Schön, hier zu sein

Hier überlebt es sich besser. von darius james, berlin/deutschland

Die Zeit der Besinnlichkeit und Barmherzigkeit ist wieder über uns hereingebrochen. Trotz des glasierten, frohen Scheins entlang des Ku’damms versetzt mich der kalte, graue Winterhimmel über Berlin in eine trübselige Stimmung. Trotz dieser frostigen Umgebung vermisse ich als Amerikaner hier in Berlin nichts aus Amerika. Schließlich bin ich diesem Land und seinem angeborenen Wahnsinn entflohen, auch dem deprimierenden amerikanischen Weihnachten.

Allein die Wärme und Herzlichkeit familiärer Liebe vermisse ich, unser jährliches Gelage mit gegrillten Rippchen und gekochten Schwei­ne­füßen. Aber das ist der Preis für ein Leben im Exil. Vorige Weihnachten hatte ich nicht, wie dieses Jahr, das Vergnügen, meine Zeit in Berlin zu verbringen. Vor meinem Abflug erlebte ich etwas Unvergessliches. Während mich die Flughafen-Security in Tegel in die für die Verdächtigen reservierte Reihe am Check-In-Schalter beorderte (dunkle Haut + schielender Blick = Terrorist) – vor mir standen zwei komische Ukrainer, die Fallschirme in ihr Handgepäck gestopft hatten –, erblickte ich eine bunte und mit Glitter bedeckte Figur des Zwarten Pit.

Was zum Teufel macht der hier? Ist der Zwarte Pit nicht eine Abscheulichkeit, ausgekotzt aus den Tiefen der holländischen Seele? Warum stolziert der durch die Hallen des Flughafens? Was zum Teufel soll der ganze Scheiß mit diesem freundlichen Nachbarschafts-Weihnachts-Nigger?

Da ich es gerade mit zwei bewaffneten und rassistischen Schurken zu tun hatte, war ich sowieso schon ziemlich genervt. Warum sollte ich zusätzlich noch den Anblick eines Clowns mit rußgeschwärztem Gesicht ertragen müssen, der die Marketing­idee einer holländischen Fluglinie war? Das nächste Mal, wenn ich einen dieser schwarz angemalten, Glöckchenmützen tragenden Harlekin-Hurensöhne sehe, werde ich einen Baseballschläger nehmen und so lange auf ihn einschlagen, bis er lauter schreit als eine Babyrobbe, die von einem fetten Eskimo zu Tode geknüppelt wird!

So viel zum Thema aufgeklärtes Europa. Aber ich bin auch nicht nach Europa eingewandert, sondern nach Berlin. Ich verdanke mein Überleben der besonderen Beschaffenheit der Berliner Gesellschaft. Mit diesen Zeilen möchte ich also meine Dankbarkeit gegenüber Berlin und den Menschen hier ausdrücken, die im wahrsten Sinne des Wortes mein Leben gerettet haben:

1. Ich bin dankbar dafür, in Berlin und nicht in New York City zu leben.

2. Obwohl ich Mitte Fünfzig bin, bin ich dankbar für die Rückkehr meines knabenhaft guten Aussehens – jetzt, wo ich aufgehört habe, alkoholische Getränke zu trinken. Dies wäre ohne die Hilfe der Sozialarbeiter Berlins, die in mir nicht nur den (widerlichen) Amerikaner, sondern einen problembeladenen und hilfsbedürftigen Menschen sahen, nicht denkbar gewesen.

3. Ich bin dankbar dafür, nicht Amok gelaufen zu sein bei einem meiner vielen alkoholbedingten Blackouts. Ich hätte wohl einige Kehlen aufgeschlitzt und wäre im Knast geendet. Es hätte leicht passieren können. Glücklicherweise lernte ich die Vorteile der Geduld, der Toleranz und der Beherrschung durch meine Gastgeber kennen.

4. Ich bin dankbar dafür, nicht länger nervös zu werden im Umgang mit Europäern, die Rap hören und sich mit »Yo, whaddup, my Niggah?« grüßen. Und dafür, dass deutsche MCs endlich ihre eigenen musikalischen und erzählerischen Traditionen formen, anstatt die HipHop-Version vom Zwarten Pit zu vervielfachen.

5. Ich bin dankbar dafür, dass Berlin die skurrilen Mythen über Afro-Amerikaner verbannt hat – einmal mehr beweisend, dass Berlin eine multikulturelle Stadt ist, die nicht realisiert, dass sie multikulturell ist.

6. Ich bin dankbar für die Existenz von Grünkohl, und dafür, dass es möglich ist, Karalahana auf den türkischen Märkten zu kaufen.

7. Ich bin dankbar für die in Berlin lebenden musikalischen Exilanten. Sie haben die Stadt zu einem lebenden Museum der Weltpopmusikgeschichte gemacht.

8. Ich bin den beiden Frauen dankbar, die meinem nicht deutsch sprechenden Arsch geholfen haben, meinen Antrag auf Sozialhilfe auszufüllen.

9. Ich bin dankbar dafür, dass der Zwarte Pit den Rhein runtersegelt und nicht die Spree.

10. Ich bin dankbar dafür, in Berlin und nicht in New York City zu leben.

Darius James, 53, zog vor acht Jahren von New York City nach Berlin. Zuletzt erschienen die Textsammlung »Voodoo Stew« und die Weihnachtsgeschichte »Froggie Chocolates Christmas Eve« (Verbrecher Verlag).