Die Unsensible

Ein Rückblick auf das Bachmann-Jahr, das nicht stattgefunden hat. von jörg sundermeier

Es ist leicht, Ingeborg Bachmann zu lieben. Sie war zunächst Lyrikerin, hinterließ ein sehr schmales Prosawerk, auch das schmale kritische Werk ließ sich leicht in einer Werkausgabe verstecken. Der einzige zu Lebzeiten publizierte Roman, »Malina«, wird in schönster Regelmäßigkeit als »Sonderausgabe« neu herausgebracht, viele haben ihn gelesen, viele kennen den Film.

Man kann von ihr schwärmen, ohne dass man ihr Werk gelesen haben muss: die elegante Diva, ihr einnehmendes Lachen, neben sich Günter Grass, Luigi Nono, Willy Brandt. Die Reisende in New York, Wien, Berlin, Zürich, Neapel und immer wieder in Rom. 1954, drei Jahre nach der Publikation ihrer ersten Gedichte, ein Jahr nach dem »Preis der Gruppe 47«, ziert ihr Konterfei das Titelblatt des Spiegel. Auf allen Fotos ist Ingeborg Bachmann, die im Juni des vergangenen Jahres 80 Jahre alt geworden wäre, eine junge Frau. Der frühe Tod im Oktober 1973 raubte ihr das Alter. Man kennt sie als Preisträgerin, Büch­ner-Preis, Wildgans-Preis, Großer Österreichischer Staatspreis für Literatur. Und als Namensgeberin eines ­Literaturpreises kennt man sie nun auch. Und man kennt die Legenden. Die Bachmann trat stets wie eine Frau auf, heißt es, sie bewegte sich langsam, sprach leise, aber betont, erschien zart.

Man kennt auch das Bild, das man nie gesehen und trotzdem vor Augen hat, das von der hochnervösen Dichterin, die schwer medikamentenabhängig ist, schließ­lich beim Rauchen einschläft, ihr Nachthemd in Brand setzt, nach 20 qualvollen Tagen stirbt. Man kennt auch ein anderes Bild, Bachmann als zeitlebens leidende Frau. Kein Foto zeigt es, doch jede und jeder hat es gesehen. Dass die Autorin etwa, wie Frauke Meyer-Gosau in einem soeben erschienenen Porträt in der Zeitschrift Literaturen zeigt, unter anderem deshalb so vorsichtig und suchend auftrat, da sie eine extreme Sehschwäche hatte, aber aus Eitelkeit keine Brille trug, war vorher bekannt, passt aber nicht ins Bild. Dass Ingeborg Bachmann eine professionelle Künstlerin war, die die Nähe anderer Künstler suchte, doch dafür nicht jeden Preis zu zahlen bereit war, ist ebenfalls bekannt. Man kennt die Bachmann anders, will sie anders kennen.

Es ist im Buchhandel üblich, um den runden Geburtstag eines Schriftstellers herum einige Sonderausgaben auf den Markt zu werfen, und, sofern möglich, noch irgend­einen »Schatz« aus dem Nachlass hervorzuzaubern. Bei Bachmann hielt sich der Piper-Verlag, der abgesehen von »Malina« alle Werke herausgebracht hat, auffällig zurück. Späte Rache? Ingeborg Bachmann selbst hatte dem Ver­lag den Rücken gekehrt, ein letzter Erzählungsband erschien nur, weil noch Verträge erfüllt werden muss­ten, und sie hatte einen guten Grund: Der Verlag hatte den Nazi Hans Baumann als Übersetzer einer von Bachmann angeregten Auswahl Anna Achmatovas vorgesehen, was Bachmann als Skandal ver­stand. Sie blieb damit allein, auch mit der Konsequenz, wegen eines solchen Skandals den Verlag zu wechseln.

Der Suhrkamp-Verlag nahm sie begeistert auf. Doch »Malina«, der einzige von ihr selbst publizierte Roman aus dem umfangreichen »Todesarten«-Zyklus, sollte das einzige Werk bei Suhr­kamp bleiben. Die Erzählung »Gier«, die Siegfried Unseld immer wieder herauszubringen hoffte, wurde von Bachmann in ihren letzten Monaten offensichtlich kaum noch bearbeitet. Das alles muss der selbstsüchtige Fan bedauern, denn Suhrkamp hätte sich weit mehr um die Autorin bemüht. So bleibt trotz vieler Einwände bis jetzt die seinerzeit verdienstvolle, doch sehr überholte Ausgabe der Werke von 1978 das Maß der Beurteilung. Eine Neuaus­ga­be unter Einbeziehung der inzwischen edierten weiteren »Todesarten«-Frag­men­te, der »Römischen Reportagen«, des Frühwerks und der vor zwei Jahren erschienenen »Kritischen Schriften«, ist nicht in Sicht. Der beeindruckende Briefwechsel mit Hans Werner Henze, der vor zwei Jahren erschien, löste keine große Begeisterung aus. Das lässt um den für 2008 angekündigten Briefwech­sel mit Paul Celan fürchten.

Lediglich im Hörverlag erschien unter dem Titel »Todesarten« als Geburtstagsgabe eine Auf­nahme der Bachmann, auf der sie zwei lange Passagen aus dem Romanfragment »Der Fall Franza« liest. Doch auch dieses »Hörbuch« reiht sich ein in eine Serie von Bachmann-Originalaufnahmen. Das war zu wenig, um 2006 zu einem Bachmann-Jahr werden zu lassen, die meisten Feuilletons verschliefen den Termin, der nur deshalb so wichtig ist, weil in dem an Debatten und Kritik immer ärmer werdenden Literaturbetrieb diese Geburtstage eine letzte Gelegenheit bieten, auf Autorinnen und Autoren aufmerksam zu machen.

So aber blieb es vor allem den Selbstdar­stellern überlassen, sich mit »der Bachmann« zu beschäftigen. Ulrike ­Draesner schrieb im Juni in der Welt einen Text, in dem sie nicht einmal falsch konstatierte, dass Bachmann einem »Modell von Autorschaft« folgte, »das bereits alt, ja überholt war, als sie auf den Plan trat«. Denn Ingeborg Bachmann blieb in der Tat eine klassisch-moderne Autorin, die sich stets auf Musil, Kafka, Hofmannsthal bezog. Die »Todesarten«, ihr Großprojekt, war ja als ein letzter Roman angelegt, als ein Welterfassungsversuch. Doch Draesner will Bachmann erledigen, indem sie diese als »die leidende Seherin« diffamiert. Nicht anders Terézia Mora, die in Literaturen eine nun wie­derum als Schwester im Geiste gezeichnete Bachmann präsentiert, aber zum selben Ergebnis kommt: Bachmann sei die »Hypersensible«, als die sich Mora auch empfindet.

Dass Ingeborg Bachmann aber gerade nicht das war, zeigt folgender Satz über ihr erstes Treffen mit der Gruppe 47: »Am zweiten Tag wollte ich abreisen, weil ein Gespräch, dessen Voraussetzungen ich nicht kannte, mich plötzlich denken ließ, ich sei unter deut­sche Nazis gefallen.« Sie ist nicht abgereist, hat sich aber auch nicht angepasst, sondern war beinahe so mit dieser Grup­pe verstrickt wie Paul Celan oder Wolfgang Hildesheimer. Als sie sich aus dem Betrieb weitgehend zurückzog, machte sie sich für ihn verdächtig, schon in ihren späten Lebensjahren erntete sie Ver­risse.

Nach ihrem Tod wurde die schon früh als »überintellektuell« geschmähte, oft sehr ironische Feministin plötzlich zur überzarten, sensiblen, fühlenden Nichtdenkerin stilisiert, ihre Dissertation über Heidegger wurde ebenso verdrängt wie ihre Einlassungen zu Witold Gombrowicz, Ludwig Wittgenstein, Robert Musil, Jean Améry, Silvia Plath oder Giusep­pe Ungaretti. Für Nichtleser und Nichtleserinnen ist die Bachmann eine »Ikone« der Innerlichkeit. Und diese haben im deutschen Literaturbetrieb das Sagen.

Ingeborg Bachmann: Malina. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2006. 408 S., 10 Euro

Ingeborg Bachmann: Todesarten. Originalaufnahmen 1964 – 67. Hörverlag, München 2006. 4 CDs, 27,95 Euro

Ingeborg Bachmann/Hans Werner Henze: Briefe einer Freundschaft. Piper Verlag, München 2004, 538 S., 24,90 Euro

Ingeborg Bachmann: Kritische Schriften. Piper Verlag, München 2005, 828 S., 49,90 Euro