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Der Lieblingskanzler

Autobiografien. Helmut Kohl dürfte in Zukunft noch griesgrämiger werden. Er konnte es den Wählern kaum verzeihen, dass sie ihn 1998 nach nur 16 Jahren Amtszeit nicht mehr wollten, anstatt ihn zum Kanzler auf Lebenszeit zu machen. Nun haben sich auch noch die Leser gegen ihn gewendet. Gerhard Schröders Autobiografie »Entscheidungen. Mein Leben in der Politik« wurde mittlerweile häufiger verkauft als die einzelnen Bände von Kohls »Erinnerungen. 1930 - 1982«. Von Schröders Buch wurden 220 000 Exemplare abgesetzt, von den beiden Bänden Kohls jeweils 150 000. Und Schröder liegt in den Bestsellerlisten immer noch so weit vorn, dass er Kohl sogar in der Gesamtzahl bald schlagen könnte. Tja, werter Helmut Kohl, als »Kanzler der Einheit« wird man eben nicht zum Liebling der Bürger. Bei dem Titel denkt jeder nur an die Zone und den Solidaritätszuschlag. Nein, ein Mann des Friedens wie Schröder muss man sein, Jugoslawien bombardieren, Hartz IV einführen und dem bösen, kriegslüsternen Ami zeigen, dass man aus der Vergangenheit gelernt hat. Dann verkaufen sich auch die Bücher. (mst)

Die Verdammten des Irak

Kriegsfilm. Von Kriegen profitiert der so genannte militärisch-industrielle Komplex, besagt eine linke Weisheit. Ein anderer Wirtschaftszweig wird dabei aber vergessen: die Filmindustrie. Über den Zweiten Weltkrieg gibt es unzählige Filme, über den Vietnamkrieg ebenfalls. Der Regisseur Brian de Palma plant nun, im April mit den Dreh­arbeiten zu »Redacted« zu beginnen. Der Film soll sich mit der Vergewaltigung und dem Mord an einer vierzehnjährigen Irakerin und drei Familienangehörigen beschäftigen. Stilistisch will der Regisseur auf Ausschnitte aus Nachrichtensendungen, Dokumentarmaterial und Protokolle der Gerichtsverhandlung zurückgreifen.

Vier US-Soldaten hatten die Tat im März 2006 begangen, einer von ihnen wurde bereits im vergangenen Dezember zu einer Haftstrafe von 90 Jahren verurteilt. Das Thema ist für de Palma freilich nicht neu. In »Die Verdammten des Krieges« von 1990 hat er einen ähn­lichen Fall verfilmt, der sich im Vietnamkrieg ereignete. (mst)

Rap’n’Roll

Auszeichnung. Seit 1986 gibt es die »Rock’n’Roll Hall of Fame«. Seit­dem werden Jahr für Jahr Ausstellungsstücke von verdienten Bands und Musikern, deren erste Veröffentlichung mindestens 25 Jahre zurückliegen muss, in das Museum in Cleveland geschafft. Und jedes Jahr ist es dasselbe Spiel: Bei manchen Künstlern leuchtet die Ehrung ein, bei anderen nicht. Bo Diddley, Chuck Berry, die Ramones, Funka­delic oder Black Sabbath haben sie sicher verdient. Für U2, die Bee Gees, Jefferson Airplane oder Rod Stewart sollte hingegen eher eine »Hall of Shame« eingerichtet werden. Auch 2007 verhält es sich so. Patti Smith und The Ronettes wurden verdientermaßen ausgewählt. Van Halen zählen aber doch eindeutig zu den schlimmsten Übeln der Musikwelt. Und dann noch R.E.M.! Was wird im nächsten Jahr kommen: Herbert Grönemeyer? Erfreulich ist hingegen die Tatsache, dass mit Grandmaster Flash and the Furious Five zum ersten Mal eine Rap-Band aufgenommen wird. Aber ohnehin gilt: Musik gehört nicht ins Museum, sondern auf den Plattenteller. (mst)

Le Front virtuel

Online-Antifa. Schlaue Geschäftsleute und Unternehmen haben die Parallelwelt »Second Life«, in der Internetnutzer einen Charakter annehmen und ein virtuelles Leben führen können, längst für ihre Zwecke entdeckt. Firmen werben dort für ihre Produkte, Immobilien­makler verkaufen Grundstücke. In der virtuellen Welt gelten eben wie in der echten die Regeln des Markts. Und diese Tatsache ist nicht die unangenehmste Begleiterscheinung von »Second Life«. Bereits seit dem vergangenen Jahr hat der französische Front National (FN) eine Parteizentrale in der Computerwelt. Die Rechtsextremisten werben recht aufdringlich für sich und richten sich dabei auch an Minderjährige. In der vergangenen Woche hat ein französischer Nut­zer nun die erste Online-Demonstration gegen den FN veranstaltet. Etwa 30 Spielcharaktere fanden sich den Angaben des Veranstalters zufolge vor dem virtuellen Haus der Partei ein und hielten Protestplakate hoch. Auf ihnen war der Parteivorsitzende Jean-Marie Le Pen abgebildet, der aber zusätzlich mit dem Führerbärtchen versehen war. Darunter stand die Parole: »Verbannt den FN! Raus aus Second Life!« Die Partei hat mittlerweile bei der Firma, die »Second Life« betreibt, das Verbot der Plakate durchgesetzt. Die Gegner des FN wollen aber keinesfalls aufgeben und demnächst eine Großdemonstration organisieren. Man darf also gespannt sein. Vielleicht gibt es bald die erste Straßenschlacht bei »Second Life«. (mst)

Der musikalische Gipfel

G 8-Sampler. Wer kämpft, muss auch essen, weiß der Revolutionär. Aber muss er nicht auch Musik hören? Anscheinend sind die Gegner des G 8-Gipfels, der in diesem Sommer in Heiligendamm stattfindet, derart damit beschäftigt, sich zu »vernetzen«, zu »mobilisieren« und die »Verhältnisse zu skandalisieren«, dass sie keine Zeit haben, gute Musik zu hören. Denn die Songs, die auf dem Sampler »Make capitalism history« zu finden sind, kann man zum größten Teil wohl nur als schnarchlangweilig bezeichnen. Ein bisschen HipHop, ein wenig Dancehall und Ragga, ein Songwriter und zahlreiche Rumpelpunk- und Skapunkbands haben ihre Stücke ganz solidarisch zur Verfügung gestellt. Im Booklet zur CD sind die Kapellen, die so wacker gegen das »kapitalistische Weltsystem« anspielen, nach nationaler und regionaler Herkunft sortiert. Vielleicht werden sich im Sommer die Bands aus Deutschland, Frankreich, Italien, Argentinien und den USA, aus Andalusien, aus Katalonien, aus Quebec und dem Baskenland ja in der Provinz in Mecklenburg-Vorpommern treffen. Und genau dort gehören sie auch hin. (mst)