Plaudern über die Textilfabrik

Ministerpräsident Olmert hat Israel unter die Nuklearmächte eingereiht. Die Opposition ist empört. von andrea livnat, tel aviv

Die Journalisten und Kommentatoren rätseln, die Opposition in Israel ist verärgert. War es ein Versprecher? Hat Ministerpräsident Ehud Olmert wieder einmal seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt? Regierungssprecher versuchen zu be­schwich­tigen; die Aussage, mit der Olmert bei seinem Besuch in Deutschland in der vergangenen Woche für allgemeine Aufregung sorgte, sei falsch verstanden worden.

»Wir bedrohen niemanden. Iran droht öffentlich und ausdrücklich, Israel von der Landkarte zu radieren. Können Sie sagen, dass es die gleiche Grundlage ist, wenn es um deren Wunsch nach Atomwaffen geht, wie bei Amerika, Frankreich, Israel und Russland?« sagte Olmert. Er habe Israel nicht unter die Nuklearmächte, sondern unter die zivilisierten Ländern eingereiht, behaupten nun Regierungssprecher.

Unabhängige Analytiker schätzen, dass Israel seit Ende der sechziger Jahre bis 200 nukleare Spreng­körper hergestellt hat. Doch keine israelische Regierung hat bisher zugegeben, im Besitz von Atomwaffen zu sein. Mit einer Politik der »Zweideu­tigkeit« soll Abschreckung gewährleistet und gleichzeitig ein Wettrüsten im Nahen Osten verhindert werden. Offiziell hat sich an dieser Politik nichts geändert. Dass Olmert seine Aussage tatsächlich beabsichtigt hat, ist daher unwahrscheinlich.

Aus dem israelischen Außenministerium hieß es, alle Botschafter in der Welt hätten die Anweisung erhalten klarzustellen, dass die Nuklearpolitik sich nicht geändert habe. Weiterhin bedient man sich einer im Jahr 1963 von Shimon Peres gemachten Äußerung. Von US-Präsident John F. Kennedy auf Israels Atompotenzial angesprochen, antwortete er: »Ich kann Ihnen klar sagen, dass wir nicht diejenigen sein werden, die Atomwaffen in die Region einführen. Wir werden nicht die ersten sein, die das tun.« Der Reaktor in Dimona wurde seitdem gerne als »Textilfabrik« bezeichnet.

Israel hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben, doch Schaden ist durch Olmerts Aussage auf jeden Fall entstanden, darüber ist man sich in Israel einig. Eine überraschende Enthüllung war sie für die Regierungen in der Region nicht, doch das iranische Regime nutzte sofort die Gelegenheit, um sich über die »doppelten Standards« des Westens zu beklagen. Abderrahman al-Attiya, der Generalsekretär der Arabischen Liga, forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Sanktionen gegen Israel zu verhängen.

Olmerts Aussage hat Entrüstung in allen Parteien ausgelöst. Sowohl der rechtsgerichtete Likud als auch die linke Partei Meretz forderten Olmerts Rücktritt. Das »fantastische Statement« zeige die Sorglosigkeit des Ministerpräsidenten und lasse ernste Zweifel an seinen Fähigkeiten für das Amt aufkommen, sagte der Meretz-Vorsitzende Yossi Beilin.

Es war nicht das erste Mal, dass Olmert durch ungeschickte Formulierungen Schlagzeilen machte. Anfang Dezember plauderte er vor Gymnasiasten über Geheimdienstinformationen, denen zufolge es fraglich ist, ob die beiden von der Hizbollah entführten Soldaten noch am Leben sind. Das israelische Fernsehen zeigte mehrere Szenen, die deutlich machten, dass Olmert bereits mehrfach in einem Nebensatz Israels Atompotenzial als Fakt erwähnt hat. Einen praktischen Vorschlag dagegen, inspiriert von Stephen Hawking, der vergangene Woche in Israel zu Gast war, führte die beliebte Satireshow Eretz Nehederet (»Wunderbares Land«) vor. Sie zeigte Olmert in einem Rollstuhl mit einer Sprechhilfe, die alle Verhaspler und ausgeplauderten Geheimnisse mit einem dezenten Piepen übertönt. Andere Israelis hoffen, dass Olmert in Zukunft die Möglichkeit in Betracht zieht, Notizen zu seinen Reden zu Hilfe zu nehmen. Das hielt er nämlich bisher offensichtlich nicht für notwendig.