Der große Fleischkrieg

Das angespannte Verhältnis zwischen Polen und Russland bleibt ein Problem für die EU. Der Streit dreht sich um Lebensmittel, Öl und Erdgas. von oliver hinz

Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft ist das schwierige Verhältnis zwischen Polen und Russland auch ein Problem der Bundesregierung geworden.

Im Herbst 2007 läuft das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit Russland aus. Schon im November wollte die EU-Kommission bei einem Gipfeltreffen in Helsinki die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aufnehmen. Doch Polen legte als einziges EU-Land sein Veto ein und hält bis heute daran fest. Erst wenn die polnische Regierung dem Papier für die Verhandlungen zustimmt, darf die EU Gespräche über einen Nachfolgevertrag beginnen.

Die Haltung der Regierung ist in Polen populär. Nicht nur die größte Oppositionspartei, die rechtsliberale Bürgerplattform, unterstützte sie. Auch 65 Prozent der Polen befürworteten Anfang Dezember in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS die Ablehnung von EU-Verhandlungen mit Russland. Nur zehn Prozent hielten das Veto für falsch.

Ist Polen also ein Störenfried in der EU, wie es der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder schon mal behauptete? Gewiss verstehen viele in Deutschland Polen nicht. Der neue polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, klagt, oft bekomme er in Berlin von Gesprächspartnern zu hören, Polen leide an einem Russland-Trauma. An der Sache gehe das aber völlig vorbei. »Ich will weg von der Psychoanalyse und endlich hin zur Analyse«, sagte er.

Tatsächlich liegen die jetzigen Probleme Polens mit Russland nicht an der Geschichte, etwa in der Zeit, in der die Sowjetunion unter Stalin das Land terrorisierte und auf seinen Befehl Millionen Polen verschleppt und ermordet wurden. Der Streit zwischen den beiden Ländern bezieht sich auf die Gegenwart.

Problem Nummer eins ist der schon über ein Jahr lang andauernde »Fleischkrieg«. So nennen polnische Medien den polnisch-russischen Handelskonflikt. Im November 2005 verhängten Moskauer Behörden ein Importverbot für polnische Fleischprodukte. Die Laster wurden einfach an der Grenze abgewiesen. Die schimpfenden LKW-Fahrer sind zwar aus den polnischen Fernsehnachrichten verschwunden. Gelöst ist das Problem aber immer noch nicht.

Die russische Regierung wirft Polen vor, es habe massive Fälschungen bei der Deklarierung von polnischen Lebensmitteln beim Export nach Russland gegeben. Geliefertes Fleisch stamme im Widerspruch zu den Zollzertifikaten nicht aus Polen, sondern aus anderen Ländern. Der damalige polnische Außenminister Stefan Meller, der einst Botschafter in Russland war, hatte Ende 2005 bei einem Besuch in Moskau Fehler bei der Deklarierung eingeräumt. Inzwischen würden die Exporteure aber alle Auflagen erfüllen, versichert die polnische Regierung. Das russische Importverbot bestehe nur noch aus politischen Gründen, klagt Premierminister Jaroslaw Kaczynski. Polnische Medien berichteten, Russen hätten beanstandete Fleischzertifikate selbst gefälscht. Kaczynski sprach sich bereits für EU-Sanktionen gegen Russland aus.

Putin blieb im Handelsstreit bisher hart. Im vergangenen November betonte er beim EU-Russland-Gipfel in Helsinki: »Unter den derzeitigen Bedingungen sind wir gezwungen, alle polnischen Lebensmitteleinfuhren weiter zu unterbinden.« Russland hatte mit Verweis auf die Schweinepest in Rumänien und Bulgarien sogar damit gedroht, den Import sämtlicher tierischer Erzeugnisse aus der EU ab diesem Januar zu verbieten. Das geschah jedoch nicht.

Das Ende des russischen Einfuhrverbots für polnisches Fleisch hat Polen zur Bedingung für seine Zustimmung zu Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen Russland und der EU gemacht. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), warf Polen im November deshalb vor, es isoliere sich mit seiner »Sturheit« in der EU. Die polnische Regierung ist allerdings zu Zugeständnissen bereit. Es reiche aus, wenn spätestens 50 Tage nach der Aufgabe des polnischen EU-Vetos Russland sein Fleisch­em­bar­go beende. Von der russischen Regierung hieß es dazu jedoch, man lasse sich keine Ultimaten setzen.

Nun soll offenbar während der Berliner Landwirtschaftsmesse, die kommende Woche stattfindet, mit der Vermittlung der Bundesregierung etwas geschehen. Polnische und russische Diplomaten wollen sich dort treffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab sich pflichtgemäß zuversichtlich: »Ich bin auch recht optimistisch, dass wir das Problem der polnischen Fleischexporte nach Russland gelöst bekommen.« Alle EU-Institutionen – von der Kommission über die Regierungen bis zum Europäischen Parlament – hatten sich ebenfalls mit Polen im Handelsstreit solidarisiert.

Ersetzen wird Polen den entstandenen Schaden trotzdem niemand. Die polnische Lebensmittelindustrie hat nach einer Schätzung der Warschauer Zeitung Rzeczpospolita durch das Importverbot bisher 400 Millionen Euro verloren. Russland wird seit einigen Jahren ein immer wichtigerer Handelspartner für Polen: Es belegt Platz sieben auf der polnischen Exportrangliste. 2005 lieferte Polen Waren für fast vier Milliarden US-Dollar nach Russland. Das Defizit Polens aus dem Handel mit Russland ist indes groß, denn das Land importierte Waren im Wert von fast neun Milliarden US-Dollar aus Russland.

Ein weiterer Konflikt dreht sich um die einzige Ölraffinerie im Baltikum, die litauische Mazeikiu Nafta. Der polnische Konzern PKN Orlen hat im Sommer 2006 eine Mehrheitsbeteiligung an der Raffinerie erworben und damit den russischen Interessenten Lukoil ausgestochen. Seitdem liefert die staatliche russische Firma Transneft der Raffinerie kein Öl mehr. Offizieller Grund sind Bauarbeiten an der Pipeline. »Der russische Außenpolitiker Konstantin Kosatschow erklärte kürzlich in Vilnius unverblümt, wir hätten einen schlechten Investor gewählt und müssten dafür bestraft werden«, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des litauischen Parlaments, Audronius Azubalis.

Der bekannteste Streit zwischen Polen und Russland bleibt die Erdgaspipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Bisher wird ein großer Teil des russischen Erdgases durch Polen nach Westeuropa gepumpt. Das bringt Polen nicht nur Transiteinnahmen, sondern auch die Sicherheit, nicht erpresst zu werden. Denn falls Russland Polen das Erdgas abdrehen würde, wären auch die Westeuropäer die Leidtragenden.

Die Russlandpolitik sorgt immer wieder für Streit in der EU. Viele Polen fühlen sich von der EU, insbesondere von Deutschland, ungleich behandelt. Polen werde von seinen Partnern genau beobachtet, bei Russland lasse die EU dagegen Milde walten. Die Stimmung in Polen spiegelte ein Kommentar der Rzeczpospolita vom November: »Brüssels Naivität in den Beziehungen zu Moskau kennt keine Grenzen. Gut, dass es in Europa noch ein Land gibt, das Russland tausendmal besser kennt als die sich auf Schritt und Tritt kompromittierenden EU-Diplomaten.« Mit dem »besten Russlandkenner« ist natürlich Polen gemeint.

Zumindest wenn es um die russische Sprache geht, mag das auch stimmen. Russisch ist in Polen nach einer Umfrage von CBOS vom November 2006 immer noch die Fremdsprache Nummer eins. 22 Prozent sprechen sie, Englisch dagegen nur 20 Prozent. Deutsch folgt mit 14 Prozent. Auch an den Schulen in der Region Warschau liegt Russisch noch vor Französisch auf Platz drei. Trotz­dem sind die Russen den meisten Polen unsympathisch. Nur 22 Prozent der Polen mögen sie. Nur die Rumänen und die Serben schneiden unter den abgefragten europäischen Ländern noch schlechter ab.