet hatte, vorige Woche in New York. (aha)