Mit Öldruck in die Atom-Renaissance

Über den Ölstreit zwischen Russland und Belarus freuen sich die Ölkonzerne, Gerhard Schröder und die EU-Kommission. Am glücklichsten ist aber die europäische Atomkraft-Lobby. von lucien maigret, brüssel

Das sei alles ein abgekartetes Spiel, murmelte da neulich in Brüssel einer, der meint, sich auszukennen in der Welt: Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko steckten unter einer Decke und zusammen hätten sie sich verschworen, um dem Westen Angst zu machen vor der großen Rohstoffknappheit und so die Preise hochzutreiben. Den Gewinn planten die beiden Finsterlinge zu teilen. Zu seiner ganz privaten Verschwörungstheorie war der schlaue Mann gekommen, indem er die Frage stellte, die jeder materialistischen Analyse vorausgeht: Cui bono – wem nützt es?

In diesem Fall hatte er das Nachdenken allerdings etwas zu früh beendet, denn wenn man versucht, eine Liste all derjenigen aufzustellen, die von dem Handelskrieg zwischen Russland und Belarus profitieren, dann kommt man ziemlich schnell zu etwas, das einem ersten Entwurf für ein Adressbuch der Energiebranche der ganzen Welt recht ähnlich sieht.

Erdölproduzenten von Saudi-Arabien über Venezuela bis Norwegen und natürlich Russland freuen sich über Panikkäufe, nachdem das Barrel Rohöl zuletzt gegenüber dem Höchstkurs im Spätsommer 2006 mehr als 20 US-Dollar verloren hat. Die Ölkonzerne freuen sich, weil sie an höheren Preisen kräftig mitverdienen. Gerhard Schröder freut sich, weil jetzt wieder alle darüber reden, wie wichtig die Ostsee-Pipeline angesichts der andauernden Spannungen zwischen Russland und seinen Satelliten ist. Die EU-Kommission freut sich, weil Russland dafür sorgt, dass die Brüsseler Vorschläge zur Energiepolitik – anders als frühere Reflexionspapiere – europaweit auf offene Ohren stoßen. Sogar die Windenergie-Lobby darf froh sein, schließlich wird Putin den Wind nicht abstellen können.

Eine Lobby aber ist glücklicher als alle anderen, hat sie doch nun die Vorlage, auf die sie so lange gehofft hat, und noch dazu zu einem Zeitpunkt, wie sie ihn besser nicht selbst hätte aussuchen können. Vor fast 21 Jahren schmolz mit Reaktorblock vier in Tschernobyl auch die Lüge dahin, die Atomenergie sei die lediglich mit einem kleinem Risiko behaftete Lösung für die Probleme des Planeten. In Europa werfen die noch laufenden Reaktoren seitdem zwar noch gute Renditen ab, aber wenn das Geschäft weitergehen soll, dann wird es langsam Zeit, an Neubauten zu denken.

Um diese durchzusetzen, bedarf es allerdings eines Stimmungsumschwungs in der Bevölkerung. Seit der Jahrtausendwende und verstärkt in den letzen beiden Jahren investieren Atomkonzern wie Eon und Vattenfall daher ein Vermögen in die »ideologische Landschaftspflege« auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Da werden Thinktanks nach US-amerikanischem Vorbild gegründet, und Parlamentarier, Kommissionsbeamte und Unternehmerverbände werden von so genannten Consultants bearbeitet, die ihnen die ökologischen, strategischen und wirtschaftlichen Vorzüge der Atomenergie nahe bringen sollen. Die Debatte über den Klimawandel, die derzeit noch angeheizt wird durch den auch in Brüssel ungewöhnlich warmen Winter, wird gefördert und mit dem Hinweis versehen, es gebe ja schließlich eine Energieform, die keinen Treibhauseffekt verursache und dennoch in der Lage sei, den Bedarf der Menschheit zu decken.

Zugespitzt wurde das Ganze schon seit Anfang 2006. Damals wurde bekannt, dass die Kommission für Januar 2007 die Publikation ihres Grünbuchs zu Energie und Klimawandel plant, das die Diskussion über den zukünftigen so genannten »Energiemix« auslösen würde.

Just in diese Situation platzt Putin mit einem Lieferstopp hinein, der die Verlässlichkeit des wichtigsten Öllieferanten für große Teile der EU in Frage stellt. Ein abgekartetes Spiel? Sicher nicht. Aber manchmal ist der Zufall doch der beste Lobbyist.