Staat ohne Reue

Debatte um Inhaftierte der RAF von thomas uwer

Die marxistische Rechtswissenschaft ist nicht eben berühmt für ihre Leistungen. Ihre größte Erkenntnis, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Freiheit des Einzelnen nur diejenige des Warenträgers ist, findet sich als Grundgedanke in allen republikanischen Verfassungen wieder. Der Mensch »erhielt die Freiheit des Eigentums«, schreibt Marx. »Freiheitsrechte« sind daher nicht gleichbedeutend mit Freiheit, und Recht ist nicht gleichbedeutend mit Gerechtigkeit.

Als die RAF sich daran machte, den Staat von innen heraus anzugreifen, legte sie zuoberst diesen Widerspruch des »bürgerlichen Rechtsstaats« frei. Die Terroristen trafen auf einen Justizapparat, der nicht nur den berenteten Alterssitz unzähliger Nazi-Richter sicherte, sondern sich nur zu bereitwillig von den Freiheitsrechten der Verfassung verabschiedete. Dem Paragrafen 129 a StGB folgten die Isolation der Gefangenen, das so genannte Kontaktsperregesetz und die Verfolgung des »Umfelds«. Zwischen 1980 und 1988 wurde gegen mehr als 2 400 Personen wegen des Verdachts einer Straftat nach Paragraf 129a StGB ermittelt, mit den bekannten Konsequenzen. Bei weniger als fünf Prozent kam es zu einer Verurteilung.

Die Geschichte der RAF, die mit dem Antrag auf Haftentlassung der seit 24 Jahren inhaftierten Brigitte Mohnhaupt erneut hochgespült wird, ist nicht nur die einer »verlorenen Generation«, wie Biographen der Gruppe es gerne darstellen. Es ist auch diejenige eines gewalttätigen Staates. Wenn Alfred Biolek heute mit Bommi Baumann über die »wilden Jahre« parliert, dann ist von der gewaltsamen Verrohung, die beide Seiten einst auszeichnete, kaum mehr etwas zu spüren. Die einzige Sprache, die der »harte Kern der Terroristen« verstehe, erklärte etwa der damalige Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel (SPD), sei die, »die in Mogadischu gesprochen wurde«.

Spürbar wird diese Härte noch in der Forderung, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar sollten »Reue zeigen«. Mohnhaupt und Klar sollten für immer in der Haft verschwinden. Zu fünfmal lebenslänglich wurden sie einst verurteilt, bei Brigitte Mohnhaupt kamen noch 15 Jahre dazu. Das war neben der realen auch eine symbolische Strafe, die den Wunsch des Staates nach Rache und Genugtuung so weit befriedigte, wie es, abgesehen von der Todesstrafe, nur möglich ist. Die Haftbedingungen zielten über Jahrzehnte darauf ab, die Gefangenen in ihrer politischen Überzeugung und als Personen zu brechen.

Aus dieser Perspektive wirkt die angeblich fehlende Reue der beiden als Weigerung, Vollzug zu melden. Erst wer bereit ist, sich bei Sabine Christiansen über die eigene Kindheit auszuheulen, erwirbt auch das Recht auf »Gnade«. Das mag manchem gerecht erscheinen, Recht ist es nicht. Dass es umgekehrt eine Frage persönlichen Anstands sein kann, sich bei Hinterbliebenen für verursachtes Leid zu entschuldigen, bleibt davon unberührt. Die militante Linke ist nicht eben für ihre Umgangsformen berühmt. Das mag ausreichen, sie nicht zu mögen, strafwürdig ist das aber nicht.

So bleibt Mohnhaupt und Klar, auf das zu hoffen, was Linke der bürgerlichen Gesellschaft immer angekreidet haben: dass Recht und Gerechtigkeit auseinanderfallen und dass die Justiz zwar »im Namen des Volkes« Recht spricht, doch das »Volk« selbst nicht. Denn wo das anders ist, da herrscht nicht mehr Gerechtigkeit, nur weniger Recht.